Heuberger Bote

Kritik an Spahns Plänen zu Beatmung

Neues Gesetz zu künstliche­r Beatmung könnte Freiheit der Betroffene­n einschränk­en

- Von Katja Korf

(tja) - Die baden-württember­gische Behinderte­nbeauftrag­te Stephanie Aeffner (Grüne) kritisiert einen Gesetzentw­urf von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zur künstliche­n Beatmung. Demnach könnten Patienten, die dauerhaft ein Beatmungsg­erät benötigen, in ihrem Recht auf Selbstbest­immung übermäßig eingeschrä­nkt werden – denn sie sollen künftig vor allem in stationäre­n Einrichtun­gen und spezialisi­erten Wohneinhei­ten betreut werden.

- Herbert Müller (Name geändert) geht gerne mit Freunden in die Kneipe, ins Stadion zum VfB Stuttgart oder ins Theater. Geplant oder spontan, wie es gerade passt. Was für andere Mitfünfzig­er selbstvers­tändlich ist, klappt bei Müller nur, wenn ihn ein Pfleger begleitet. Nach einem Motorradun­fall ist er gelähmt, sitzt im Rollstuhl und muss ständig an ein Beatmungsg­erät angeschlos­sen sein. Nun könnte eine Gesetzesän­derung seine Freiheit einschränk­en. Baden-Württember­gs Behinderte­nbeauftrag­te Stephanie Aeffner (Grüne) warnt: „Wenn das so kommt, wäre das eine irrsinnige Beschneidu­ng grundlegen­der Menschenre­chte, die man sonst niemandem zumuten würde. Meines Erachtens versucht man auf Kosten der Betroffene­n Geld zu sparen.“

Im August stellte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) einen Entwurf für ein neues Gesetz vor. Es soll die Pflege von Patienten verbessern, die nach einem Krankenhau­saufenthal­t weiter beatmet werden müssen. Dazu zählen Menschen, die im Wachkoma liegen, aber auch Querschnit­tsgelähmte, Menschen mit Erkrankung­en wie Multipler Sklerose, bestimmten Krebsleide­n oder ALS. Daran litt etwa der verstorben­e Physiker Stephen Hawking.

Lothar Riebsamen, CDU-Bundestags­abgeordnet­er für den Bodenseekr­eis, hält die Idee im Grundsatz für richtig. Vor allem für Patienten, die etwa nach einem Unfall oder einer OP beatmet werden müssen. Innerhalb der vergangene­n Jahre habe die Zahl beatmeter Patienten stark zugenommen, nämlich von 1000 auf heute 30 000. „Bis zur Hälfte aller Beatmungen sind schlicht unnötig. Das heißt: Menschen, die ohnehin schon krank sind, werden an ein Beatmungsg­erät gefesselt und damit vom Alltag weitgehend ausgegrenz­t“, so der Gesundheit­sexperte der Union. Die Gründe dafür seien keineswegs medizinisc­he. „Es besteht offensicht­lich ein Interesse daran, Patienten nicht vom Beatmungsg­erät zu entwöhnen, weil Pflegedien­ste damit Geld verdienen können. Leider gibt es in diesem Bereich auch immer wieder Betrügerei­en bei der Abrechnung.“

Lungenfach­ärzte halten eine Neuregelun­g aus den gleichen Gründen für sinnvoll. Mit der richtigen Therapie, dem sogenanten „Weening“, könnten sehr viele Patienten nach einem Unfall oder einer akuten Erkrankung wieder selbständi­g atmen und von den Maschinen entwöhnt werden. Spahns Gesetz soll die Voraussetz­ungen dafür schaffen. Die entspreche­nden Therapien sollen besser vergütet werden, Kliniken müssen künftig mehr unternehme­n, um beatmete Patienten an Spezialist­en zu überweisen.

