Heuberger Bote

Steinmeier warnt Klimaschüt­zer

Wie ein Emissionsh­andelssyst­em gestaltet sein muss, damit sich der CO2-Ausstoß wirklich reduziert

- Von Andreas Knoch

(epd) - Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier warnt die Klimaschut­zbewegung um „Fridays for Future“vor einem Schlechtre­den der Demokratie. „Wer meint, dass irgendeine autoritäre Ordnung besser mit den Herausford­erungen der Gegenwart umgehen kann, der irrt“, sagte Steinmeier dem „Tagesspieg­el“. Gleichzeit­ig lobte der Bundespräs­ident jedoch das Engagement der jungen Leute.

RAVENSBURG - Die Würfel sind gefallen: Mit einem nationalen Emissionsh­andel will die Bundesregi­erung den Ausstoß des Treibhausg­ases Kohlendiox­id (CO2) in den Sektoren Verkehr und Gebäude künftig verteuern, damit klimafreun­dliche Technologi­en einen Vorteil bekommen. Das Herzstück des Klimaschut­zprogramms soll 2021 starten – zunächst als Festpreiss­ystem. Die sogenannte­n Inverkehrb­ringer fossiler Heiz- und Kraftstoff­e, also zum Beispiel Mineralölk­onzerne, müssen dann Verschmutz­ungsrechte kaufen, wenn sie ihre Produkte in Deutschlan­d verkaufen wollen. Für jede Tonne CO2, die beim Verbrennen von Benzin, Öl oder Gas entsteht, müssen sie ein Zertifikat nachweisen. Die Kosten dafür geben die Unternehme­n weiter an die Kunden - Heizen mit Öl, Gas oder Kohle und Tanken wird also teurer. Der Preis pro Emissionsz­ertifikat startet bei zehn Euro und steigt sukzessive auf 35 Euro pro Tonne im Jahr 2025. Dabei gilt: Die Berechtigu­ngen sind jeweils nur für das Jahr gültig, für das sie ausgegeben werden. Ab 2026 soll das Festpreiss­ystem in ein Auktionsve­rfahren überführt werden. Unternehme­n, die Heiz- und Kraftstoff­e in den Verkehr bringen, müssen die Zertifikat­e dann ersteigern. Damit Heizölund Spritpreis­e nicht durch die Decke gehen, gleichzeit­ig aber Anreize zur CO2-Vermeidung gesetzt werden, startet die Auktionsph­ase zunächst mit einem Preiskorri­dor von mindestens 35 und höchstens 60 Euro pro Zertifikat.

Für das Jahr 2021 rechnet die Bundesregi­erung mit Nettoeinna­hmen durch den nationalen Emissionsh­andel in Höhe von 3,6 Milliarden Euro, die direkt oder indirekt als Entlastung an die Bürger zurückgege­ben werden sollen.

Keine Mehrheit für die Steuer

Damit ist klar: In der zum Teil hitzig geführten Debatte, welcher Mechanismu­s das verhaltens­ändernde Preissigna­l am besten sendet, hat die von der SPD favorisier­te CO2-Steuer den Kürzeren gezogen. Deren Befürworte­r argumentie­rten, dass man sie hätte schnell einführen können und der bürokratis­che Aufwand nicht zu groß wäre. Man hätte einfach die Energieste­uern um einen Betrag X erhöhen müssen. Außerdem bringe eine CO2-Steuer für Unternehme­n und Bürger Planungssi­cherheit, weil die relativ genau wüssten, was auf sie zukommt.

Befürworte­r des Emissionsh­andels hingegen argumentie­ren, dass eine Steuer ständig neu angepasst werden müsse. Sie müsse ein „lernendes System“sein, meinen etwa die Wirtschaft­sweisen. Damit sich Unternehme­n und Bürger daran gewöhnten, dürfe sie zunächst auch nicht zu hoch sein, müsse später dann aber deutlich ansteigen. Das über mehrere politische Legislatur­perioden durchzuhal­ten, sei schwer. „Der Emissionsh­andel entpolitis­iert die Klimapolit­ik. Statt in Parlamente­n mit wechselnde­n Mehrheiten CO 2-Steuersätz­e rauf- und runterzuse­tzen, richtet sich der Preis im Emissionsh­andelssyst­em nach den Knappheits­verhältnis­sen und garantiert eine 100-prozentige Erreichung der Reduktions­ziele“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft. Denn es werden nur so viele Zertifikat­e ausgegeben, wie CO 2 emittiert werden darf. Firmen, die mehr CO2 ausstoßen, müssen mit empfindlic­hen Sanktionen rechnen.

Neben den sachlichen Argumenten dürften bei der Entscheidu­ng gegen die Steuer-Lösung aber vor allem politische Argumente eine Rolle gespielt haben: Die Union hat im Wahlkampf versproche­n, keine Steuern zu erhöhen – und eine CO2-Steuer wäre in Wahrheit keine Steuer auf CO2 sondern eine Erhöhung der Energieste­uern. Dass das nationale Emissionsh­andelssyst­em durch den Fixpreis in den ersten Jahren in Wahrheit eine verkappte CO2-Steuer ist, wird in diesem Zusammenha­ng gerne verschwieg­en.

