Rommels langer Schatten
Vor 75 Jahren ging Erwin Rommel in den erzwungenen Freitod – Der Mythos von Hitlers einstigem Lieblingsgeneral ist ins Wanken geraten
- In Blaustein haben sie genug: „Genug vom Rommel-Mythos, genug Gerede und genug von der Verehrung des sogenannten Wüstenfuchs, genug vom Missbrauch des Rommel-Bildes bis heute!“Manfred Kindl ist Archivar der kleinen Stadt in der Nähe von Ulm und beschäftigt sich qua Beruf mit der Person des Generalfeldmarschalls Erwin Rommel, der in Blaustein-Herrlingen wohnte und dort vor 75 Jahren, am 14. Oktober 1944, auf Befehl Adolf Hitlers in den Suizid gezwungen wurde: „Wir wollen zeigen, dass Herrlingen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Wohn- und Wirkungsstätte von historisch interessanten Persönlichkeiten war!“Zu nennen sind vor allem die Reformpädagogin Anna Essinger (1879-1960), die Kunsthistorikerin Gertrud Kantorowicz, die 1945 im Konzentrationslager Theresienstadt starb, der jüdische Pädagoge Hugo Rosenthal (1887-1980) und die Schriftsteller der Gruppe 47: „Sie alle haben Herrlingen geprägt – und nicht nur Rommel“, sagt Kindl. Daher werde in der Villa Lindenhof, die bisher ausschließlich an Rommel erinnerte, eine Dauerausstellung eingerichtet: „Herrlingen wird so zu einem Spiegelbild deutscher Geschichte.“
Die Distanz der Herrlinger zu Rommel wird in einer kleinen Umfrage deutlich: Die 14-jährige Schülerin Anna hat „schon mal was von Rommel gehört“. Wer Rommel war? „Keine Ahnung.“Andreas Brendle erinnert sich an den Geschichtsunterricht in der Schule: „Das war doch so ein umstrittener Feldherr!“Und der Mittfünfziger weiß, dass jedes Jahr Besuchergruppen zu Rommels Grab kommen. Mehr auch nicht. Darüber ärgert sich Peter Göttl: „Die jungen Leute wissen doch nichts mehr.“Er wünscht sich mehr Respekt für Rommel – auch nach 75 Jahren.
In diesen Tagen, rund um den 75. Todestag Rommels, werden die Blausteiner mit Interesse beobachten, ob wieder Veteranen des deutschen Afrika-Korps, das am 12. Mai 1943 in Tunesien kapitulierte, am Grab Rommels salutieren. „Da kamen auch schon alte Männer in Tropenuniform, aber sie kamen am Rollator“, erinnert sich Manfred Kindl, „der Militärgruß gehört für manche Besucher halt dazu.“
Der am 15. November 1891 in Heidenheim an der Brenz geborene Schwabe tritt 1910 in die damalige Reichswehr ein. Der Erste Weltkrieg ist der Startpunkt für seine Karriere, 1917 wird ihm der Tapferkeitsorden Pour le Mérite verliehen – fortan durfte er als Kriegsheld gelten. In den 1930er-Jahren lehrt Rommel, der wie viele andere 1933 die vermeintliche „nationale Revolution“begrüßt hatte, dann an den Kriegsschulen Dresden und Potsdam Taktik. Sein Bestseller „Infanterie greift an“(1937) macht ihn zum Vorbild der Jugend. Die steile Soldatenkarriere verdankt er nicht zuletzt der Wertschätzung Hitlers. Der Diktator holt ihn ins Hauptquartier und ernennt ihn im Februar 1940 zum Kommandeur der 7. Panzerarmee. Ein Jahr darauf entsendet er ihn mit der deutsch-italienischen Panzerarmee in die libysche Wüste. Als südlicher Arm einer gewaltigen Zangenbewegung soll das Afrika-Korps die britische Vormachtstellung im Nahen Osten beseitigen. Von den Arabern bejubelt, kommt es bis vor die Tore Alexandrias. Rommels Ansehen begründet sich vor allem in seinem Ruf, fair zu kämpfen und Regeln der Genfer Konvention zum Umgang mit Gefangenen und Verletzten zu respektieren. In Afrika erwirbt er sich den Spitznamen „Wüstenfuchs“. Doch die Alliierten besiegen sein AfrikaKorps.
