Steinmeier warnt Klimaschützer
Wie ein Emissionshandelssystem gestaltet sein muss, damit sich der CO2-Ausstoß wirklich reduziert
(epd) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt die Klimaschutzbewegung um „Fridays for Future“vor einem Schlechtreden der Demokratie. „Wer meint, dass irgendeine autoritäre Ordnung besser mit den Herausforderungen der Gegenwart umgehen kann, der irrt“, sagte Steinmeier dem „Tagesspiegel“. Gleichzeitig lobte der Bundespräsident jedoch das Engagement der jungen Leute.
RAVENSBURG - Die Würfel sind gefallen: Mit einem nationalen Emissionshandel will die Bundesregierung den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in den Sektoren Verkehr und Gebäude künftig verteuern, damit klimafreundliche Technologien einen Vorteil bekommen. Das Herzstück des Klimaschutzprogramms soll 2021 starten – zunächst als Festpreissystem. Die sogenannten Inverkehrbringer fossiler Heiz- und Kraftstoffe, also zum Beispiel Mineralölkonzerne, müssen dann Verschmutzungsrechte kaufen, wenn sie ihre Produkte in Deutschland verkaufen wollen. Für jede Tonne CO2, die beim Verbrennen von Benzin, Öl oder Gas entsteht, müssen sie ein Zertifikat nachweisen. Die Kosten dafür geben die Unternehmen weiter an die Kunden - Heizen mit Öl, Gas oder Kohle und Tanken wird also teurer. Der Preis pro Emissionszertifikat startet bei zehn Euro und steigt sukzessive auf 35 Euro pro Tonne im Jahr 2025. Dabei gilt: Die Berechtigungen sind jeweils nur für das Jahr gültig, für das sie ausgegeben werden. Ab 2026 soll das Festpreissystem in ein Auktionsverfahren überführt werden. Unternehmen, die Heiz- und Kraftstoffe in den Verkehr bringen, müssen die Zertifikate dann ersteigern. Damit Heizölund Spritpreise nicht durch die Decke gehen, gleichzeitig aber Anreize zur CO2-Vermeidung gesetzt werden, startet die Auktionsphase zunächst mit einem Preiskorridor von mindestens 35 und höchstens 60 Euro pro Zertifikat.
Für das Jahr 2021 rechnet die Bundesregierung mit Nettoeinnahmen durch den nationalen Emissionshandel in Höhe von 3,6 Milliarden Euro, die direkt oder indirekt als Entlastung an die Bürger zurückgegeben werden sollen.
Keine Mehrheit für die Steuer
Damit ist klar: In der zum Teil hitzig geführten Debatte, welcher Mechanismus das verhaltensändernde Preissignal am besten sendet, hat die von der SPD favorisierte CO2-Steuer den Kürzeren gezogen. Deren Befürworter argumentierten, dass man sie hätte schnell einführen können und der bürokratische Aufwand nicht zu groß wäre. Man hätte einfach die Energiesteuern um einen Betrag X erhöhen müssen. Außerdem bringe eine CO2-Steuer für Unternehmen und Bürger Planungssicherheit, weil die relativ genau wüssten, was auf sie zukommt.
Befürworter des Emissionshandels hingegen argumentieren, dass eine Steuer ständig neu angepasst werden müsse. Sie müsse ein „lernendes System“sein, meinen etwa die Wirtschaftsweisen. Damit sich Unternehmen und Bürger daran gewöhnten, dürfe sie zunächst auch nicht zu hoch sein, müsse später dann aber deutlich ansteigen. Das über mehrere politische Legislaturperioden durchzuhalten, sei schwer. „Der Emissionshandel entpolitisiert die Klimapolitik. Statt in Parlamenten mit wechselnden Mehrheiten CO 2-Steuersätze rauf- und runterzusetzen, richtet sich der Preis im Emissionshandelssystem nach den Knappheitsverhältnissen und garantiert eine 100-prozentige Erreichung der Reduktionsziele“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Denn es werden nur so viele Zertifikate ausgegeben, wie CO 2 emittiert werden darf. Firmen, die mehr CO2 ausstoßen, müssen mit empfindlichen Sanktionen rechnen.
Neben den sachlichen Argumenten dürften bei der Entscheidung gegen die Steuer-Lösung aber vor allem politische Argumente eine Rolle gespielt haben: Die Union hat im Wahlkampf versprochen, keine Steuern zu erhöhen – und eine CO2-Steuer wäre in Wahrheit keine Steuer auf CO2 sondern eine Erhöhung der Energiesteuern. Dass das nationale Emissionshandelssystem durch den Fixpreis in den ersten Jahren in Wahrheit eine verkappte CO2-Steuer ist, wird in diesem Zusammenhang gerne verschwiegen.
