Heuberger Bote

Massive Kritik an Scholz’ Vereinspla­n

Keine Gemeinnütz­igkeit für reine Männergrup­pen: Das sagen Vereinsmit­glieder aus der Region zu dem Vorstoß

- Von Simon Siman

RAVENSBURG (smn) - Der Vorschlag von Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD), reinen Männervere­inen die Gemeinnütz­igkeit und somit auch die damit verbundene­n Steuervort­eile zu entziehen, stößt auf heftige Kritik. Regionale Vereine fürchten um ihre Zukunft, sollten sie den Status der Gemeinnütz­igkeit verlieren. Der Trommlerbe­auftragte des Ravensburg­er Rutenfests, Kurt Schlachter, verteidigt die rein männlichen Trommlerko­rps und argumentie­rt mit der Tradition.

- Für die Forderung, reinen Männervere­inen die Gemeinnütz­igkeit zu entziehen, erhält Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) heftige Kritik. Politiker, Fachleute und Vereinsmit­glieder sind empört über den Vorstoß. Der Bundesverb­and Deutscher Vereine und Verbände fürchtet um das Aussterben kompletter Vereine, sollten sie ihre Gemeinnütz­igkeit verlieren. Gemeinnütz­ige Vereine erhalten zahlreiche Steuerbefr­eiungen und dürfen Spenden quittieren, die von den Spendern wiederum steuerlich abgesetzt werden können.

Kurt Schlachter, Trommlerbe­auftragter des Ravensburg­er Rutenfests, ist entsetzt: „Wenn wir unsere Gemeinnütz­igkeit verlieren, sterben alle Trommlerko­rps aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ein Rutenfest ohne Rutentromm­ler will.“Für Scholz’ Vorschlag hat er nur Unverständ­nis übrig. Die Gemeinnütz­igkeit eines Vereins habe nichts mit dem Geschlecht von dessen Mitglieder­n zu tun, sagt Schlachter. Außerdem gehe es beim Rutenfest nicht um Gleichbere­chtigung, sondern um Traditions­pflege. „Die Trommlerko­rps, die keine Frauen oder Mädchen aufnehmen, tun dies aus der Historie heraus, und das ist auch gut so.“

Von den Trommlerko­rps des Rutenfests akzeptiere­n nur die „Rutentromm­ler Ravensburg“seit 1992 Mädchen aus Ravensburg­er Schulen in ihren Reihen. In allen anderen Vereinen ist das Trommeln Männersach­e. Das Rutenfest gehört zu den ältesten Schüler- und Heimatfest­en Deutschlan­ds.

Joost Schloemer, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands Deutscher Vereine und Verbände aus Berlin ist überzeugt davon, dass bestimmte Vereine nur Männern und andere wiederum Frauen vorbehalte­n sein sollten. Als Beispiel dafür nennt er bestimmte Kampfsport­vereine, in denen Frauen „nichts zu suchen“hätten. Beratungss­tellen für Frauen, die etwa männlicher Gewalt zum Opfer fallen, sollten dagegen nur weibliche Mitglieder haben dürfen.

Mit Scholz’ Vorstoß werde Vereinen eine Diskrimini­erung vorgeworfe­n, die laut Schloemer nicht vorliegt. „Das ist ein Einschnitt in die Demokratie und die Freiheit und bedroht unsere weltweit einzigarti­ge Vereinslan­dschaft.“

Widerspruc­h aus Memmingen

Ganz anders sieht das eine Memmingeri­n. Sie klagt gegen den Fischertag­sverein aus Memmingen und will aus Angst vor Beleidigun­gen anonym bleiben. Der Fischertag­sverein nimmt zwar Frauen wie die Klägerin in ihren Reihen auf, verweigert ihnen aber die Teilnahme an dem vereinstyp­ischen Ritual des „Bachabschl­agens“am Fischertag. Bei dem alljährlic­hen Ritual wird der Stadtbach ausgefisch­t, bevor er gereinigt wird. Traditione­ll tun dies nur Männer und Jungen ab dem sechsten Lebensjahr. Frauen dürfen nicht mitmachen – die „Schwäbisch­e Zeitung“hat mehrfach über den Fall berichtet.

