Drogengeschäfte in Millionenhöhe
Kokainhandel: Zwei Tuttlinger stehen vor dem Landgericht in Rottweil
- Unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen und enormem Aufwand hat am Dienstag vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Rottweil der Prozess gegen acht Männer und eine Frau wegen bandenmäßigen, bewaffneten Drogenhandels in großem Stil begonnen. Zwei Beschuldigte aus Tuttlingen betonten am ersten Verhandlungstag ihre bürgerliche Lebensweise. Ihre Verteidiger bestritten vehement eine entscheidende Tatbeteiligung ihrer Mandanten.
Doch die Anklage von Oberstaatsanwalt Michael Gross und Staatsanwalt Benjamin Koch wiegt schwer. Sie gehen von organisierter Kriminalität und Drogen-Geschäften in Millionenhöhe aus. „Die Angeklagten schlossen sich in Tuttlingen und andernsorts als Mitglieder eines europaweit agierenden Netzwerks einer mazedonisch-albanischen Bande zusammen, um zwischen Mai 2017 und September 2018 Betäubungsmittel, besonders Kokain, in nicht geringen Mengen nach Deutschland einzuführen und Handel zu treiben“, stellte Koch in der umfangreichen Anklageschrift fest. Die Bande sei dabei „äußerst konspirativ“vorgegangen. Kopf der Gruppierung sei „eine bisher nicht identifizierte, aber namentlich bekannte Person“mit verwandtschaftlichen Bezügen zu anderen Beschuldigten aus Nordmazedonien.
Von Rotterdam aus seien die Drogen meist in Verpackungen zwischen zwei und fünf Kilogramm nach Deutschland per Lkw oder Pkw eingeschmuggelt worden. Lieferorte für das Kokain seien Tuttlingen, Stuttgart, Düsseldorf, Neustadt an der Weinstraße, Frankfurt, Berlin und Salzburg gewesen. In jeder Stadt habe es „Gebietsverantwortliche“gegeben. Insgesamt listete der Staatsanwalt 46 konkret beschriebene Taten und die dafür Verantwortlichen auf. Ein Kilo Kokain sei, je nach Qualität, zwischen 35 000 und 60 000 Euro verkauft worden, sagte Koch. Allein bei den höchstgehandelten Mengen habe es sich um 120 Kilogramm Kokain gehandelt, woraus klar wird, dass es sich um ein Millionen-Geschäft gehandelt haben muss, wenn die Vorwürfe stimmen.
In ersten Stellungnahmen widersprachen die Verteidiger der beiden Angeklagten aus Tuttlingen entschieden der Version der Staatsanwaltschaft.
Diese stütze sich, so der aus dem Fernsehen bekannte Anwalt Ingo Lenßen, im wesentlichen auf die Angaben eines Kronzeugen, aber der habe sich als völlig unglaubwürdig erwiesen, zudem seien die Ermittlungen der Polizei fragwürdig.
Die beiden Angeklagten aus Tuttlingen zeigten sich, im Gegensatz zu anderen Mitangeklagten, bereit, Angaben zur Person zu machen. Beiden ist gemeinsam, dass sie als Kinder nach Tuttlingen kamen, inzwischen deutsche Staatsangehörige sind, bei der gleichen Firma in Tuttlingen arbeiten und sich als „absolute Familienmenschen“beschreiben.
Ein inzwischen 43-jähriger Mann kam mit zwölf Jahren aus dem heutigen Nordmazedonien nach Tuttlingen. Er arbeitete sich schnell durch enormen Fleiß und Ehrgeiz hoch, wie er berichtete, hat inzwischen ein eigenes Haus, wo er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern sowie den teilweise pflegebedürftigen Eltern lebt. Mit Alkohol oder Rauschgift habe er nichts zu tun, beteuerte er. Und: „Ich kenne nichts als meine Familie, meine Firma, meinen Espresso und meine Zeitung!“
Ein 47-Jähriger kam, ebenfalls in jungen Jahren, nach Tuttlingen. Auch er wohnt mit Familie und den Eltern in einem Eigenheim. Und auch er betonte auf Fragen von Karlheinz Münzer, dem Vorsitzenden Richter, mit Alkohol oder Rauschgift nichts zu tun zu haben. Weil ihm nur eine Straftat vorgeworfen wird und die nach Überzeugung seines Verteidigers
überhaupt nicht bewiesen sei, forderte der, dieses Verfahren abzutrennen, um die Existenz seines Mandanten durch eine lange Verhandlung und entsprechend lange Untersuchungshaft nicht zu zerstören. Das Gericht lehnte mit der Begründung ab, „zum jetzigen Zeitpunkt“sei das nicht angezeigt.
Auch das Gericht musste sich gleich am ersten Verhandlunsgtag in Frage stellen lassen. Wolfgang Burkhardt, einer der Verteidiger, mahnte „eine fehlerhafte Besetzung“an, weil die beiden Nebensitzer entgegen den Regeln berufen worden seien. Darüber
muss jetzt dasselbe Gericht, zu dem noch zwei Schöffen, ein Ergänzungsrichter und zwei Ergänzungsschöffen gehören, entscheiden. Vorsitzender Münzer erklärte, darüber wolle man später befinden und jetzt erst einmal weiterverhandeln. Das ist ein Risiko und birgt die Gefahr, dass der ganze Prozess durch eine Revision noch einmal ganz neu auzfgerollt werden müsse. Oberststaatsanwalt Gross indes sieht diese Gefahr nicht. Er nannte die Besetzung „vorbildlich“.
Der Prozess wird am Mittwoch um 9 Uhr fortgesetzt.