Dabei zeigt die Praxis: Ein Emissionshandelssystem kann wirken – wenn es richtig aufgesetzt wird. Bestes Beispiel ist der europaweite Emissionshandel für Großemittenten aus der Energiewirtschaft und Teilen der Industrie. Das 2005 gestartete Vorzeigeprojekt drohte wegen viel zu vieler Zertifikate zwischenzeitlich zu floppen. „Wir hatten damals strukturelle Probleme im System“, gibt Christoph Kühleis, Chef-Ökonom der Deutschen Emissionshandelsstelle (Dehst), die die Firmen und Energieproduzenten kontrolliert, im Gespräch mit der
„Schwäbischen Zeitung“zu. Der Preis zum Ausstoß einer Tonne CO2 brach nämlich von anfänglich 30 Euro auf vier Euro ein. Die Verschmutzungsrechte waren so billig geworden, dass sich selbst Klimakiller wie Braunkohlekraftwerke wieder rentierten. Um einen weiteren Preisverfall zu verhindern, wurden große Mengen an Zertifikaten aus dem Markt genommen.
Auf den Preis kommt es an
Inzwischen ist der Preis wieder auf rund 25 Euro gestiegen – und „setzt die richtigen Signale“, sagt Kühleis. Berechnungen zufolge ist der Ausstoß von Treibhausgasemissionen der knapp 1900 am europäischen Emissionsrechtehandel teilnehmenden Anlagen der Industrie und Energiewirtschaft in Deutschland von 2005 bis 2018 um 18 Prozent auf 422 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesunken. Die Bereiche der Industrie sowie die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft, die nicht am EU-Emissionsrechtehandel teilnehmen, haben ihre Treibhausgasemissionen um lediglich sieben Prozent gesenkt. „Der Erfolg des EU-Emissionsrechtehandels
ist umso größer zu werten, wenn man bedenkt, dass die Wirtschaft gleichzeitig kräftig gewachsen ist“, sagt Justus Haucap, Ökonom und früherer Vorsitzender der Monopolkommission.
Und darum geht es: Klimaschädliches teurer machen, damit CO2-sparende Technologien einen Schub bekommen. Das soll nicht nur im Energiesektor, sondern künftig auch im Verkehr und Gebäudebereich passieren. Die Grundidee des Emissionshandels ist, dass die Zahl der Zertifikate begrenzt ist und nach und nach gesenkt werden kann, sodass der CO2-Ausstoß gedeckelt ist und abnehmen muss. Wenn das Angebot knapper wird und die Nachfrage hoch bleibt, steigt der Zertifikatepreis – wie bei Aktien an der Börse. Wer am meisten bietet, bekommt den Zuschlag. Ist der Preis hoch genug, stimuliert er flächendeckend Investitionen in klimafreundlichere Anlagen oder Technologien.
Allerdings, schränkt Kühleis ein, müsse am CO2-Minderungsziel und damit bei der Zahl auszugebender Zertifikate möglichst bald nachgebessert werden. Sonst werde Deutschland sein Langfristziel, bis zum Jahr 2050 weitgehend treibhausgasneutral zu werden, nicht erreichen. Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU fordert zudem, die Mindest- und Höchstpreise möglichst bald abzuschaffen, um die Funktionsweise des Emissionshandels nicht zu beeinträchtigen. „Die effiziente Mengensteuerung muss zügig ihre Wirkung entfalten“, so Steiger.
Bei der konkreten Ausgestaltung des nationalen Emissionshandels sind zwar viele Punkte noch offen. Einzelheiten zum Verkauf der Zertifikate etwa. Dem Gesetzentwurf zufolge soll er aber für 4045 Unternehmen verpflichtend werden. Diese müssen künftig ermitteln, wie viele Treibhausgase durch die von ihnen in einem Jahr in Verkehr gebrachten Brennstoffe entstanden sind, und dies bis zum 31. Juli des folgenden Jahres mitteilen. Verantwortliche Behörde ist die Dehst, die schon heute die Zertifikate für den EU-Emissionshandels ausgibt und das System überwacht. Bis zum 31. August müssten die Unternehmen dann die entsprechenden Zertifikate vorlegen. Ein Preis von 25 Euro je Verschmutzungsrecht, den die Firmen zum Beispiel für das Jahr 2023 zahlen müssen, würde bedeuten, dass Diesel und Heizöl um etwa elf Cent pro Liter teurer würden, Benzin um nicht ganz zehn Cent. Zahlen müssen das am Ende erst einmal die Bürger.