Kretschmann kritisiert Vorbereitung des Autogipfels
Baden-Württembergs Ministerpräsident verärgert – Bundesregierung möchte Kaufprämie für E-Autos erhöhen
(dpa) - Bereits vor dem Autogipfel am Montagabend im Berliner Kanzleramt gab es Kritik an der Bundesregierung – und zwar von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der Grünen-Politiker echauffierte sich über die Vorbereitung des Treffens. Er habe auch weiterhin nicht den Eindruck, dass in Berlin auf die Länder gehört werde. „Ich habe die Unterlagen am Donnerstagabend bekommen. Das muss man sich mal vorstellen – vor dem Feiertag“, sagte Kretschmann am Montag in Stuttgart. „So wird da gearbeitet.“Dennoch hoffe er auf konkrete Entscheidungen, erklärte der Ministerpräsident.
Bereits vor Beginn des Gipfels, an dem neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehrere Bundesminister, Regierungsvertreter von Autoländern, die Spitzen von Union und SPD sowie Chefs des Autoverbandes VDA, von Autoherstellern,
Zulieferern und Gewerkschaften teilnahmen, wurden Details der Regierungspläne bekannt. So soll der Verkauf von Elektroautos durch eine deutliche Erhöhung der Kaufprämie angekurbelt werden. Für rein elektrische Autos unterhalb eines Listenpreises von 40 000 Euro soll der Zuschuss von 4000 Euro auf 6000 Euro steigen. Für Plug-in-Hybride soll es künftig in dieser Preisklasse statt 3000 dann 4500 Euro geben. Für Autos mit einem Listenpreis über 40 000 Euro soll der Zuschuss für reine E-Autos künftig bei 5000 Euro liegen, für Plug-in-Hybride bei 4000 Euro. Bisher werden Elektroautos nur bis zu einem Netto-Listenpreis von 60 000 Euro gefördert. Diese Deckelung soll entfallen. Zudem soll die bislang bis 2020 befristete Kaufprämie bis 2025 verlängert werden.
Vorgesehen ist, dass wie bisher Bund und Autoindustrie jeweils zur Hälfte die Kosten für die Prämie übernehmen.
- Das Volkswagen-Werk Zwickau: Graue Fabrikhallen, wohin das Auge blickt. Nur eines der quaderförmigen Gebäude ist knallbunt verziert. Hier feierte der Konzern am Montagvormittag den Produktionsstart des ID.3. Auf dem Mittelklassewagen lasten enorme Hoffnungen: Er ist das erste richtige Elektroauto des VW-Konzerns. Kanzlerin Merkel sieht in dem Gefährt einen wichtigen Teil der Mobilitätswende. Sie erwarte, dass das neue Auto „wie Käfer und Golf zu einem wahren Volks-Wagen wird“, sagte sie vor Ort bei der Enthüllung der offiziell ersten Exemplare. Für Konzernchef Herbert Diess hängt von dem Auto das Schicksal des Unternehmens ab: „Ob es zum Niedergang der deutschen Autoindustrie kommt oder nicht, liegt bei uns.“
Der Produktionsstart des ID.3 ist tatsächlich von hohem Symbolwert. Er steht nicht nur für die geistige Trendwende im VW-Konzern, dem noch vor wenigen Jahren die Atmosphäre so egal war, dass er mit Abgaswerten getrickst hat. Er steht auch für die Weiterentwicklung des Standorts Deutschland. „Mit Recht kann man sagen, dass VW heute in eine neue Ära geht“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen. „Es ist ein historisches Ereignis.“
Der ID.3 ist nach Ansicht der Experten so wichtig, weil der größte deutsche Autohersteller damit in die Liga von Tesla, BYD oder Nissan aufschließt. Denn es waren in den vergangenen Jahren ausschließlich Firmen aus den USA, China und Japan, die ernst gemeinte Massenproduktion von batteriebetriebenen Wagen in Angriff genommen haben. Zugleich haben sie mit ihren futuristischen Ingenieurleistungen ein modernes Image aufgebaut, neben dem deutsche Produkte plötzlich alt aussahen. Deshalb platziert Diess den ID.3 nun anstelle des Golf in der Mitte der VW-Modellpalette – so wie dieser einst den Käfer verdrängt hat. Der elektrische ID.3 will also das Standardauto für ganz normale Leute sein.
Dazu musste der ID.3 nicht das beste oder modernste Elektroauto der Welt sein, aber er muss hohe Zuverlässigkeit bei schönem Design zu einem akzeptablen Preis bieten. Das scheint gelungen zu sein. Das Modell mit der kleinsten Batterie kostet knapp 30 000 Euro, mit Förderung werden daraus 26 000 Euro – das sind zwar noch einige Tausend Euro mehr als ein einfacher Golf, aber der Preis soll in den kommenden Jahren weiter sinken. Der ADAC spricht daher schon vom „Volks-Elektroauto“.