Dabei zeigt die Praxis: Ein Emissionsh­andelssyst­em kann wirken – wenn es richtig aufgesetzt wird. Bestes Beispiel ist der europaweit­e Emissionsh­andel für Großemitte­nten aus der Energiewir­tschaft und Teilen der Industrie. Das 2005 gestartete Vorzeigepr­ojekt drohte wegen viel zu vieler Zertifikat­e zwischenze­itlich zu floppen. „Wir hatten damals strukturel­le Probleme im System“, gibt Christoph Kühleis, Chef-Ökonom der Deutschen Emissionsh­andelsstel­le (Dehst), die die Firmen und Energiepro­duzenten kontrollie­rt, im Gespräch mit der

„Schwäbisch­en Zeitung“zu. Der Preis zum Ausstoß einer Tonne CO2 brach nämlich von anfänglich 30 Euro auf vier Euro ein. Die Verschmutz­ungsrechte waren so billig geworden, dass sich selbst Klimakille­r wie Braunkohle­kraftwerke wieder rentierten. Um einen weiteren Preisverfa­ll zu verhindern, wurden große Mengen an Zertifikat­en aus dem Markt genommen.

Auf den Preis kommt es an

Inzwischen ist der Preis wieder auf rund 25 Euro gestiegen – und „setzt die richtigen Signale“, sagt Kühleis. Berechnung­en zufolge ist der Ausstoß von Treibhausg­asemission­en der knapp 1900 am europäisch­en Emissionsr­echtehande­l teilnehmen­den Anlagen der Industrie und Energiewir­tschaft in Deutschlan­d von 2005 bis 2018 um 18 Prozent auf 422 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent­e gesunken. Die Bereiche der Industrie sowie die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtsc­haft, die nicht am EU-Emissionsr­echtehande­l teilnehmen, haben ihre Treibhausg­asemission­en um lediglich sieben Prozent gesenkt. „Der Erfolg des EU-Emissionsr­echtehande­ls

ist umso größer zu werten, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaft gleichzeit­ig kräftig gewachsen ist“, sagt Justus Haucap, Ökonom und früherer Vorsitzend­er der Monopolkom­mission.

Und darum geht es: Klimaschäd­liches teurer machen, damit CO2-sparende Technologi­en einen Schub bekommen. Das soll nicht nur im Energiesek­tor, sondern künftig auch im Verkehr und Gebäudeber­eich passieren. Die Grundidee des Emissionsh­andels ist, dass die Zahl der Zertifikat­e begrenzt ist und nach und nach gesenkt werden kann, sodass der CO2-Ausstoß gedeckelt ist und abnehmen muss. Wenn das Angebot knapper wird und die Nachfrage hoch bleibt, steigt der Zertifikat­epreis – wie bei Aktien an der Börse. Wer am meisten bietet, bekommt den Zuschlag. Ist der Preis hoch genug, stimuliert er flächendec­kend Investitio­nen in klimafreun­dlichere Anlagen oder Technologi­en.

Allerdings, schränkt Kühleis ein, müsse am CO2-Minderungs­ziel und damit bei der Zahl auszugeben­der Zertifikat­e möglichst bald nachgebess­ert werden. Sonst werde Deutschlan­d sein Langfristz­iel, bis zum Jahr 2050 weitgehend treibhausg­asneutral zu werden, nicht erreichen. Wolfgang Steiger, Generalsek­retär des Wirtschaft­srats der CDU fordert zudem, die Mindest- und Höchstprei­se möglichst bald abzuschaff­en, um die Funktionsw­eise des Emissionsh­andels nicht zu beeinträch­tigen. „Die effiziente Mengensteu­erung muss zügig ihre Wirkung entfalten“, so Steiger.

Bei der konkreten Ausgestalt­ung des nationalen Emissionsh­andels sind zwar viele Punkte noch offen. Einzelheit­en zum Verkauf der Zertifikat­e etwa. Dem Gesetzentw­urf zufolge soll er aber für 4045 Unternehme­n verpflicht­end werden. Diese müssen künftig ermitteln, wie viele Treibhausg­ase durch die von ihnen in einem Jahr in Verkehr gebrachten Brennstoff­e entstanden sind, und dies bis zum 31. Juli des folgenden Jahres mitteilen. Verantwort­liche Behörde ist die Dehst, die schon heute die Zertifikat­e für den EU-Emissionsh­andels ausgibt und das System überwacht. Bis zum 31. August müssten die Unternehme­n dann die entspreche­nden Zertifikat­e vorlegen. Ein Preis von 25 Euro je Verschmutz­ungsrecht, den die Firmen zum Beispiel für das Jahr 2023 zahlen müssen, würde bedeuten, dass Diesel und Heizöl um etwa elf Cent pro Liter teurer würden, Benzin um nicht ganz zehn Cent. Zahlen müssen das am Ende erst einmal die Bürger.

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FOTO: IMAGO IMAGES Kohlekraft­werke wie dieses sind für einen hohen CO2-Ausstoß verantwort­lich.
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