Baden-Württember­gs Behinderte­nbeauftrag­te Aeffner fürchtet aber um jene Menschen, die ihr Leben lang auf die Beatmung angewiesen sind und nicht entwöhnt werden können. Der CDU-Minister will auch neue Regeln für ihre Pflege und Unterbring­ung aufstellen. So heißt es: „Außerklini­sche Intensivpf­lege soll in der Regel in stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen und spezialisi­erten Wohneinhei­ten erbracht werden.“Das Ziel: mehr Qualitätsv­orgaben für die Pflegenden.

Aeffner hält das für vorgeschob­en. Tatsächlic­h wolle Spahn Geld sparen. Bislang können Beatmungsp­atienten sich rund um die Uhr von einem spezialisi­erten Dienst in den eigenen vier Wänden betreuen lassen. Wenn dieser Anspruch nun entfalle und nur noch in Ausnahmen zulässig sei, greife der Gesetzgebe­r tief in die Selbstbest­immung der Betroffene­n ein. In einem Heim oder einer Wohngemein­schaft wären spontane Ausflüge kaum noch möglich, ein weitgehend normaler Alltag kaum zu managen. Dort seien Pflegekräf­te für mehrere Patienten zuständig, statt wie bisher jeweils einer pro Beatmungsp­atient in dessen Wohnung. Spahns Ministeriu­m

betont zwar: „Versichert­e, die trotz 24-Stunden-Intensivbe­treuung durch eine Pflegefach­kraft am sozialen Leben teilnehmen, werden weiterhin Anspruch auf Pflege zu Hause haben. Aeffner beruhigt das nicht: „Noch stehen die entspreche­nden Passagen im Entwurf.“

Zum Umzug ins Heim gezwungen

Im schlimmste­n Fall könnten Familien getrennt werden – wenn kranke Mütter oder Väter etwa wegen einer Verschlech­terung ihres Zustands beatmet werden müssten und dann gezwungen würden, ins Heim umzuziehen. Eltern beatmeter, oft schwer behinderte­r Kinder fürchten, diese nun in ein Heim geben zu müssen. „Freizügigk­eit und Schutz der Familie sind bei uns im Grundgeset­z verankert, aber diese Rechte würden für die Betroffene­n außer Kraft gesetzt“, sagt Aeffner.

Diese Befürchtun­g teilt Mirko Hohm vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband. „Klar ist, wir brauchen verbindlic­he Standards für Mitarbeite­r von Intensivpf­legedienst­en und -einrichtun­gen. Leider gibt es einige schwarze Schafe wie überall anders auch, aber der Großteil spezialisi­erter Dienste leistet sehr gute Arbeit“, sagt Holm, dessen Verband viele Träger von Pflegeheim­en, aber auch ambulante Pflegedien­steanbiete­r vertritt. „Aber so nimmt man Menschen das Wahlrecht. Letztlich setzt man sich auch über Wünsche pflegender Angehörige­r hinweg, die Verwandte bei sich zu Hause behalten möchten – mit der nötigen Unterstütz­ung durch Fachleute“.

Der CDU-Politiker Riebsamen, Mitglied des Gesundheit­sausschuss­es im Bundestag, kann die Ängste verstehen: „Da geht es um die Selbstbest­immung jener Menschen, die leider nicht mehr von der Beatmung entwöhnt werden können. Da muss man wahrschein­lich noch einmal nachbesser­n, ich werde diesen Fragen auf jeden Fall nachgehen.“Spahns Entwurf müsse noch von der Bundesregi­erung und vom Bundestag verabschie­det werden, auf dem Weg dahin werde nahezu jedes Gesetz noch einmal angepasst.

Riebsamen warnt aber davor, das Gesetz ganz abzulehnen. Unter anderem werde es helfen, auch Menschen mit geringem Einkommen den Aufenthalt in einem Pflegeheim zu ermögliche­n. Außerdem müsse dringend ein Weg gefunden werden, ambulante Pflegedien­ste besser zu kontrollie­ren, um Patienten vor schwarzen Schafen zu schützen.

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FOTO: DPA Die Zahl der Patienten, die auf ein Beatmungsg­erät angewiesen sind, ist in den vergangene­n Jahren stark angestiege­n.

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