Massive Kritik an Scholz’ Vereinsplan
Keine Gemeinnützigkeit für reine Männergruppen: Das sagen Vereinsmitglieder aus der Region zu dem Vorstoß
RAVENSBURG (smn) - Der Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), reinen Männervereinen die Gemeinnützigkeit und somit auch die damit verbundenen Steuervorteile zu entziehen, stößt auf heftige Kritik. Regionale Vereine fürchten um ihre Zukunft, sollten sie den Status der Gemeinnützigkeit verlieren. Der Trommlerbeauftragte des Ravensburger Rutenfests, Kurt Schlachter, verteidigt die rein männlichen Trommlerkorps und argumentiert mit der Tradition.
- Für die Forderung, reinen Männervereinen die Gemeinnützigkeit zu entziehen, erhält Finanzminister Olaf Scholz (SPD) heftige Kritik. Politiker, Fachleute und Vereinsmitglieder sind empört über den Vorstoß. Der Bundesverband Deutscher Vereine und Verbände fürchtet um das Aussterben kompletter Vereine, sollten sie ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Gemeinnützige Vereine erhalten zahlreiche Steuerbefreiungen und dürfen Spenden quittieren, die von den Spendern wiederum steuerlich abgesetzt werden können.
Kurt Schlachter, Trommlerbeauftragter des Ravensburger Rutenfests, ist entsetzt: „Wenn wir unsere Gemeinnützigkeit verlieren, sterben alle Trommlerkorps aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ein Rutenfest ohne Rutentrommler will.“Für Scholz’ Vorschlag hat er nur Unverständnis übrig. Die Gemeinnützigkeit eines Vereins habe nichts mit dem Geschlecht von dessen Mitgliedern zu tun, sagt Schlachter. Außerdem gehe es beim Rutenfest nicht um Gleichberechtigung, sondern um Traditionspflege. „Die Trommlerkorps, die keine Frauen oder Mädchen aufnehmen, tun dies aus der Historie heraus, und das ist auch gut so.“
Von den Trommlerkorps des Rutenfests akzeptieren nur die „Rutentrommler Ravensburg“seit 1992 Mädchen aus Ravensburger Schulen in ihren Reihen. In allen anderen Vereinen ist das Trommeln Männersache. Das Rutenfest gehört zu den ältesten Schüler- und Heimatfesten Deutschlands.
Joost Schloemer, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Vereine und Verbände aus Berlin ist überzeugt davon, dass bestimmte Vereine nur Männern und andere wiederum Frauen vorbehalten sein sollten. Als Beispiel dafür nennt er bestimmte Kampfsportvereine, in denen Frauen „nichts zu suchen“hätten. Beratungsstellen für Frauen, die etwa männlicher Gewalt zum Opfer fallen, sollten dagegen nur weibliche Mitglieder haben dürfen.
Mit Scholz’ Vorstoß werde Vereinen eine Diskriminierung vorgeworfen, die laut Schloemer nicht vorliegt. „Das ist ein Einschnitt in die Demokratie und die Freiheit und bedroht unsere weltweit einzigartige Vereinslandschaft.“
Widerspruch aus Memmingen
Ganz anders sieht das eine Memmingerin. Sie klagt gegen den Fischertagsverein aus Memmingen und will aus Angst vor Beleidigungen anonym bleiben. Der Fischertagsverein nimmt zwar Frauen wie die Klägerin in ihren Reihen auf, verweigert ihnen aber die Teilnahme an dem vereinstypischen Ritual des „Bachabschlagens“am Fischertag. Bei dem alljährlichen Ritual wird der Stadtbach ausgefischt, bevor er gereinigt wird. Traditionell tun dies nur Männer und Jungen ab dem sechsten Lebensjahr. Frauen dürfen nicht mitmachen – die „Schwäbische Zeitung“hat mehrfach über den Fall berichtet.
Der Fischertagsverein ist gemeinnützig, die Klägerin protestiert dagegen. „Wenn Vereine Menschen aufgrund ihres Geschlechts ausschließen – genauso wie aufgrund von Religion, Herkunft oder Hautfarbe – können sie nicht mehr ausnahmslos gemeinnützig sein“, sagt sie. Der Staat dürfe keine Vereine fördern, die ohne guten Grund nur einem Geschlecht vorbehalten sind.
Ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht, wird im Steuerrecht definiert. Über die Anerkennung der Gemeinnützigkeit entscheiden die zuständigen Finanzämter. Alleine in Baden-Württemberg sind zehntausende Vereine im Handelsregister eingetragen. Wie viele davon gemeinnützig sind, wird ebenso wenig statistisch festgehalten wie die Anzahl der reinen Männer- und Frauenvereine. Gemeinnützige Vereine werden von der Körperschafts- und Gewerbesteuer befreit und müssen ihre Gemeinnützigkeit alle drei Jahre erneut nachweisen. Auch bei der Umsatz- und Grundsteuer genießen gemeinnützige Vereine Befreiungen und dürfen zudem Spendenbescheinigungen ausstellen.
Olaf Scholz hatte in der „Bild am Sonntag“gefordert, reinen Männervereinen die Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen finanziellen Vorteile zu streichen. „Wer Frauen ausschließt, sollte keine Steuervorteile haben und Spendenquittungen ausstellen“, sagte Scholz. Entsprechende Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht würden in einem vorläufigen, internen Gesetzesentwurf formuliert, heißt es von einer Pressesprecherin des Bundesfinanzministeriums. Hintergrund des Gesetzentwurf ist ein Urteil des Bundesfinanzhofs von 2017. Damals wurde einer Freimaurerloge die Gemeinnützigkeit abgesprochen, weil sie aus traditionellen Gründen Frauen als Mitglieder ausschließt.
Die baden-württembergische Finanzministerin, Edith Sitzmann (Grüne), kritisiert Scholz’ Vorstoß: „Der Gedanke ist ja nachvollziehbar, aber erst mal will ich sehen, wie so eine Regelung aussehen soll, ohne dass wichtige Anliegen für die Unterstützung für Frauen unter die Räder kommen. Man darf einen Frauenchor so wenig in seiner Existenz gefährden wie eine Selbsthilfegruppe für Frauen.“Auch aus der CDU und CSU erntet Scholz massive Kritik.
Thomas Bareiß, stellvertretender Vorsitzender der baden-württembergischen CDU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, fürchtet um die Zukunft des Ehrenamtes in Deutschland und hält die Geschlechterdebatte im Vereinswesen für verfehlt. „Wir sollten Vereine nicht nach dem Geschlecht ihrer Mitglieder beurteilen. Der Vorstoß des Finanzministers bedroht das Ehrenamt massiv, etwa in zahlreichen Heimatvereinen.“Für die Beurteilung der Gemeinnützigkeit von Vereinen spiele das Geschlecht demnach keine Rolle.
Laut Landesfinanzministerium verfolgt ein Verein gemeinnützige Zwecke, wenn er ausschließlich die Allgemeinheit fördert – etwa durch karikative oder bildungsspezifische Zwecke in den Bereichen Gesundheit oder Kultur. Bei der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen kommt es darauf an, „ob es hierfür eine sachliche Rechtfertigung gibt, wie beispielsweise bei Frauenvereinen, die der Unterstützung von Frauenhäusern dienen. In solchen Fällen ist eine Diskriminierung des anderen Geschlechts ausgeschlossen“, heißt es vom Finanzministerium auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.