Das Einstiegsmodell erlaubt allerdings nur eine Reichweite von 330 Kilometern. Wer mit einer Ladung 550 Kilometer weit fahren will, muss wohl rund 15 000 Euro mehr ausgeben – Batterien sind teuer.
Es ist noch nicht zu spät
Damit zieht Deutschland mit den Herstellerländern gleich, die schon seit Jahren reguläre Serienmodelle für den Massenmarkt hervorbringen. Nach Ansicht von Experten wie Dudenhöffer ist es durchaus nicht zu spät, um den Anschluss zu behalten. In der Wirtschaftsgeschichte sind nicht nur die Pioniere einer Technik erfolgreich. Google war nicht die erste Internetsuchmaschine und Osram nicht der erste Anbieter von Glühlampen – aber sie waren in entscheidenden Punkten besser als die Vorreiter und konnten sich daher im Markt durchsetzen. Der Markt für EMobilität steckt trotz allen Geredes in der Praxis noch in den Anfängen. Und mit starken Marken wie VW, Daimler und BMW gibt es auch künftig ein gutes Argument, ein deutsches Produkt zu kaufen.
Doch ob das Umsteuern trotz des Rückstands noch klappt, hängt laut Diess davon ab, ob Deutschland selbst ein echter Referenzmarkt für die neue Technik wird. Diess verlangte deshalb zum Produktionsstart des ID.3 eine höhere CO2-Besteuerung, als die Bundesregierung sie bisher vorsieht. Die Forderung eines Autobosses nach strikten Umweltgesetzen klingt wie verkehrte Welt, ist aber betriebswirtschaftlich logisch. VW investiert in den kommenden Jahren 30 Milliarden Euro in die Elektromobilität. Damit sich das lohnt, müssen die Kunden auch zugreifen. Diess gab sich deshalb auch sonst völlig gewandelt. Er rechnete
vor, dass die von VW hergestellten Autos für ein ganzes Prozent des weltweit ausgestoßenen Kohlendioxids verantwortlich sind. Er klang damit wie ein Tabak-Boss, der in einer öffentlichen Rede ausgiebig von Lungenkrebs spricht.
Für Volkswagen ist der ID.3 auf jeden Fall der Einstieg in den Ausstieg aus der Ära des Verbrennungsmotors.
Das Unternehmen hat daher nicht einfach ein Auto entwickelt, sondern einen Technikbaukasten, mit dem sich künftig alle Modelle elektrifizieren lassen. Das neue Modell ist damit nur die erste Anwendung des „Modularen E-Antriebs-Baukasten“(MEB), andere sollen schnell folgen. „Mit der MEB-Plattform gelingt es – so wie Tesla – Elektroautos ganz spezifisch zu bauen und nicht als Kompromiss“, sagt Dudenhöffer. VW gehe „die Neuausrichtung der Branche sehr beherzt an.“
Diess verteidigte am Montag seinen strengen Fokus auf Elektromobilität in Abgrenzung zu Wasserstoff und künstlichem Benzin. Die Welt brauche jetzt sofort umweltfreundliche Mobilität, und beide Alternativen seien noch nicht so weit. Sie sind zudem wegen ihres geringen Wirkungsgrades auf einen Überfluss an Ökostrom angewiesen, den es vorerst auch nicht gebe.
Wie schnell sich das Elektroauto durchsetzt, hängt nun ganz konkret davon ab, wie leicht es sich laden lässt. Bisher hapert es hier noch. Das Problem war deshalb auch Thema beim Autogipfel am Montagabend im Kanzleramt mit Vertretern von Politik, Industrie und Wissenschaft, auf dem vor allem über den vom
Bundesverkehrsministerium ausgearbeiteten Masterplan Ladeinfrastruktur beraten werden sollte: Um wie geplant in zehn Jahren zehn Millionen E-Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, wären eine Million Ladesäulen nötig.
Ob Deutschland den Anschluss an den Fahrzeugmarkt der Zukunft behält, liegt nach Ansicht von Experten aber noch an anderen Faktoren. „Über die Zukunft der Automobilbranche entscheidet nicht nur die Antriebsart“, sagte Achim Berg, der Präsident des Digitalverbands Bitkom. „Wir brauchen intelligente, vernetzte Fahrzeuge, die Staus vermeiden und insbesondere die schwächsten Verkehrsteilnehmer vor Unfällen schützen.“Auch hier ist die Konkurrenz aus den USA schon weiter – Tesla treibt die Einführung des selbstlenkenden Autos fast rücksichtslos voran, während chinesische Modelle schon so digital sind, dass sie wie die fahrende Verlängerung des Handys wirken. „Wenn wir die Automobilindustrie als Säule der deutschen Wirtschaft erhalten wollen, brauchen wir hierzulande die weltweit besten Rahmenbedingungen für das vernetzte und autonome Fahren“, so Berg. Sonst wirken deutsche Autos schnell altbacken.
„Ob es zum Niedergang der deutschen Autoindustrie kommt oder nicht, liegt bei uns.“
VW-Chef Herbert Diess