„Man muss aufeinander hören und manchmal muss man nachgeben“
Waldemar und Katharina Walger haben 50 bewegte Ehejahre erlebt und feiern Goldene Hochzeit
- Man kann einer staatlich verordneten 1. Mai-Feier auch sein Lebensglück verdanken. Denn nach der Demonstration gab es in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek,
in deren Nähe der 20-jährige Waldemar Walger und die 17-jährige Katharina Fink lebten - Party. Da lernten sie einander kennen. Auf jeden Fall bei ihm war es Liebe auf den ersten Blick und sie war schnell ebenfalls entflammt: Am 7. November
1969, an ihrem 18. Geburstag heirateten die beiden.
Sie waren aber beide erst kurz zuvor nach Kirgisien gezogen, beide nämlich in Sibirien geboren, wohin die Wolgadeutschen im zweiten Weltkrieg nach dem deutschen Überfall auf Russland vertrieben worden waren. Die wolgadeutsche Heimat, in der 1763 ihre Vorfahren angesiedelt worden waren, kannten die beiden jungen Leute nicht. Aber wie es der Zufall wollte, lebten ihre Großeltern dort in Dörfern, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt waren. In Sibirien liegen ihre Geburtsstädte rund 800 Kilometer von einander entfernt. Er war glücklich, eine deutschstämmige Frau getroffen zu haben, die auch noch zufällig denselben Nachnamen hatte, wie seine Großmutter.
„Es war eine kleine Hochzeit“zuhause im kirgisischen Dorf, sagt Katharina Walger. Ein Musiker spielte Akkordeon, rund 120 Gäste kamen über die beiden Wochenende-Tage vorbei. Geschenke waren praktisch – meist Teile für den neuen Hausstand. Sie arbeitete als Melkerin in einer Kolchose, er als Maurer und Kraftfahrer. Drei Kinder bekamen sie, heute 49, 45 und 40 Jahre alt. Die beiden Söhne leben in Tuttlingen, Tochter Tatjana im selben Haus zusammen mit Enkel Daniel. Die zweite Enkelin lebt in Tuttlingen.
Der Einschnitt kam 1992. Der Zusammenbruch der Sowjetunion schuf eine Atmosphäre wie Vertreibung. Die Deutschen und die Russen sollten gehen. „Wir waren für die Kirgisen noch immer die Faschisten“. Sie reisen aus nach Deutschland. Sprachlich war es für sie gar kein Problem. Zwar ist ihr Deutsch Altdeutsch, weil in der Sprachinsel weiter gegeben, aber man verstand sich und lernte dazu. Die Kinder lernten deutsch, teils in Kirgisien, teils in Deutschland. Und nachdem es bereits eine Schwester von Katharina Walger in Geisingen gab, war der Kreis Tuttlingen die neue Heimat. Waldemar Walger macht zwar nicht viele Worte, aber die sitzen: „Am 16. Dezember sind wir gekommen, im Januar habe ich schon bei Elsässer in Geisingen gearbeitet.“
Am Anfang war alles ungewohnt, vor allem aber, dass man alles kaufen musste. Zuhause waren sie Selbstversorger, hatten Hühner, Schweine, Kühe.
Sie arbeitete dann als Raumpflegerin bei der Stadt Tuttlingen, wo sie lebten. Vor zwei Jahren bauten Walgers in Spaichingen zusammen mit ihrer Tochter, die schon über 20 Jahre bei Hewi arbeitet.
Ihre alte Heimat haben sie in der ganzen Zeit nur einmal besucht und waren erschüttert, wie arm die Menschen dort sind – und wie viele ihrer gleichaltrigen Freunde und Arbeitskollegen bereits mit Mitte 50 gestorben sind.
Inzwischen besuchen sie auch in Deutschland ein Grab: Das von Waldemar Walgers Mutter, die nach Deutschland gekommen war und inzwischen mit 93 Jahren gestorben ist.
Wurzeln geschlagen haben auch die Enkel, die ja hier geboren sind. Für sie ist es kein Thema mehr, dass die Eltern einst eine andere Heimat hatten.
Walgers strahlen eine große Zufriedenheit aus, auch mit Blick auf ihre Ehe, in der sie Höhen und Tiefen gemeinsam durchschritten haben. Wie macht man das, so lange beieinander zu bleiben? „Hören“, sagt er und sie: „Man muss auf einander hören und manchmal muss man nachgeben“. Und er: „Und einer muss der eher ruhigere sein, wenn der andere temperamentvoll ist.“Man ahnt, wer bei beiden der Ruhigere ist.