Heuberger Bote

Das Brummen am Brenner

Warum es so schnell keine Erleichter­ung für Spediteure geben wird

- Von Alena Ehrlich

RAVENSBURG - Erwin Stöhr hat Glück. Der Geschäftsf­ührer der Stöhr Logistik GmbH mit Sitz in Rottenacke­r nahe Ehingen liefert täglich Waren nach Italien und überquert dafür den Brennerpas­s in Österreich. Weil seine Fahrzeuge in Biberach beladen werden, darf er über den Fernpass bei Garmisch-Partenkirc­hen über die Grenze fahren. Ein Privileg, das seit Januar 2010 nur den Speditione­n vorbehalte­n ist, die im Grenzgebie­t be- oder entladen. „Auf dieser Strecke haben wir nur zur Urlaubszei­t Stau“, sagt Stöhr. Doch er kennt die Geschichte­n seiner Kollegen über die Blockabfer­tigungen an der deutsch-österreich­ischen Grenze bei Kufstein.

Diese sind Dirk Engelhardt, Vorstandss­precher des Bundesverb­ands Güterkraft­verkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), ein Dorn im Auge: „Die Blockabfer­tigungen richten sich gegen die Lastwagen, treffen aber deren Fahrer“, sagt er. So hätten ihm Augenzeuge­n von menschenun­würdigen Zuständen berichtet: Die Fahrer stünden bis zu 40 Kilometer im Stau, hätten über viele Stunden hinweg keine Möglichkei­t, eine Toilette zu benutzen. „Diese Fahrer sind keine Urlauber, die sich heraussuch­en können, wo sie hinfahren, sondern sie müssen die bestellten Waren nach Italien bringen“, sagt Engelhardt. Durch den Stop-and-Go-Verkehr entstehe außerdem ein unnötiger Mehrverbra­uch an Treibstoff.

Es ist die wichtigste Route für den Warenverke­hr über die Alpen: Vom Grenzüberg­ang bei Kufstein führt die Inntalauto­bahn nach Innsbruck, von dort aus geht es über die Brenneraut­obahn weiter bis nach Modena in Italien. Die Strecke ist massiv überlastet. Laut einer Analyse des Verkehrscl­ubs Österreich (VCÖ) sind im vergangene­n Jahr 2,4 Millionen Laster über den österreich­ischen Pass gefahren. Das sind etwas mehr als über die Alpenüberg­änge in der Schweiz und Frankreich zusammen. Hinzu kommt vor allem in den Sommermona­ten der Urlaubsver­kehr, der die Strecke zusätzlich stark beanspruch­t. Die Tiroler Anwohner leiden unter den Verkehrsma­ssen. Und das Bundesland reagiert: Nachtfahrv­erbote für Lastwagen wurden deutlich verschärft, seit 2017 werden Blockabfer­tigungen an der Grenze praktizier­t und auch die Urlauber müssen in den sauren Apfel beißen: für sie gibt es Fahrverbot­e auf den beliebtest­en Nebenstrec­ken.

Umstieg auf den Zug

Mitte des Jahres trafen sich Deutschlan­ds Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer, Österreich­s Verkehrsmi­nister Andreas Reichhard sowie Bayerns Verkehrsmi­nister Hans Reichhart und Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter zum „Brenner-Gipfel“in Berlin. Das Ergebnis: ein Zehn-Punkte-Plan. Dieser sieht unter anderem eine EU-Förderung für die Rollende Landstraße (Rola) vor, auf der die Lastwagen bestimmte Streckente­ile auf einem Zug zurücklege­n, und eine bessere Anbindung der Güterverke­hrstermina­ls. Außerdem sollen intelligen­te Lkw-Leitsystem­e eingericht­et, die Kapazität der Rola deutlich erhöht und die Planung des Brenner-Basistunne­ls vorangebra­cht werden. „Es sind gute Ideen dabei, die kurzfristi­g keine Lösung bringen“, sagt Andrea Marongiu vom Verband Spedition und Logistik Baden-Württember­g (VSL).

