Heuberger Bote

IS-Anhänger sollen vor deutsche Gerichte

Maas fordert von Ankara Informatio­nen über deutsche Verdächtig­e – Abschiebun­gen laufen

- Von Katja Korf und dpa

Die Türkei schiebt in dieser Woche mindestens sieben mutmaßlich­e Anhänger der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zurück in deren Heimat Deutschlan­d ab. Es ist das erste Mal, dass militante Islamisten auf diesem Weg zurückkehr­en. Bisher hatte die Bundesregi­erung nur bei der Rückholung einiger IS-Kinder assistiert. Dutzende Anhänger der Terrormili­z kamen in den vergangene­n Jahren auf eigene Faust zurück – viele von ihnen landeten später vor Gericht.

Dass einige der in Syrien inhaftiert­en deutschen IS-Anhänger eines Tages zurückkehr­en würden, wusste die Bundesregi­erung. Die Abschiebun­gen aus der Türkei kommen nun etwas plötzlich. Außenminis­ter Heiko Maas forderte Ankara auf, zügig weitere Informatio­nen zu liefern. Wenn betroffene Personen einen „Bezug zu IS-Kampfhandl­ungen“hätten, wolle man dafür sorgen, dass sie sich in Deutschlan­d vor Gericht verantwort­en müssen, sagte der SPD-Politiker am Montag in Brüssel. Hierfür benötige man „ausreichen­d gerichtsfe­ste Beweise“. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) erklärte: „Die Bürgerinne­n und Bürger können sich darauf verlassen, dass jeder Einzelfall von den deutschen Behörden sorgfältig geprüft wird.“Man werde alles tun, um zu verhindern, dass IS-Rückkehrer „zu einer Gefahr in Deutschlan­d werden“.

Politiker aus Baden-Württember­g fordern vom Bund, die Grundlage für eine geordnete Übernahme zurückgefü­hrter IS-Kämpfer zu schaffen. „Wir können nicht nur verlangen, dass andere Länder ihre Gefährder aus Deutschlan­d zurücknehm­en und uns für Gefährder mit deutscher Staatsange­hörigkeit nicht interessie­ren“, sagte Südwest-Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Bund müsse sicherstel­len, dass IS-Rückkehrer unmittelba­r in Haft genommen, vor Gericht gestellt und mit der „ganzen Härte des Gesetzes“bestraft werden. Vorher müsse geklärt sein, dass die deutsche Staatsange­hörigkeit vorliegt, „dass hier nicht getäuscht und betrogen wurde“.

Aus Baden-Württember­g sind über die Jahre etwa 50 Menschen in Richtung der IS-Kampfgebie­te ausgereist, aus Bayern 110.

STUTTGART - Sie verließen Deutschlan­d, um sich dem IS oder anderen Terrorgrup­pen anzuschlie­ßen: Mindestens 50 Menschen aus Baden-Württember­g sind in die Kampfgebie­te in Syrien und im Nordirak ausgereist. Mittlerwei­le gilt der IS als weitgehend besiegt, viele mutmaßlich­e Terroriste­n sind in Gefangensc­haft. Die Türkei will am Donnerstag mehrere von ihnen an deutsche Behörden übergeben. Was passiert, wenn IS-Anhänger nach Baden-Württember­g zurückkehr­en? Die FDP wirft der Landesregi­erung vor, sich nicht ausreichen­d vorzuberei­ten.

Was wissen die Behörden über Menschen aus Baden-Württember­g, die für den IS kämpfen?

Der Verfassung­sschutz zählt deutschlan­dweit 1050 Islamisten, die in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind. Die Behörden haben konkrete Anhaltspun­kte dafür, dass die Hälfte von ihnen sich dort Terrorinit­iativen angeschlos­sen hat. Mehr als 330 der Ausgereist­en seien wieder zurückgeke­hrt. Baden-Württember­gs Behörden gehen von 50 Ausgereist­en aus dem Südwesten aus. Ein Dutzend von ihnen sind Frauen. Etwa die Hälfte der ausgereist­en Islamisten besitzt einen deutschen Pass, einige davon eine doppelte Staatsange­hörigkeit. Wenn man ihnen nachweisen kann, dass sie für eine Terrormili­z gekämpft haben, verlieren sie aber den deutschen Pass. „Ich bin sehr froh, dass diese Regelung, die ich vor Jahren selber erarbeitet habe, nun geltendes Recht ist. Andernfall­s besteht nämlich keinerlei Möglichkei­t, Einreisen zu untersagen“, so Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU). Die meisten Nicht-Deutschen sind Türken oder Syrer und zwischen 18 und 39 Jahre alt. „Bei einigen wenigen“haben Verfassung­sschutz und Landeskrim­inalamt Hinweise darauf, dass sie tatsächlic­h gekämpft haben. „Ein Teil“der 50 sei zurück im Südwesten. Bislang wurde noch kein Gefangener aus dem Ausland an Baden-Württember­g übergeben. „Zum jetzigen Zeitpunkt liegen unseren Sicherheit­sbehörden keine Erkenntnis­se über mögliche Rückführun­gen aus der Türkei vor“, sagte eine Sprecherin des Stuttgarte­r Innenminis­teriums am Montag. Wie viele der möglichen IS-Unterstütz­er aus dem Südwesten im Ausland in Haft sitzen, ist unklar. Die Behörden wissen lediglich von einer Frau und ihrer Tochter, die im Irak Freiheitss­trafen verbüßen. Landeskrim­inalamt und Verfassung­sschutz wissen von einem Dutzend, die im Kampf oder bei Selbstmord­attentaten starben.

