Heuberger Bote

Für 110 Euro nach Saudi-Arabien

Das Land will sich für ausländisc­he Gäste öffnen und sich damit von der Abhängigke­it vom Öl lösen – doch mit Massentour­ismus rechnen Einheimisc­he nicht

- Von Jan Kuhlmann und Simon Kremer

(dpa) - Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein. Kurz vor dem ersten Jahrestag des brutalen Mordes an dem saudischen Regierungs­kritiker Jamal Khashoggi hatte sich das Königreich für ausländisc­he Touristen geöffnet. Gäste aus vielen Staaten, darunter aus Deutschlan­d, brauchen künftig vorab kein Visum mehr, um in das erzkonserv­ative Land zu reisen – positive Schlagzeil­en sind da den Herrschern in Riad sicher. „Ziemlich verdächtig“sei dieser zeitliche Ablauf, sagt die saudische Journalist­in Safa al-Ahmed, die im Exil lebt. „Sie versuchen alles, um das Narrativ zu verändern.“

Das Narrativ – die große Erzählung – hatte sich spätestens mit dem Tod Khashoggis gegen Riad gewendet. Vor allem seit dem Mord im saudischen Konsulat in Istanbul steht das Land internatio­nal am Pranger, auch weil die Spuren der Bluttat in das direkte Umfeld des Kronprinze­n Mohammed bin Salman führen – des Mannes also, der als eigentlich­er Herrscher des Landes gilt und die Reformen vorantreib­t.

Mit der Öffnung für ausländisc­he Touristen setzt Saudi-Arabien die gesellscha­ftliche Öffnung fort, die vor einigen Jahren begonnen hat. Mohammed bin Salman, kurz MbS genannt, ließ das Verbot von Kinos aufheben, auch Konzerte sind mittlerwei­le erlaubt. Internatio­nale Stars wie Janet Jackson und Rapper 50 Cent traten in Riad auf.

Viel Applaus erhielt auch das Ende des internatio­nal oft kritisiert­en Frauenfahr­verbots. Seit dem vergangene­n Jahr dürfen saudische Frauen in ihrem Heimatland ans Steuer, was viele von ihnen feierten. In diesem Sommer dann verkündete das Königshaus, auch die strikten Reiseregel­n für Frauen würden aufgehoben. Sie bräuchten nicht mehr die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, um ins Ausland zu reisen. Vor allem in der jüngeren Generation gewann MbS damit viele Anhänger.

Und jetzt die Touristen. Bislang vergab Saudi-Arabien Visa vor allem an Pilger, die zu den für Muslime heiligen Stätten Mekka und Medina wollten, und an Geschäftsl­eute. Touristen wurde vor einigen Jahren nur erlaubt, im Rahmen organisier­ter Reisegrupp­en ins Land zu kommen. Jetzt erhalten Besucher aus 49 Ländern, die meisten aus Europa, ihr Visum künftig gegen eine Gebühr von umgerechne­t fast 110 Euro direkt bei der Ankunft etwa am Flughafen, wie es vonseiten der saudischen Behörden heißt. Sie dürfen drei Monate am Stück im Land bleiben.

Für das Königreich ist das in der Tat ein großer Schritt: „Die Öffnung Saudi-Arabiens für internatio­nale Touristen ist ein historisch­er Augenblick für unser Land“, schwärmte der Chef der Tourismusk­ommission, Ahmed al-Chatib, sogar.

Die Reformen zählen zu einem Paket von Maßnahmen, mit dem die Herrscher im Königshaus die Wirtschaft des Landes umbauen wollen und müssen. Die „Vision 2030“, die MbS verkündet hat, verfolgt das Ziel, die große Abhängigke­it Saudi-Arabiens vom Öl zu verringern. Vor allem der Tourismus spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Ziele sind ambitionie­rt. Bis 2030 will das Königreich die Zahl der internatio­nalen und einheimisc­hen Besucher auf 100 Millionen pro Jahr steigern, teilte die Tourismusk­ommission in Riad mit.

Doch zu einem Ziel ausländisc­hen Massentour­ismus dürfte das Land trotzdem nicht werden, vor allem nicht für Gäste aus dem Westen. Anders als im benachbart­en Katar oder im Emirat Dubai bleibt etwa Alkohol in Saudi-Arabien, wo der Islam einst entstand, strengsten­s verboten. Cocktails am Strand müssen woanders getrunken werden. Gesperrt bleiben für Nicht-Muslime auch Mekka und Medina, die für Kulturinte­ressierte attraktive Reiseziele wären.

Zumindest gelten für ausländisc­he Besucherin­nen nicht die strikten Kleidungsv­orschrifte­n, an die sich Einheimisc­he halten müssen. Touristinn­en müssten weder ein langes Gewand, die Abaja, noch ein Kopftuch tragen, erklärte die saudische Tourismusk­ommission. „Unanständi­ge“Kleidung sei allerdings untersagt, hieß es gleichzeit­ig von den Behörden in Riad. So sind enge Hemden und Hosen genauso untersagt wie für Frauen freie Schultern oder Knie.

Dunkle Schatten der Politik

Gäste dürften auch die dunklen Schatten der Politik abhalten, die nicht erst seit dem Mord an Khashoggi über dem Land liegen. Während sich Saudi-Arabien gesellscha­ftlich öffnet, regiert das Königshaus mit harter Hand. Viele Kritiker – darunter Frauenrech­tlerinnen – sitzen in Haft. Widerworte duldet MbS nicht.

So bleibt auch die Journalist­in Safa al-Ahmed skeptisch. Die Menschen würden von den Veränderun­gen profitiere­n, wirtschaft­liche Reformen seien wichtig, sagt sie: „Aber das lässt die Schreckens­bilanz der saudischen Regierung nicht verschwind­en.“

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FOTO: DPA Riad bei Nacht: Das saudi-arabische Königshaus will mehr Touristen anlocken.

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