Dass Rommel zum Zeitpunkt der Kapitulation am 12. Mai 1943 längst nicht mehr in Afrika weilt, wird erst später bekannt. Hitler hatte befohlen, den Feldherrn nach Deutschland auszufliegen, damit er die Kapitulationsurkunde nicht unterzeichnen und als Verlierer in der englischen Propaganda erscheinen muss. Sein bis dahin unbeschädigter Name sei dem NS-Regime für die weitere Kriegsführung einfach zu wertvoll gewesen, schreibt der Historiker Ralf Georg Reuth. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels notiert in seinem Tagebuch, einen Rommel könne man „nicht nach Belieben schaffen und nach Belieben wieder beseitigen“.
An dieser Stelle setzt die Kritik des Blausteiner Stadtarchivars Manfred Kindl an: „Rommel war immer ein Produkt der Propaganda: Damals wurde er in der NS-Wochenschau als heldenhafter Generalfeldmarschall und militärischer Medienstar gezeigt, weil Hitler ihn einfach als Gesicht des Krieges brauchte, um die Deutschen zum Durchhalten zu bewegen.“
Die Sicht auf Rommel ist in den letzten Jahren differenzierter geworden. „Der Mythos um Rommel wankt“, konstatiert etwa der Autor Stefan Jehle in einem von der Stuttgarter Landeszentrale für politische Bildung veröffentlichten Beitrag. Als soldatischer Held und Sympathisant des militärischen Widerstandes gegen Hitler gilt er den einen. Andere sehen in Rommel einen Kriegsverbrecher. Vor allem, meint Jehle, sei er ein „willfähriges Werkzeug in einem lange geplanten Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten“gewesen.
Nach der Landung der Alliierten in Sizilien übernimmt Erwin Rommel zunächst das Kommando in Norditalien und wird dann mit den Verteidigungsmaßnahmen an der französischen Atlantikküste beauftragt. Im Sommer 1944 wird er bei einem Tieffliegerangriff in der Normandie schwer verletzt.
Die entscheidende Frage für viele ist heute: Wie weit hat Erwin Rommel sich von Hitler entfernt? Dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 habe er nicht zugestimmt, berichten Historiker. Allerdings habe er die Pläne dazu, in die er wohl teils eingeweiht war, auch nicht verraten. Als Hitler über Rommels Haltung berichtet wird, reichen dem Diktator vage Angaben, um seinen einstigen Lieblingsgeneral wegen „Mitwissens oder Versagens“vor die „Wahl“zwischen Freitod oder Aburteilung zu stellen.
Am 14. Oktober schickt er zwei Generäle, seinen Chefadjutanten Wilhelm Burgdorf, sowie Ernst Maisel, Chef für Ehrenangelegenheiten im Heerespersonalamt, mit Zyankali zu Rommel, der in Herrlingen weilt. Dort wohnt die Familie seit Oktober 1943: Sie war vor der anrückenden Roten Armee aus Wiener-Neustadt geflohen. Der Auftrag der Generäle: Rommel mittels Giftampulle zum Suizid zu nötigen. Als die beiden Offiziere an seinem Haus an jenem Samstagvormittag auftauchen, glaubt der Generalfeldmarschall immer noch, Hitler wolle ihn erneut mit einem hochrangigen Kommando beauftragen. Es kommt anders. Als die Generäle ihm angeblich belastendes Material vorlegen und mitteilen, er werde entweder vor den Volksgerichtshof gestellt oder könne sich selbst töten, muss sich Rommel entscheiden.
Die Wahrheit kommt erst bei Kriegsende ans Licht – durch eine eidesstattliche Aussage von Rommels Sohn Manfred. 1944 ist er 15-jähriger Flakhelfer, später Oberbürgermeister von Stuttgart. „Wir begleiteten ihn bis zum Wagen“, erinnerte sich Manfred Rommel, „wo ihn die Generale mit ,Heil Hitler’ begrüßten. Mein Vater stieg als Erster ein und nahm im Rücksitz Platz.“Unter Aufsicht von General Burgdorf nimmt sich Rommel das Leben. Mit seinem Suizid gelingt es Rommel, seine Familie vor Verfolgung und Sippenhaft zu bewahren.
