Auch zum Aufbruch braucht es Wurzeln
Menschen aus dem Kreis erzählen ihre Migrationserfahrungen im Film
- Der Kriegsflüchtling aus Syrien, die Heimatvertriebenen aus Ostpreußen, Gastarbeiter aus Italien und ein Zuwanderer aus Island: Im Film „Wurzeln“lässt der Fridinger Jeremias Heppeler Menschen aus dem Kreis Tuttlingen zu Wort kommen, die ihre Heimat verloren, verlassen oder aufgegeben haben. „Viele Einzelschicksale vermischen sich“, sagt der Filmemacher. Denn jede Migrationsgeschichte nehme ähnliche Stationen.
Es sind die Stationen in der alten Heimat, denen der Aufbruch folgt – aus welchen Gründen auch immer. Nach dem Ankommen dann der nächste Schritt – bei manchem ist es ein vorsichtiges Einfinden, bei anderen echte Integration. Mehr noch: eine neue Heimat.
15 Menschen kommen in 13 Gesprächen zu Wort. 20 Stunden Material hat Heppeler gesammelt, teilweise dauerten die Interviews bis zu drei Stunden. Im Endergebnis bleiben davon nur etwa zehn Minuten für ein Schicksal. Tragisches kommt in den Erzählungen zu Wort, wie die Flucht der 19-jährigen Syrierin. Ebenso gebe es komische Momente, auch durch die Sprachverständigung. Und Romantisches: Migration kommt auch durch Liebe. „Damit ist der Film recht kurzweilig geworden“, so Heppeler.
Diese Auftragsarbeit ist Teil des Gesamtprojekts „Zuwanderung in den Landkreis Tuttlingen von 1945 bis heute“. Bei der Ausstellung im Foyer des Landratsamts läuft der Film in Endlosschleife. Am 21. November wird er im Scala-Kino gezeigt. „Man kann nirgends so gut schauen, wie im Kino“, findet der Filmemacher. Die große Leinwand ziehe in das Geschehen hinein, man sei fokussierter und gefangener vom Geschehen.
Die Titelgebung war dem Autor wichtig: „Dadurch wird es wertiger, auch für mich selbst.“Ursprünglich, so sagt der Tuttlinger Kreisarchivar HansJoachim Schuster, sei ein Dokumentarfilm geplant gewesen: „Dafür hat das Geld nicht gereicht, wir hatten zu wenig Sponsoren.“So einigte man sich auf die Interview-Lösung – damit kam Jeremias Heppeler ins Spiel. Er ist Gesprächspartner und Kameramann in einem, kümmert sich auch um Ton und Schnitt. Insgesamt hat das Projekt
Zuwanderung ein Budget von rund 24 000 Euro. Der Film kostete 5000 Euro.
Die Auswahl der Protagonisten sei sorgfältig erfolgt. Dazu kam das Anliegen des Landratsamts, auch Expertenstimmen zu hören. Landrat Stefan Bär, Sozialdezernent Bernd Mager und Holger Müller, Chef des Fridinger Hammerwerks, das die frühen Gastarbeiter beschäftigt hat und heute viele ihrer Nachkommen, kommen zu Wort. Heppeler: „Mit dieser Vorgabe hatte ich anfangs zu kämpfen.“Bis er sich klar gemacht hat, dass Integration und Migration eine Geschichte
ist, die aus zwei Perspektiven betrachtet werden kann.
In Deutschland gehören sie nicht richtig dazu, und beim Besuch in der alten Heimat auch nicht mehr – „dort sind wir die „Almanca“, sagt Derya Türk-Nachbaur, die türkische Wurzeln hat. Auch das ist ein Grund, warum viele der Migranten, die zum Arbeiten in die Region kamen, letztlich hier bleiben und doch nicht wieder zurückgehen. Und es liegt an den neuen Wurzeln, die sie geschlagen haben. „Unsere Kinder und Enkel leben in Deutschland – was sollen wir dann in der Türkei“, zitiert TürkNachbaur ihre Eltern.