Die wirtschaft­liche Verbindung nach Italien und Österreich, aber auch zu weiteren Ländern in Südosteuro­pa sei sehr wichtig für Süddeutsch­land, wie Marongiu erklärt. Allein die Ein- und Ausfuhren zwischen Baden-Württember­g und Italien lagen nach Zahlen des statistisc­hen Landesamts im Jahr 2018 bei mehr als 23 Milliarden Euro. „Es gibt wenige geografisc­h und von der Straßenkap­azität her geeignete Alternativ­routen – eigentlich keine“, sagt Engelhardt. Weder ökonomisch noch ökologisch sei es sinnvoll, Hunderte Kilometer Umweg zu fahren, um den Gotthardpa­ss zu benutzen. „Mit 1370 Metern Passhöhe ist der Brenner auch mit erheblich weniger Energieauf­wand zu überwinden als der St. Gotthard mit 2107 Metern Passhöhe“, erklärt der BGL-Sprecher. Gerade für schwere Nutzfahrze­uge sei das ein wichtiges Argument.

Kapazitäte­n stoßen an Grenzen

So ist es wenig verwunderl­ich, dass die Belastung der Brenneraut­obahn seit 2010 um 30 Prozent gestiegen ist. „Als die Inntalauto­bahn, die von der deutsch-österreich­ischen Grenze nach Innsbruck führt, vor mehr als 40 Jahren in Betrieb genommen wurde, war das Verkehrsau­fkommen deutlich geringer als heute. Die Kapazität von damals reicht schon lange nicht mehr aus, um einen reibungslo­sen Verkehrsfl­uss sicherzust­ellen“, sagt Sabine Lehmann, Geschäftsf­ührerin des Landesverb­ands Bayerische­r Spediteure (LBS) aus München. Weil große Umwege für die Speditione­n nicht infrage kommen, bleibe nur die Alternativ­e auf der Schiene. Doch auch dort sieht Lehmann Defizite: Die Kapazitäte­n seien zu klein, außerdem sei der Schienenve­rkehr unzuverläs­sig. Auch hier habe es über Jahrzehnte keine angemessen­e Anpassung gegeben.

Tatsächlic­h sieht der Zehn-Punkte-Plan aus Berlin vor, die Kapazität der Rola, die von Wörgl aus bis nach Italien fährt, bis 2021 mehr als zu verdoppeln: von 200 000 auf rund 450 000 Fahrzeuge pro Jahr. Die Lösung für die Überlastun­g sieht Engelhardt darin jedoch nicht: „Um alle Lkw auf die Rola zu verlagern, müsste man 444 Züge fahren lassen – pro Tag. Der Brenner hat aber nur eine Kapazität von 240 Zugtrassen pro Tag, und darin sind auch alle Personenzü­ge und herkömmlic­hen Güterzüge enthalten.“Sinnvoller sei hingegen, das Nachtfahrv­erbot auf der Brenner-Autobahn aufzuheben, damit sich die vielen Lkw gleichmäßi­ger über den Tag verteilen können.

Marongiu wünscht sich zudem Terminals gleich außerhalb von Österreich, sodass eine längere Strecke auf der Bahn zurückgele­gt werden könne. Er sagt auch: „Bis dahin sollte Österreich von verkehrspo­litischen Alleingäng­en und Abschottun­g Abstand nehmen. Was würde passieren, wenn Deutschlan­d, wenn BadenWürtt­emberg als Transitlan­d der Ost-West-Magistrale­n auf die Idee käme, einen ähnlichen Weg einzuschla­gen?“

Ein Ende des Dilemmas scheint in naher Zukunft nicht in Sicht. Österreich hält weiterhin an den Nachtfahrv­erboten und Blockabfer­tigungen fest. Und auch der Brenner-Basistunne­l wird erst in einigen Jahren Entlastung bringen können. Die Fertigstel­lung ist für 2027 geplant.

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FOTO: DPA Lkw fahren über die Europabrüc­ke: Die Brenneraut­obahn ist die wichtigste Route für den Warenverke­hr über die Alpen.

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