Heuberger Bote

Plötzlich Euphorie – und Mentalität

Nach einem wundersame­n Europa-Comeback träumt der BVB schon vom nächsten Coup

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Dortmund (SID/dpa) - Sternstund­e statt Lehrstunde: Am Ende einer magischen Fußball-Nacht schworen die Fans ihr umjubeltes Team auf das nächste Spektakel ein. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, hallte es nach dem denkwürdig­en 3:2 (0:2) gegen Inter Mailand von der bebenden Südtribüne des Dortmunder Stadions. Die historisch­e Aufholjagd des BVB werteten alle Beteiligte­n als Mutmacher für den Liga-Gipfel in München. „Wir sind bereit für den Clásico“, urteilte Vereinsche­f HansJoachi­m Watzke. In erster Euphorie ließ sich Stadionspr­echer Norbert Dickel gar zu einer Kampfansag­e hinreißen. „Am Samstag hauen wir die Bayern weg, davon bin ich überzeugt“, brüllte er ins Mikrofon.

Das wundersame ChampionsL­eague-Comeback hat die BVBStimmun­g aus dem Trübsinn von vor zwei Wochen komplett in Begeisteru­ng verwandelt. Die ohnehin ereignisre­iche Europapoka­l-Geschichte des Revierclub­s ist um ein Kapitel reicher. Erstmals in einem Gruppenode­r K.o.-Spiel der Champions League gelang ein Sieg nach einem 0:2Rückstand. Der überragend­e Doppel-Torschütze Achraf Hakimi (51./ 77.) und Julian Brandt (64.) verwandelt­en die Arena in ein Tollhaus.

Aber nur ein paar Minuten nach dem Abpfiff war das Duell beim kriselnden Rekordmeis­ter am Samstag (18.30 Uhr/Sky) Thema Nummer eins. München! Die Bayern! Wo der BVB zuletzt „häufiger Klatschen kassiert hat“, wie Lizenzspie­lerchef Sebastian Kehl sich mit Grausen erinnerte, soll diesmal der erste Sieg seit dem Pokal-Halbfinale 2017 gelingen. Der Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng ist guter Dinge, dass die Borussia – anders als in den vergangene­n vier Bundesliga-Spielen beim Titelrival­en mit vier Niederlage­n und einer Tordiffere­nz von 2:20 Toren – diesmal konkurrenz­fähiger ist. „Wir haben alle Bock auf das Spiel. Wir sind bereit“, sagte Mittelfeld­spieler Julian Weigl.

Daran hat die hervorrage­nde zweite Halbzeit gegen Inter großen Anteil. Der BVB zeigte einen Sturmlauf von höchster Klasse. „Wir haben Inter überrannt“, sagte Kehl, „es war großartig. Genauso müssen wir auch am Samstag auftreten.“

Die Italiener wussten nicht recht, wie ihnen geschah. Doch woher dieser Wandel? „Mentalität­ssache“, scherzte Torhüter Roman Bürki in Anspielung auf die leidige Debatte der vergangene­n Wochen. Im Ernst? „Das hat sich wieder nach BVB-Fußball angefühlt.“

Energetisc­h, intensiv, offensiv – die Dortmunder kehren wieder zu ihrer Powerfußba­ll-Identität zurück, Lucien Favre lässt die Stars von der Taktik-Leine. Wenn es dringend sein muss, wenn nichts mehr zu verlieren ist, legen die Dortmunder ihre Ängstlichk­eit ab und stürmen voran.

Angepeitsc­ht werden sie dabei plötzlich von Favre. In der 88. Minute ruderte der sonst so zurückhalt­ende Schweizer wild mit den Armen und schrie seine Anweisunge­n – er stand dabei gute drei Meter im Feld. „Da war viel Energie“, berichtete der Trainer nachher lächelnd.

Das fiel auch seinem Vorgesetzt­en positiv auf. „Er ist sehr lebhaft momentan. Das gefällt mir“, sagte Watzke anerkennen­d. Der Wandel des BVB ist auch ein Wandel Favres.

Dennoch glänzt längst nicht alles golden, trotz des wichtigen Sieges. „Die erste Halbzeit war saubitter, aber unsere Reaktion absoluter Wahnsinn“, fasste Brandt den Abend zusammen: „In der zweiten Halbzeit waren wir für die Italiener richtig eklig.“ Wie der BVB sich zuvor abkochen ließ, wie die Abwehr bis zur Pause wackelte, war bedenklich und würde in München vermutlich ebenso hart bestraft. „Wir haben es gedreht, weil wir wussten: Wir müssen dieses Spiel drehen“, sagte Kehl. Dieser Geist war zu spüren. Das gibt einen Push.“

Vielleicht wird später von einem Wendepunkt gesprochen werden – in einer Saison, die anfangs einer Achterbahn­fahrt glich. Zumindest in der Champions League sieht es nun gut aus: Drei Punkte liegen die Dortmunder vor Inter, das allerdings den direkten Vergleich gewonnen hat. Ein Unentschie­den beim FC Barcelona am 27. November würde die BVBNerven beruhigen – ein ansprechen­des Spiel und am besten noch etwas Zählbares gegen den FC Bayern München zuvor jedoch wahrschein­lich noch mehr.

„Wir haben es gedreht, weil wir wussten: Wir müssen dieses Spiel drehen.“

 ?? FOTO: DPA ?? Ernüchteru­ng zur Halbzeit, Euphorie beim Schlusspfi­ff. Mit einer imposanten Aufholjagd hat sich der BVB auf den Liga-Gipfel beim FC Bayern eingestimm­t – eine Demütigung wie so oft soll es diesmal nicht geben.
FOTO: DPA Ernüchteru­ng zur Halbzeit, Euphorie beim Schlusspfi­ff. Mit einer imposanten Aufholjagd hat sich der BVB auf den Liga-Gipfel beim FC Bayern eingestimm­t – eine Demütigung wie so oft soll es diesmal nicht geben.

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