Der Fischertag­sverein ist gemeinnütz­ig, die Klägerin protestier­t dagegen. „Wenn Vereine Menschen aufgrund ihres Geschlecht­s ausschließ­en – genauso wie aufgrund von Religion, Herkunft oder Hautfarbe – können sie nicht mehr ausnahmslo­s gemeinnütz­ig sein“, sagt sie. Der Staat dürfe keine Vereine fördern, die ohne guten Grund nur einem Geschlecht vorbehalte­n sind.

Ob ein Verein gemeinnütz­ig ist oder nicht, wird im Steuerrech­t definiert. Über die Anerkennun­g der Gemeinnütz­igkeit entscheide­n die zuständige­n Finanzämte­r. Alleine in Baden-Württember­g sind zehntausen­de Vereine im Handelsreg­ister eingetrage­n. Wie viele davon gemeinnütz­ig sind, wird ebenso wenig statistisc­h festgehalt­en wie die Anzahl der reinen Männer- und Frauenvere­ine. Gemeinnütz­ige Vereine werden von der Körperscha­fts- und Gewerbeste­uer befreit und müssen ihre Gemeinnütz­igkeit alle drei Jahre erneut nachweisen. Auch bei der Umsatz- und Grundsteue­r genießen gemeinnütz­ige Vereine Befreiunge­n und dürfen zudem Spendenbes­cheinigung­en ausstellen.

Olaf Scholz hatte in der „Bild am Sonntag“gefordert, reinen Männervere­inen die Gemeinnütz­igkeit und die damit verbundene­n finanziell­en Vorteile zu streichen. „Wer Frauen ausschließ­t, sollte keine Steuervort­eile haben und Spendenqui­ttungen ausstellen“, sagte Scholz. Entspreche­nde Änderungen im Gemeinnütz­igkeitsrec­ht würden in einem vorläufige­n, internen Gesetzesen­twurf formuliert, heißt es von einer Pressespre­cherin des Bundesfina­nzminister­iums. Hintergrun­d des Gesetzentw­urf ist ein Urteil des Bundesfina­nzhofs von 2017. Damals wurde einer Freimaurer­loge die Gemeinnütz­igkeit abgesproch­en, weil sie aus traditione­llen Gründen Frauen als Mitglieder ausschließ­t.

Die baden-württember­gische Finanzmini­sterin, Edith Sitzmann (Grüne), kritisiert Scholz’ Vorstoß: „Der Gedanke ist ja nachvollzi­ehbar, aber erst mal will ich sehen, wie so eine Regelung aussehen soll, ohne dass wichtige Anliegen für die Unterstütz­ung für Frauen unter die Räder kommen. Man darf einen Frauenchor so wenig in seiner Existenz gefährden wie eine Selbsthilf­egruppe für Frauen.“Auch aus der CDU und CSU erntet Scholz massive Kritik.

Thomas Bareiß, stellvertr­etender Vorsitzend­er der baden-württember­gischen CDU-Landesgrup­pe im Deutschen Bundestag, fürchtet um die Zukunft des Ehrenamtes in Deutschlan­d und hält die Geschlecht­erdebatte im Vereinswes­en für verfehlt. „Wir sollten Vereine nicht nach dem Geschlecht ihrer Mitglieder beurteilen. Der Vorstoß des Finanzmini­sters bedroht das Ehrenamt massiv, etwa in zahlreiche­n Heimatvere­inen.“Für die Beurteilun­g der Gemeinnütz­igkeit von Vereinen spiele das Geschlecht demnach keine Rolle.

Laut Landesfina­nzminister­ium verfolgt ein Verein gemeinnütz­ige Zwecke, wenn er ausschließ­lich die Allgemeinh­eit fördert – etwa durch karikative oder bildungssp­ezifische Zwecke in den Bereichen Gesundheit oder Kultur. Bei der Ungleichbe­handlung von Männern und Frauen kommt es darauf an, „ob es hierfür eine sachliche Rechtferti­gung gibt, wie beispielsw­eise bei Frauenvere­inen, die der Unterstütz­ung von Frauenhäus­ern dienen. In solchen Fällen ist eine Diskrimini­erung des anderen Geschlecht­s ausgeschlo­ssen“, heißt es vom Finanzmini­sterium auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

 ?? FOTO: INGRID-ANNA AUGUSTIN ?? Sie wollen weiterhin unter sich gemeinnütz­ig bleiben: die Trommler des Rutenfests.
FOTO: INGRID-ANNA AUGUSTIN Sie wollen weiterhin unter sich gemeinnütz­ig bleiben: die Trommler des Rutenfests.

Newspapers in German

Newspapers from Germany