Viele Lebensmittel sind „oft länger gut“
Ein neuer Zusatzaufdruck soll das Mindesthaltbarkeitsdatum relativieren
- Muss der Joghurt nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) in die Abfalltonne oder ist Milch danach noch trinkbar? Viele Verbraucher werfen Lebensmittel einfach weg, wenn das aufgedruckte Datum erreicht ist. Dabei sind viele Produkte noch völlig in Ordnung. Mit dem zusätzlichen Aufdruck „oft länger gut“wollen Lebensmittelhersteller und Händler dafür werben, dass die Kunden erst einmal probieren, ob die Ware noch nach Ablauf des MHD schmeckt. Gut 25 Unternehmen unterstützen die Initiative, darunter auch Lidl, Kaufland, Penny, dm, die Biocompany und Danone. „Was noch länger gut ist, muss nicht in den Müll“, sagt der Chef der Biocompany, Georg Kaiser. Mit dem Label wolle das Unternehmen für einen behutsamen Umgang mit den Ressourcen der Erde sensibilisieren.
Das EU-weit geltende MHD ist ein Grund für die immer noch zu große Verschwendung von Lebensmitteln. Das Ablaufdatum sorgt nach EU-Schätzung für zehn Prozent der Abfälle. Auch für die restlichen 90 Prozent des Aufkommens sind Lösungen gefragt. „Allein hierzulande wandern jedes Jahr rund zwölf Millionen Tonnen genießbare Lebensmittel in den Müll“, beklagt Ernährungsministerin Julia Klöckner das Ausmaß an Verschwendung. Die Hälfte des Abfalls steuern die privaten Haushalte bei. Verluste gibt es jedoch auf der gesamten Produktionsund Lieferkette, angefangen vom Feld über die Industrie, den Handel oder die Gemeinschaftsverpflegung. „Ein großer Teil davon wäre vermeidbar“, sagt Klöckner.
Die Ministerin aus der CDU will dies durch Kooperation aller beteiligten Branchen erreichen. An diesem Dienstag startete das „Nationale Dialogforum Reduzierung der Lebensmittelverschwendung“. Zeit wird es. Immerhin hat sich die Bundesregierung gegenüber den Vereinten
Nationen zur Halbierung der Vergeudung bis zum Jahr 2030 verpflichtet. Leicht wird das nicht, wie ein Blick auf die Tafeln zeigt. Auch ohne Zwang wie in Frankreich spenden Supermärkte oder Hersteller tonnenweise nicht mehr verkäufliche Lebensmittel. Die Logistik der Tafeln reicht für diese Mengen gar nicht mehr aus. „Vor allem große Mengen von Produzenten müssen wir mitunter ablehnen, weil unsere Infrastruktur dem nicht gewachsen ist", klagte Tafel-Chef Jochen Brühl nun und fordert eine Förderung für Fahrzeuge, Lager und Personal.
Pfiffige Ideen, die Abfälle vermeiden und auch nichts kosten, gibt es auch. Zwölf Modellbetriebe der Gastronomie „Außer Haus“zeichnen derzeit ihre jeweiligen Vorkehrungen und Erfolge auf. Am Ende dieser Phase werden die wirkungsvollsten Maßnahmen ausgetauscht. Bewährt hat sich in der Gemeinschaftsverpflegung zum Beispiel, Buffets zum Ende hin mit kleineren Schüsseln oder Platten zu bestücken. So bleibt weniger übrig.
Doch der gute Wille der Beteiligten stößt an einigen Stellen auch an Grenzen. So sieht der Handel einen Zielkonflikt. „Auf der einen Seite sollen wir zum Schutz der Umwelt Verpackungsmaterial sparen, auf der anderen Seite Lebensmittelverluste reduzieren“, sagt Philipp Hengstenberg, Präsident des Lebensmittelverbands Deutschland. Doch manche unverpackte Lebensmittel seien nicht so lange haltbar. Hinter vorgehaltener Hand äußern sich Vertreter des Einzelhandels gegenüber den hochgesteckten Zielen der Bundesregierung skeptisch. Der Wettbewerb im Handel werde entweder über den Preis oder über die Qualität geführt. Die Billigstrategie sei nicht erwünscht, bleibe die Qualität. Diese wiederum bedinge ein besseres Sortiment als beim Rivalen. Von einem größeren Angebot bleibe dann am Ende des Tages auch mehr übrig.