Sieben Schwaben – aus Spanien
Die Mitglieder der Familie Morales sind als „spanische Heuberger“vielfältig engagiert – „Wir haben uns selbst integriert“
- Typische Schwaben können auch aus Spanien kommen. Die sieben Morales-Geschwister und ihre Familien spielen eine wichtige Rolle imVereinslebens in Königsheim und darüber hinaus. Aber ihre spanischen Pässe haben die Geschwister behalten.
Jüngst hat fast die ganze Familie Morales im „Kreuz“in Königsheim „50 Jahre Familie Morales in Deutschland“gefeiert: Sieben Geschwister mit ihren, zumeist deutschen Ehegattinnen und -gatten, 17 Kinder in der folgenden Generation. Sich in Vereinen zu engagieren und dort im Vorstand Verantwortung zu übernehmen: Das ist – gerade „auf dem Land“– nach wie vor typisch schwäbisch. Insofern erfüllt die Familie Morales in höchstem Maße alle Klischees der fleißigen, engagierten Schwaben mit Eigenheim. Nur ihre Herkunft und ihre Geschichte sind so gar nicht „typisch“.
Salvador Morales ist der Königsheimer „Narrenvater“– Vorsitzender der Holz-Epfel-Zunft –, sein Bruder Manuel Morales hat von 2013 bis April 2019 den Musikverein Bubsheim dirigiert (zuvor war er dreizehneinhalb Jahre Dirigent in Königsheim und zehn Jahre in Wilflingen), und Manuels Sohn Romario Morales dirigiert seit Juni den Musikverein Königsheim; und ob es den Sportverein Königsheim ohne seinen einstigen Vorsitzenden und Trainer Antonio Morales noch gäbe? Auch die nächste Generation ist vielfältig engagiert. „Sport und Musik sind unsere zwei Hauptfelder“, sagt Manuel Morales, zweitältester der sieben Morales-Geschwister Luis, Manuel, Victoria, Pedro, Antonio, Hermann und Salvador Morales.
Hermann und Salvador sind bereits in Deutschland geboren. Die älteren Geschwister sind einst als Kinder nach Deutschland gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Doch alle waren fest entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen: „Wir haben es zu etwas gebracht“, kann Manuel Morales heute mit berechtigtem Stolz sagen.
Der inzwischen verstorbene Vater der sieben Geschwister, Luis Morales
Sr., kam bereits 1962 zunächst alleine nach Deutschland, um dort für seine Frau und die damals drei Kinder daheim Geld zu verdienen. Die südspanische Provinz Murcia war damals noch kaum industrialisiert, und so konnte er die Familie als Seiler mehr schlecht als recht ernähren. Zunächst suchte er vergeblich Arbeitsangebote auf den Bahnhöfen in Frankreich – bis sie dann auf einmal in Deutschland waren. Auf dem Bahnhof in Villingen standen sie dann endlich: Die Chefs mit Schildern in der Hand: „Arbeiter gesucht“.
Zunächst lebte Luis Morales mit anderen „Gastarbeitern“aus Spanien und Italien in einer Baracke in Marbach bei Villingen, wo er als Maurer arbeitete. Als er 1964 an der Halle in Reichenbach baute, wurde er von der Firma Blicke aus Egesheim abgeworben: „Luis, bleib bei uns.“
1969 holte Luis Morales den Rest der Familie nach Deutschland nach.
„Es war ein Albtraum“, erinnert sich Manuel Morales, der damals elfeinhalb Jahre war. Ohne ein Wort der fremden Sprache zu sprechen, kam er in ein kaltes und graues Deutschland. Gerade der Winter 1969 war besonders streng. „Ich habe vorher noch nie Schnee gesehen gehabt“, sagt Manuel Morales, „wenn es bei uns in Murcia im Winter mal so richtig kalt war, dann hatte es 15, 18 Grad – plus!“Tätig geholfen haben die beiden Ordensschwestern aus dem katholischen Kindergarten, die die kleinen Neuankömmlinge aus dem fernen Süden mit Winterkleidung versorgten.
„Wir haben uns selbst integriert“, sagt Manuel Morales – darin liegt Stolz auf das Geleistete, es klingt aber auch ein wenig mit an, dass sie es manchen Stellen schwer hatten. „Die Heuberger waren nicht abweisend, aber ...“Manuel Morales weiß nicht recht, wie er es ausdrücken soll. Und dann erinnert er an den alten schwäbischen Spruch: „Nit g’schumpfe ischt g’lobt genug.“Man muss sich halt erst beweisen.
Sie hätten immer ein bisschen mehr leisten müssen, immer ein wenig mehr lernen müssen als ihre deutschen Schulkameraden und Arbeitskollegen, um Anerkennung zu finden, sagt Manuel. Aber die Anerkennung wurde dann auch nicht verweigert. Man wird nicht so ohne weiteres Narrenvater oder Musikverein-Dirigent. „Wir sind alles fleißige Kerle“, betont Manuel Morales, „wir haben es zu etwas gebracht“, alle hätten einen Beruf gelernt, wohnten im eigenen Haus. „Es war ein harter Kampf“, sagt Manuel Morales, „wir kämpfen heute noch, wir sind ehrgeizig“.
Deutsch zu lernen, sei für die Kinder gar nicht so schwer gewesen – auch wenn keiner so recht sagen konnte, warum es denn nun „der Löffel“, „die Gabel“und „das Messer“heißt – obwohl doch alles nur Besteck ist. Und dann war da noch ein Problem, musste der kleine Manuel feststellen, als er von den Einheimischen angesprochen wurde: „Gohscht du in d’Schul?“– „Papa, du lehrst uns die falsche Sprache“, habe er damals zu seinem Vater gesagt. Letztlich, so Manuel Morales, hätten sie nämlich vier verschiedene Sprachen gleichzeitig lernen müssen: Hochdeutsch, Schwäbisch, Heubergerisch und Kingsemerisch.
Die „schwäbischen Heuberger“– so hat sie der „Heuberger Bote“-Mitarbeiter Richard Moosbrucker genannt. Die Familien der sieben Morales-Geschwister sind heute auf und um den Heuberg in der Gegend zwischen Nendingen und Weilen unter den Rinnen etabliert.
Luis Sr. und seine Frau Antonia Sanchez (in Spanien behalten die Ehefrauen auch nach der Heirat ihre Geburtsnamen) sind als Rentner wieder zurück nach Spanien gezogen. Als der Vater todkrank war, holten ihn die Geschwister nach Rottweil ins Krankenhaus, wo er im Dezember 2000 gestorben ist. Das Grab von Luis Morales ist in Königsheim. Antonia Sanchez lebt mit ihren 87 Jahren immer noch in Murcia, wo sie von einer Pflegerin betreut wird.
Dass sowohl der Heuberg als auch Murcia katholisch sind, mag bei der Integration geholfen haben. Als Pfarrer Johannes Amann 2005 neu nach Königsheim gekommen war und im Gottesdienst seine Gitarre ausgepackt hat, war das die Initialzündung für die Gründung der Band „Los Morales“, die – zum größten Teil, aber nicht ausschließlich aus Familienmitgliedern bestehend – noch heute bei kirchlichen Feiern und Gottesdiensten auftritt.
Während die jüngste Generation der Kinder alle doppelte Staatsangehörigkeit haben, sind alle sieben Morales-Geschwister spanische Staatsbürger geblieben. „Warum,“so Manuel Morales, „weiß ich eigentlich auch nicht.“