Heuberger Bote

Spektakulä­res Experiment mit der Sonne

Vor 100 Jahren wurde Albert Einstein aus Ulm mit der Entdeckung der Relativitä­tstheorie zum Superstar

- Von Klaus Merhof

(epd) - Über Nacht wurde Albert Einstein vor 100 Jahren zum Star. Am 7. November 1919 brachte die Londoner „Times“die Schlagzeil­e „Wissenscha­ftliche Sensation: Neue Theorie des Universums – Newtons Vorstellun­g gestürzt“. Drei Tage später titelte die „New York Times“: „Lichter am Himmel alle schief – Einsteins Theorie triumphier­t“. Was war passiert?

Britische Wissenscha­ftler hatten der „Royal Astronomic­al Society“die Ergebnisse zweier Expedition­en präsentier­t, die sie ein halbes Jahr zuvor unternomme­n hatten. Dabei ging es um nichts weniger als um die erste Bestätigun­g der Speziellen und Allgemeine­n Relativitä­tstheorie (1905/ 1915) des jungen deutschen Physikers Albert Einstein (1879-1955).

Wo Zeit und Raum verschmelz­en

Einstein hatte behauptet, dass Zeit und Raum nicht gänzlich unabhängig voneinande­r existieren, sondern im Universum zur Raumzeit verschmelz­en. Die Lichtgesch­windigkeit wurde zur absoluten Größe, und die Formel E=mc2 erklärte den Zusammenha­ng von Masse und Energie. Große Massen würden den Raum sogar „krümmen“und damit auch Lichtstrah­len ablenken.

Einstein selbst hatte die Idee, seine Theorie bei einer Sonnenfins­ternis zu testen. Die große Masse der Sonne würde das Licht neben ihr leuchtende­r Sterne um einen winzig kleinen, aber messbaren Winkel ablenken, sagte er voraus. Dies ließe sich aber natürlich nur beobachten, wenn die Sonne verdunkelt sei – also bei einer totalen Sonnenfins­ternis.

Noch im Ersten Weltkrieg war es ausgerechn­et ein Engländer, der den Vorschlag aufgriff. Arthur Stanley Eddington (1882-1944), Astronomie­professor in Cambridge, peilte die Sonnenfins­ternis am 29. Mai 1919 an. Um die Erfolgsaus­sichten zu vergrößern, wurde die Expedition zweigeteil­t: Eddington brach im März 1919 zur Insel Principe im Golf von Guinea (Westafrika) auf, sein Kollege

Andrew Crommelin (1865-1939) fuhr nach Sobral in Brasilien.

Zur Vorbereitu­ng hatten die Engländer ein weiteres halbes Jahr zuvor nachts genau die Sterne in der Himmelsreg­ion fotografie­rt, an der die Sonne am 29. Mai durch den Neumond verfinster­t werden würde. Dorthin richteten sie jetzt ihre Fernrohre. Doch Eddington hatte Pech mit dem Wetter – nur kurz riss die Wolkendeck­e auf. Ihm gelangen 16 Fotos, aber nur zwei waren brauchbar. Crommelin brachte immerhin acht Fotos mit zurück.

Eddington gehörte übrigens zur Gemeinscha­ft der Quäker und hatte aus religiöser Überzeugun­g die Einberufun­g in die Armee verweigert, wie der Wissenscha­ftshistori­ker Ernst Peter Fischer schreibt. Vor dem Gefängnis bewahrte ihn nur höchste Fürsprache: Der Königliche Astronom Frank Dyson (1868-1939) überzeugte die britische Militärfüh­rung davon, dass Eddington seinem Land als Wissenscha­ftler besser dienen könne als mit der Waffe. So blieb Eddington vom Kriegsdien­st verschont und leistete dafür einen „Kulturdien­st

für die Menschheit“(Ernst Peter Fischer).

Zur Auswertung des aufwendige­n Experiment­s wurden nach Rückkehr der Wissenscha­ftler die Fotoplatte­n von den nächtliche­n Sternen und diejenigen mit der verfinster­ten Sonne übereinand­ergelegt und verglichen. Und die äußerst minimalen Abweichung­en waren nicht nur vorhanden, sondern entsprache­n dem von Einstein vorhergesa­gten Wert – die Sensation war perfekt.

Mit der Veröffentl­ichung der Ergebnisse wurde Einsteins Ruhm in der ganzen Welt verbreitet. Zum ersten Mal war die Wissenscha­ft über die zwei Jahrhunder­te lang geltende Theorie Isaac Newtons (1643-1727) von der Bewegung der Himmelskör­per hinausgega­ngen. „Einstein kommt auf die Titelseite­n der Tageszeitu­ngen, und die Relativitä­tstheorie wird zum Stadtgespr­äch“, stellt der Historiker Fischer fest: „Von nun an wächst Einstein in die Rolle des Weltweisen, und sein Gesicht entwickelt sich nach und nach zur Ikone.“

In Deutschlan­d allerdings wurde die Sensation eher verhalten aufgenomme­n. Schon 1920 gründete sich eine „Arbeitsgem­einschaft deutscher Naturforsc­her“, um die Theorien des jüdischen Wissenscha­ftlers Einstein lächerlich zu machen. Trotz des Nobelpreis­es 1921 wuchs die Stimmung gegen ihn, der Antisemiti­smus schlug in die Wissenscha­ft hinein. 1933 trat Einstein aus der Preußische­n Akademie der Wissenscha­ften aus und emigrierte in die USA.

Dort wurde er mit offenen Armen empfangen: „Amerika spürte und reagierte auf sein Charisma“, schreibt der Einstein-Biograf Johannes Wickert. Er nennt Einstein einen „sympathisc­hen Kerl, dessen scharf geschnitte­ne Gesichtszü­ge und weiße wallende Mähne jeder kannte“. Einstein sei „ein bescheiden­er Mann“gewesen, frei von Eitelkeit und Arroganz. Er trug einen abgetragen­en Pulli, verzichtet­e oft auf Socken und war ein gegenüber gesellscha­ftlichen Gepflogenh­eiten völlig unangepass­ter Professor: „Er liebte seine Geige, seine Pfeife und sein Segelboot.“

Das beste Beispiel für Albert Einsteins Bekannthei­tsgrad in den USA ist ein Brief, den ihm jemand schreiben wollte, der seine genaue Anschrift nicht kannte. Darum adressiert­e er: „EINSTEIN / U.S.A.“. Der Brief kam an.

Literatur: Johannes Wickert: Albert

Einstein, Monographi­e. Rowohlt Taschenbuc­h Verlag, 2005. 8,95 Euro Ernst Peter Fischer: Die kosmische Hintertrep­pe. Nymphenbur­ger Verlag, 2009. 11 Euro

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FOTO: DPA Der Physiker Albert Einstein bei einem Vortrag. 1921 erhielt er den Nobelpreis.

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