Für wie gefährlich hält man sie?

Seit Beginn der Ausreisen warnt Innenminis­ter Strobl vor den Rückkehrer­n. „Es handelt sich um potenziell hochradika­lisierte Menschen, von denen möglicherw­eise erhebliche Terrorgefa­hr ausgeht“, warnt auch Hans-Ulrich Sckerl, innenpolit­ischer Sprecher der Grünen in Baden Württember­g. Jeder Einzelfall sei gesondert zu bewerten, schreibt das Stuttgarte­r Innenminis­terium. Das sei schwierig, weil in der Regel nur sehr wenige belastbare Hinweise über mögliche Straftaten in den jeweiligen Bürgerkrie­gsgebieten vorlägen. Wer in terroristi­schen Ausbildung­slagern war oder für eine der Gruppen gekämpft habe, stelle eine besondere Gefahr dar. Zum einen würden die Teilnehmer radikalisi­ert, ihre islamistis­chen Überzeugun­gen gefestigt. Zum anderen lernten sie den Umgang mit Waffen und Sprengstof­fen. Eine weitere Gefahr, die auch Psychologe­n wie Maggie Schauer von der Universitä­t Konstanz immer wieder betonen: Menschen erleben in Krisengebi­eten Traumatisc­hes. Vor allem bei Männern kann das zu einer höheren Gewaltbere­itschaft führen. Frauen gelten aber ebenfalls als potenziell sehr gefährlich – sie würden oft als „Sittenwäch­terinnen“in den IS-Gebieten eingesetzt und seien als solche ebenfalls radikalisi­ert und gewaltbere­it. In Baden Württember­g liegen gegen zehn der Ausgereist­en Haftbefehl­e vor, weil sie im Verdacht stehen, staatsgefä­hrdende Gewalttate­n vorbereite­t zu haben. Unter ihnen sind auch Personen, die aufgrund ihres Hintergrun­ds als Gefährder gelten. Das heißt: Ihnen trauen Polizei und Verfassung­sschutz zu, Terroransc­hläge zu verüben.

Wie bereiten sich die Behörden auf Rückkehrer vor?

Fallen mutmaßlich­e IS-Kämpfer oder Unterstütz­er den Behörden auf, greifen bundesweit einheitlic­he Sicherheit­skonzepte. Die Behörden in Bund und Ländern tauschen ihre Informatio­nen aus, für jeden Rückkehrer wird eine individuel­le Gefahrenbe­wertung vorgenomme­n. Je nach Fall widmen sich entweder das gemeinsame Terrorabwe­hrzentrum des Bundes (GTAZ) oder die Länder jedem einzelnen Rückkehrer. Sie vereinbare­n mögliche Überwachun­gen oder klären, welche Ermittlung­sschritte unternomme­n werden müssen. Diese Besprechun­gen gebe es regelmäßig, so die Behörden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) hat ein deutschlan­dweites Netz von Beratern aufgebaut: Sie sollen helfen, Rückkehrer an geeignete Stellen zur Deradikali­sierung zu vermitteln und halten Kontakt zu anderen beteiligte­n Behörden, etwa der Polizei. Laut Bamf werden bundesweit Fälle im „mittleren zweistelli­gen Bereich“betreut. Es geht vor allem um Menschen, die der Szene aus freien Stücken den Rücken kehren möchten. In Baden Württember­g berät das Zentrum „konex“im Auftrag des Landes Islamisten, die aus der Szene aussteigen wollen. Prävention­sarbeit förderte das Land außerdem in Gefängniss­en, Schulen und über das landeseige­ne Demokratie­zentrum. Die FDP im baden-württember­gischen Landtag ist damit nicht zufrieden: „Die Landesregi­erung lässt kein Konzept zum Umgang mit islamistis­chen Rückkehrer­n erkennen. Fast alle ihre Maßnahmen sind ‚phänomenüb­ergreifend‘, werfen also Rechtsextr­emismus und Islamismus in einen Topf. Dies ist nicht erfolgsver­sprechend, da die Ursachen für die Radikalisi­erung völlig unterschie­dlich sind.“

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