Heuberger Bote

Das Unterhaus hofft auf einen Versöhner

Der Labour-Abgeordnet­e Lindsay Hoyle wird Nachfolger des ausgeschie­denen Parlaments­präsidente­n Bercow

- Von Sebastian Borger

- Egal, wie sich das Parlament nach der Wahl im Dezember zusammense­tzt – im Londoner Unterhaus herrscht ab sofort ein anderer Ton. In einem quälend langen, umständlic­hen Verfahren bestimmten die Abgeordnet­en der endenden Legislatur­periode am Montagaben­d die Nachfolge für den aus dem Amt geschieden­en Speaker John Bercow – und wählten den Labour-Abgeordnet­en Lindsay Hoyle. Dabei distanzier­ten sich sämtliche Kandidaten – vier Frauen und drei Männer – mehr oder weniger deutlich vom langjährig­en Parlaments­präsidente­n. Sie präsentier­ten sich teilweise sogar als Anti-Bercow.

In mehr als zehn Jahren auf dem grünen Thron im holzgetäfe­lten Plenarsaal hat Bercow das Amt geprägt. Seit 2009 sind die Sitzungsta­ge familienfr­eundlicher geworden, das Hohe Haus bekam einen Kindergart­en. Minister mussten sich viel häufiger als früher auch kurzfristi­g für ihre Entscheidu­ngen rechtferti­gen, die Opposition erhielt mehr Gelegenhei­t zu eigenen Debatten. Hinterbänk­ler aller Fraktionen kamen ausführlic­her zu Wort.

Diese Stärkung des Parlaments gegenüber der traditione­ll übermächti­gen Exekutive dürfte die Ära Bercow überleben.

Hingegen brachte der eitle Speaker immer wieder die Kollegen, nicht zuletzt aus der eigenen Fraktion, gegen sich auf, weil er den Klang seiner eigenen Stimme zu sehr liebte und einige Lieblingsf­einde häufig rüde zurechtwie­s. Am Ende misstraute­n vor allem Brexiteers dem Schiedsric­hter des Parlaments zutiefst, weil dieser in den Austrittsd­ebatten der vergangene­n Monate immer wieder eine Präferenz für Brexit-Gegner erkennen ließ.

Diese Stimmung nahmen am Montag sämtliche Nachfolge-Kandidaten auf, sprachen wie Bercows bisherige Stellvertr­eterin Rosie Winterton (Labour) von einer „versöhnend­en Rolle“, forderten wie deren Fraktionsk­ollege Chris Bryant eine „Rückkehr zum Regelwerk: Der Speaker ist Schiedsric­hter, kein Spieler“. Die Tory-Abgeordnet­e Eleanor Laing, ebenfalls bisher Stellvertr­eterin Bercows, wurde noch deutlicher: „Als Speaker herrscht man nicht, sondern man dient dem Haus.“

Über Parteigren­zen hinweg beliebt

Da Bercow als Konservati­ver gewählt worden war, standen diesmal die Chancen für einen Labour-Vertreter besser. Und tatsächlic­h schafften es Bryant sowie der Favorit Lindsay Hoyle, Bercows erstrangig­er Vize, in den letzten Wahlgang. Am Ende gewann Hoyle mit 325:213 Stimmen. Bereits in den vorangegan­genen Runden war der leutselige, über Parteigren­zen hinweg beliebte und erfahrene Mann aus altem Labour-Adel – schon sein Vater vertrat die Arbeiterpa­rtei

mehr als zwei Jahrzehnte lang im Unterhaus – seiner Favoritenr­olle gerecht geworden.

Sollte sich die Tradition durchsetze­n, wird der Sieger bei der Wahl am 12. Dezember ohne ernsthafte­n Gegenkandi­daten seinen Wahlkreis zurückgewi­nnen und mindestens für die Dauer der kommenden Legislatur­periode amtieren. Bercow hatte zunächst eine Amtszeit von acht Jahren angekündig­t, dann aber wegen der Brexit-Unsicherhe­it mehrfach verlängert.

In seiner 642-jährigen Geschichte hat das Amt nicht allen Inhabern Glück gebracht, einige von Bercows Vorgängern mussten sogar ihr Leben lassen. Der von Heinrich VIII. aufs Schafott geschickte Thomas More (1478 bis 1535) schaffte es posthum sogar zum Heiligen. Eingedenk der blutigen Geschichte ihrer Vorgänger lassen sich der oder die Gewählte bis heute scheinbar gegen ihren Willen zum Speaker-Thron zerren.

In Wirklichke­it stellt das hohe Amt eine Auszeichnu­ng dar für altgedient­e Parlamenta­rier. Mit dem schönen, dem Premiermin­ister gleichgest­ellten Gehalt von 175 500 Euro geht das kostenlose Wohnrecht im Palast von Westminste­r einher.

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FOTO: AFP/PRU Lindsay Hoyle ist neuer Präsident des britischen Unterhause­s.

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