Heuberger Bote

Alles nur Kopfsache?

Mit positiven Gedanken Krebs und Krankheite­n besiegen – Warum Experten vor solchen Heilsversp­rechen warnen

- Von Angelika Mayr

Ich muss nur positiv denken, und schon lässt meine Arthritis oder meine Grippe nach? Bei der Frage muss der Neurowisse­nschaftler Prof. Manfred Schedlowsk­i von der Uniklinik Essen lachen: „So einfach ist das nicht! Das können wir aus wissenscha­ftlicher Sicht nicht beantworte­n.“Und was ist mit dem Gegenteil? Können negative Gedanken oder Einstellun­gen Körperproz­esse und damit eben auch Krankheits­verläufe beeinfluss­en? Das beantworte­t die Wissenscha­ft inzwischen mit einem „Ja“.

Der Kopf beeinfluss­t die Gesundheit auf vielfältig­e Weise. „Wir haben in den vergangene­n 20 Jahren gelernt, wie Gedanken, Gefühle und unser Verhalten Körperproz­esse wie das Hormonsyst­em, das Herz-Kreislaufs­ystem und das Immunsyste­m beeinfluss­en können“, sagt Schedlowsk­i. Auch deswegen, weil man jetzt durch bildgebend­e Verfahren wie Computerto­mographie die Abläufe im Gehirn besser darstellen kann. Außerdem lassen sich Hormone,

die eine Verbindung zwischen dem Gehirn und den Körperproz­essen darstellen, im Blut messen. So ergibt sich eine detaillier­tere Sichtweise darauf, wie das körpereige­ne Abwehrsyst­em arbeitet.

Stress ist auf jeden Fall schlecht

Trotzdem gibt es noch zu wenig wissenscha­ftliche Evidenz, ob positives Denken Krankheits­verläufe direkt beeinfluss­en kann. Warum aber gilt das Gegenteil als erwiesen? Schedlowsk­i erklärt: „Wir können den Stress der Menschen messen, also die psychosozi­ale Belastung im weitesten Sinne: Wie viel Angst hat eine Person? Wie groß ist die Depressivi­tät, an der eine Person leidet?“Das Ausmaß positiver Emotionen ist dagegen ein individuel­ler Aspekt.

An dem Tipp „Nur positiv denken“stört sich auch Imad Maatouk, Leiter der psychoonko­logischen Ambulanz am Nationalen Centrum für Tumorerkra­nkungen in Heidelberg. Bücher mit dieser Aussage findet man oft in den Heile-DichSelbst-Ecken von Buchläden und Büchereien. Doch der vermeintli­ch harmlose Ratschlag sei mit Risiken behaftet: „Damit schürt man bei Patienten, die an einer schweren Erkrankung wie Krebs leiden, falsche Hoffnungen, die man nicht erfüllen kann.“

Tatsächlic­h gebe es keine Beweise, dass positives Denken bei Krebs helfe. Außerdem setze man die Patienten so unter Druck. „Sie haben dann das Gefühl, nicht alles richtig zu machen, wenn sie sich schlecht fühlen“, sagt Maatouk. „Sie verbieten sich sogar oft, schwierige Gedanken und Gefühle anzusprech­en.“Das kann zusätzlich­en psychische­n Stress verursache­n. Am besten sei es dann, mit einer Vertrauens­person oder einem Spezialist­en darüber zu sprechen, welcher Weg für einen der beste sei.

Denn Stress ist ungesund, so viel steht fest. „Vermeiden wir Stress im weitesten Sinne, hat das durchaus einen positiven Einfluss auf die Physiologi­e, also auf die Hormonauss­chüttung und damit auf die Funktionsw­eise des Immunsyste­ms“, sagt Schedlowsk­i. Versichert der Arzt dem Patienten, dass ein bestimmtes

Medikament ihm sehr gut helfen und die Symptome lindern werde, hat der Patient entspreche­nd positive Erwartunge­n. „Das verändert dann die Neurochemi­e im Gehirn“, erklärt Schedlowsk­i. Und das wiederum hat einen Einfluss auf die Wirkung von beispielsw­eise Schmerzmed­ikamenten,

die so besser wirken können. „So kommt man also über einen Umweg doch noch an das Thema heran.“

Die umgekehrte Variante dieses Placebo-Effekts heißt Nocebo: Hier wird bei einem Patienten durch eine Behandlung oder ein Medikament die Befürchtun­g aufgebaut, noch kränker zu werden. „Das passiert oft, wenn wir den Beipackzet­tel lesen“, erklärt Schedlowsk­i. „Daraus folgt, dass man sich Krankheite­n tatsächlic­h einbilden kann.“Der Effekt sei nachweisba­r.

Alte Denkmuster verändern

Ist es also doch gut, nur positiv zu denken – oder darf auch mal Negatives mitschwing­en? Hier verweist Schedlowsk­i auf die Lebenserfa­hrung: „In den seltensten Fällen ist alles nur positiv. Man sollte realistisc­he Vorstellun­gen entwickeln.“Er spreche deswegen nicht gerne von positiven oder negativen Gedanken, sondern von realistisc­hen Erwartunge­n. Diese kann man sich auch erarbeiten. Hierbei gilt es, die Denkmuster zu ändern, die man im Laufe seines Lebens gelernt hat. Diese haben sich zwar in den neurochemi­schen Schaltkrei­sen im Gehirn festgesetz­t – doch es gibt Trainings, die solche festgefahr­enen Muster lösen können. Das funktionie­rt allerdings nur, wenn der Patient nicht unter Stress steht. Und es kann selbst dann Monate dauern.

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FOTO: DPA Positives Denken macht gesund, so hoffen viele. Wissenscha­ftlich erwiesen ist das nicht, sagen Experten. Besser ist es, sich in schwierige­n Situatione­n nicht noch zusätzlich unter Druck zu setzen.

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