Beim anschließenden pompösen Staatsbegräbnis in Ulm weiß bis auf einen kleinen Kreis Eingeweihter niemand, dass Rommel keineswegs, wie propagiert wurde, seinen Verwundungen erlegen ist, sondern auf Befehl Hitlers sterben musste. Der Tagesbefehl Hitlers vom 18. Oktober 1944 liest sich zynisch: „Sein Name ist im gegenwärtigen Schicksalskampf des deutschen Volkes der Begriff für hervorragende Tapferkeit und unerschrockenes Draufgängertum.“
„In den 50er-Jahren begann die Heldenverehrung“, berichtet Stadtarchivar Manfred Kindl, „obwohl Rommel ja nur ganz kurz in Herrlingen lebte, nur in seinen Urlauben von der Front hier war.“Ein Stadtrat begann damit, Nachlassstücke zu Erwin Rommel zu sammeln. Neben der Totenmaske, Briefen und militärgeschichtlichen Dokumenten kamen erstaunliche Devotionalien zusammen: Zum Beispiel Fläschchen mit Sand aus Wüstengegenden, in denen Rommel kämpfte. Alten Cognac aus US-Militärbeständen brachten amerikanische Verehrer mit. Gleichzeitig brauchte die junge Bundeswehr Vorbilder. Die meisten Wehrmacht-Generäle fielen wegen nachgewiesener Kriegsverbrechen aus: „Aber mit Rommel hatte die damalige Bundeswehrführung einen Offizier, mit dem sie sich identifizieren konnte“, erklärt Stadtarchivar Kindl, „der mediale Missbrauch setzte erneut ein.“
Zurück nach Herrlingen. Dort war ein Ortsvorsteher der Meinung, der „Mythos Rommel“brauche einen würdigen Raum. Er eröffnete 1989 auf der Grundlage der Sammlung das Rommel-Museum in einem Obergeschoss der Villa Lindenhof. Dass das Herrschaftshaus gar keinen direkten Bezug zu Rommel hatte, störte seinerzeit niemanden. Auch dass viele Ausstellungsstücke unklarer Herkunft waren und irgendwelche Militaria aus dem Zweiten Weltkrieg oder Nachbildungen gezeigt wurden? Egal.
In Blaustein wuchs mit den Jahren das Unbehagen am Mythos Rommel. Vor zwei Jahren entschied sich der Gemeinderat, für die Villa Lindenhof ein neues Nutzungskonzept zu entwickeln, das Herrlingen als Wohnund Wirkungsstätte von historisch interessanten Persönlichkeiten würdigt. Und Rommel ist nur eine dieser Persönlichkeiten. In der künftigen Ausstellung, die Mitte November eröffnet wird, soll in gleichem Maße an Rommel und an Anna Essinger erinnert werden: Die 1879 in Ulm geborene Reformpädagogin jüdischen Glaubens gründete ihre Schule 1926 in Herrlingen und setzte dort ein sehr modernes pädagogisches Konzept um. Auch die sogenannte Gruppe 47 traf sich vom 7. bis 9. November 1947 in Herrlingen. Manfred Kindl erklärt: „Die Gruppe wollte nach der Willkürherrschaft der Nationalsozialisten grundsätzliche Gedanken über die Zukunft der am Boden liegenden Nation anstellen.“
Was passiert mit den angeblichen Rommel-Exponaten? Die meisten Stücke der bisherigen Ausstellung sollen im Depot eingelagert werden, nur einige Stücke werden gezeigt. „Wegwerfen kann man sie ja nicht“, sagt Manfred Kindl. Für den 14. Oktober sind in Blaustein keine Besuche angekündigt, sagt Hauptamtsleiterin Anke Jaeger: „Wir haben, wie sonst auch, Rommels Grab geschmückt. Diese Aufgabe bleibt für uns – mehr nicht.“