Heuberger Bote

„Das Kapitel R.E.M. ist vorbei“

Michael Stipe und Mike Mills stehen zur Entscheidu­ng, ihre Band aufzulösen

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or 25 Jahren waren R.E.M. eine der wichtigste­n und erfolgreic­hsten Rockgruppe­n der Welt. Ihr 1994 erschienen­es Album „Monster“erlebt jetzt eine opulente Jubiläumsn­euauflage. Werner Herpell hat zwei Mitglieder der 2011 aufgelöste­n US-Band getroffen: ein Doppelinte­rview mit Sänger Michael Stipe und Bassist Mike Mills über die Musik von damals, die Zeit nach der Auflösung – und über aktuelle Politik, denn R.E.M. waren immer auch eine politisch engagierte Band.

Mister Stipe, es ist ein rares Vergnügen, Sie für ein Interview hier zu haben. Nach dem Split von R.E.M. haben Sie sich lange Zeit kaum noch öffentlich geäußert. Woran lag es?

Stipe (lacht): Ach, manchmal möchte ich einfach nicht so gern reden. Aber jetzt bin ich bereit.

Der Hauptgrund für unser Treffen ist „Monster“, Ihr R.E.M.-Album von 1994. Denken Sie, dieses Werk, eine ungewöhnli­ch raue Rockplatte nach dem Pop-Welterfolg „Automatic For The People“, sollte heute anders bewertet werden?

Stipe: Ja, es kann durchaus eine neue Erfahrung sein für die Fans von damals, dieses Album jetzt noch einmal zu hören und neu schätzen zu lernen. Und es kann eine Chance sein für neue Fans, die ein Album wie „Monster“noch nie gehört haben. Für uns ist es ein ganz besonderes Album. Wenn man auf unseren Karriereve­rlauf schaut, war „Monster“echt seltsam, aber ich bin sehr stolz drauf. Mills: Wir haben als R.E.M. eigentlich von Anfang an richtig gerockt. Die Alben spiegelten nicht immer unsere Liveshows wider, die echter Rock’n’Roll waren. Aber bei „Monster“haben wir tatsächlic­h freiwillig die Verstärker aufgedreht und die großen Gitarren rausgeholt, und wir hatten dabei eine gute Zeit. Neben schönen ruhigen Platten wollten wir eben auch laut brüllende Platten machen. „Monster“war so eine. Stipe: Als wir „Automatic…“machten, reagierten wir auf die damalige Zeit. Das war 1992, eine andere Phase. Man isst ja auch nicht jeden

Abend chinesisch, man muss ein bisschen variieren. Und wir wollten uns während unserer gesamten R.E.M.-Karriere nie wiederhole­n.

Gibt es Lieder von „Monster“, auf die Sie mit der Jubiläumsa­usgabe nochmal aufmerksam machen wollen?

Mills: Im Kern ging es bei uns immer um das Songwritin­g. Wir waren bei R.E.M. sehr stolz auf unsere Qualitäten als Songwriter. Und wenn man jetzt die puren Songs von „Monster“hört, ohne die Effekte und Gimmicks, die wir später draufgepac­kt haben – dann erkennt man, wie stark diese Lieder sind. Das hat Bestand. Stipe: Es gibt ja den Lagerfeuer-Test – also ob ein Lied auch nur zur Gitarre am Lagerfeuer gut klingt. Und zehn bis zwölf Songs von „Monster“bestehen diesen Test. Das ist eine ganze Menge.

Acht Jahre ist es jetzt her, dass R.E.M. sich getrennt haben. Mister Stipe, Sie haben sich danach aus dem Business völlig zurückgezo­gen, kürzlich aber mit „Your Capricious Soul“überrasche­nd einen neuen Song veröffentl­icht. Was dürfen sich Fans Ihrer Musik erhoffen?

Stipe: Das Kapitel R.E.M. ist vorbei. Aber wenn ich etwas tue wie jetzt diese Single, dann mit ganzem Herzen. Ich würde keinen Song herausbrin­gen, wenn ich nicht glaubte, dass er das Beste ist, wozu ich fähig bin. Auf „Your Capricious Soul“bin ich sehr stolz. Und ich arbeite an weiteren Liedern. Ob ein Album daraus wird, weiß ich noch nicht. Ich setze mich da auch nicht unter Druck. Denn ein Album ist im Jahr 2019 ein ganz anderes Ding als vor 25 Jahren.

Mister Mills, wie erging es Ihnen? Haben Sie R.E.M. nach dem freundscha­ftlichen Split von 2011 vermisst?

Mills: Ach, wissen Sie, das sind zwei Dinge. Einerseits vermisst man natürlich so eine tolle Band, man vermisst es, gemeinsam auf die Bühne zu klettern und Shows zu spielen, man vermisst diese ganze Musik, die wir gemeinsam gemacht haben. Auf der anderen Seite war es das Richtige, die Band irgendwann aufzulösen. Ich denke, wir haben alle unseren Frieden damit gemacht.

Lassen Sie uns über Politik sprechen. Mister Stipe, Sie haben Ihre Single zur Unterstütz­ung der Klima-Aktivisten von Extinction Rebellion herausgebr­acht. Ist das etwas Neues für Sie?

Stipe: Nein, ich komme aus einer Tradition von Pro-Umwelt-Aktivismus. Schon 1981 haben R.E.M. eine Show für eine Umweltschu­tzgruppe gespielt. Und wir haben auch sonst immer sehr deutlich unsere Meinung zur US-amerikanis­chen Politik gesagt. Das mit Extinction Rebellion entspricht also einer Richtung, die wir schon als R.E.M. vertreten haben. Früher haben wir Greenpeace unterstütz­t. Die sind super, aber 2019 brauchen wir auch so etwas wie Extinction Rebellion, einen gewaltfrei­en Klimaprote­st, um den Regierunge­n der Welt entgegenzu­treten und zu sagen: Ihr tut nicht genug.

Und wie sehen Sie beide die politische Lage in den USA ein Jahr vor der Präsidents­chaftswahl — mit Donald Trump im Weißen Haus?

Stipe: Wissen Sie, ich habe mir in New York ein T-Shirt gekauft, darauf steht in 14 Sprachen: „I'm sorry about our President“. Ich könnte mich als Amerikaner kaum mehr schämen, als ich es derzeit tue. Und die Chancen einer Wiederwahl Trumps sind groß – es muss also unbedingt eine Alternativ­e für das amerikanis­che Volk geben. Denn Trump ist die Wahl einer Minderheit. Es sollte niemand glauben, dass wirklich 50 Prozent der Amerikaner denken, er mache einen guten Job. Oh je, mein Blut beginnt zu kochen, wenn ich darüber rede… (dpa)

 ?? FOTO: BRITTA PEDERSEN ?? Die US-Musiker Mike Mills (links) und Michael Stipe feiern den 25. Geburtstag ihres Albums „Monster“, auf dem unter anderem der Song „What’s the Frequency, Kenneth?“enthalten ist. Zum Jubiläum sind diverse Neuauflage­n erhältlich.
FOTO: BRITTA PEDERSEN Die US-Musiker Mike Mills (links) und Michael Stipe feiern den 25. Geburtstag ihres Albums „Monster“, auf dem unter anderem der Song „What’s the Frequency, Kenneth?“enthalten ist. Zum Jubiläum sind diverse Neuauflage­n erhältlich.

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