Bolivien stoppt Lithiumprojekt mit Rottweiler Firma
Günstige Lieferung des Akku-Rohstoffs steht infrage – Schlag für die nationalen Batterieambitionen
LA PAZ/ZIMMERN OB ROTTWEIL (dpa) - Boliviens Regierung hat offenbar ein Projekt zur Lithiumgewinnung mit dem deutschen Unternehmen ACI Systems aus Zimmern ob Rottweil annulliert. Der Gouverneur des Departements Potosí erklärte laut der Nachrichtenagentur ABI, die Regierung von Präsident Evo Morales habe das Projekt per Dekret gestoppt. Zuvor hatte es Proteste der Bevölkerung gegeben. ACI Systems erklärte am Montagnachmittag, zunächst nur aus der Presse von diesem Schritt erfahren zu haben. Eine offizielle Information von bolivianischer Seite sei bisher nicht erfolgt, teilte Firmenchef Wolfgang Schmutz mit. Bis vor wenigen Tagen sei noch alles planmäßig gelaufen. „Wir werden daher erst einmal wie geplant am Projekt weiterarbeiten.“
- Ein wichtiges deutsch-bolivianisches Projekt zur Lithiumförderung steht offenbar auf der Kippe: Präsident Evo Morales habe das Dekret für ungültig erklärt, mit dem er selbst das Vorhaben vor einem Jahr genehmigt hat, berichtet die örtliche Nachrichtenagentur Agencia Boliviana de Información (ABI). Diese nennt jedoch nicht Morales selbst als Quelle, sondern Juan Carlos Cejas, den Gouverneur des Departements, in der die Vorkommen des AkkuRohstoffs lagern. „Mit Dekret 4070 ist die Aufhebung des Dekrets 3738 vom 7. Dezember 2018 beschlossen“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den Politiker. Das Bundeswirtschaftsministerium habe keine weiteren Informationen zu dem Vorgang, beobachte die Lage aber genau, sagte eine Sprecherin.
In Deutschland ist die Firma ACISA aus Zimmern ob Rottweil der Projektpartner. Dort ist unklar, wie es nun weitergeht. „Wir wurden von der Nachricht überrascht“, sagte Firmenchef Wolfgang Schmutz der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir haben ebenfalls nur aus der Presse davon erfahren. Eine offizielle Information von bolivianischer Seite ist bisher nicht erfolgt“, so Schmutz. Bis zuletzt sei das Projekt noch planmäßig gelaufen, das Gemeinschaftsunternehmen YLB-ACISA E.M. erst vor wenigen Tagen ins Handelsregister eingetragen worden. „Wir werden daher erst einmal wie geplant am Projekt weiterarbeiten“, kündigte Schmutz an.
Lithium lässt sich zwar auch auf dem Weltmarkt einkaufen, doch China war in den vergangenen Jahrzehnten schlau genug, sich rund um den Globus die Rechte an bekannten Vorkommen zu sichern. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will die deutsche Industrie künftig unabhängiger machen von Akkus aus Asien. Schließlich ist die Elektromobilität eine Schlüsseltechnik. Deshalb war er im Dezember 2018 dabei, als die Verträge für das Lithium-Projekt unterzeichnet wurden. Auch BadenWürttembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hatte sich dafür starkgemacht.
Seitdem hat sich in Bolivien jedoch die Stimmung gegen das Projekt gedreht. Widerstand gegen ausländische Investitionen ist dort nach
Jahrhunderten der Ausbeutung populär. Konkret waren es zwei Gruppen, die Stimmung gegen das ACISAProjekt gemacht haben. Die eine ist eine Bürgerbewegung in der Stadt nahe dem Salzsee mit dem Lithium. Sie heißt „Comite Civico Potosi“. Die andere ist ein Verband von Bauern aus der bolivianischen Hochebene. Dieser heißt FRUTCAS (Federación Regional de Campesinos del Altiplano Sur). Beide Gruppen sind überzeugt, dass die Deutschen die Einheimischen übervorteilt haben. Sie fordern eine höhere Beteiligung der Region an den Gewinnen.
Anfängliche Begeisterung
Im zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf war das LithiumProjekt ein heiß umstrittenes Thema. Doch trotz Kritik der Opposition blieb Morales bei seiner Entscheidung, den Abbau mit dem deutschen Partner zusammen voranzutreiben. Morales ist eigentlich ein Kapitalisten-Schreck: Er ist durch seinen Kampf gegen die Ausbeutung durch Großkonzerne populär geworden.
Seine Partei, die Movimiento al Socialismo (MAS), macht sich gegen den Neoliberalismus und für die Legalisierung des Kokainhandels stark. Morales verweigert sich schon optisch dem üblichen Business-Anzug; stattdessen trägt er die Kluft der indigenen Einwohner seiner Heimatregion.
Doch Morales will auch die Wirtschaft seines Landes auf Vordermann bringen. Deshalb hat er sich im Dezember 2018 geradezu begeistert gezeigt von den Bedingungen, die die deutschen Projektpartner ihm geboten haben. Sie wollten eben nicht einfach das Lithium abtransportieren. Stattdessen sollte auch ein Teil der weiteren Wertschöpfung im Land bleiben. ACISA plante unter anderem den Aufbau einer Fertigung für Batteriezellen. Hierfür war ein fester Anteil von 5200 Tonnen an der geplanten Förderung von 40 000 Tonnen Lithium jährlich reserviert.
Morales gefiel die Idee, die Kapitalisten diesmal im Sinne seiner Interessen arbeiten zu lassen. Warum Morales das Projekt nicht hochsymbolisch im Wahlkampf gekippt hat, sondern drei Wochen nach seiner erfolgreichen Wiederwahl, ist derweil unklar. Es könnte mit der unklaren Situation in dem Land zu tun haben: Die Opposition bezweifelt die Wahlergebnisse, spricht von Betrug und fordert eine Stichwahl der bestplatzierten Kandidaten; Morales kündigte dagegen an, das Wahlergebnis zu „verteidigen“. Vielleicht glaubt er, sich keine offene Flanke leisten zu können.
In der Salzwüste von Uyuni im Hochland von Bolivien lagern noch Millionen von Tonnen des Alkalimetalls, das die entscheidende Zutat für all die Batterien ist, die vom Handy bis zum neuen Elektroauto von VW praktisch alle modernen Produkte antreiben. ACISA verfügt nach eigener Auskunft über chemische Techniken, die den Abbau zugleich umweltfreundlicher und um ein Vielfaches effizienter machen. Das Unternehmen unterhält in der Stadt Uyuni ein Büro mit einem deutschen Kontaktmann, der sich auch um die Beobachtung der politischen Lage kümmern soll.