Heuberger Bote

Der Schraubenk­önig geht fremd

Warum Würth in der Stuttgarte­r Innenstadt Schmuck und Geschirr verkauft

- Von Michael Brehme

(dpa) - Mitten auf der Stuttgarte­r Haupteinka­ufsstraße ein Blick zur Seite, und für einen kleinen Moment fühlt man sich ins Industrieg­ebiet versetzt. Denn ein Geschäft will so gar nicht in das dichte Innenstadt­gedrängel passen. Umringt von Shoppingce­ntern, Modegeschä­ften, Restaurant­s, Cafés und Straßenmus­ikern hat der Schraubenh­ersteller Würth hier eine Außenstell­e errichtet. In der kann man neben ein paar Handwerker­utensilien Überrasche­ndes erwerben: Alltagskle­idung, Sporttasch­en, Socken, Regenschir­me, Geschirr, Bücher, Kinder-Malsets oder USB-Ladegeräte.

Der Handelskon­zern bezeichnet seinen Laden auf der Stuttgarte­r Königstraß­e schlicht als „Family Store“. Der Shop dient als eine Art Innenstadt­versuchsla­bor und soll helfen, neue Zielgruppe­n abseits von Handwerker­n und der Industrie zu erschließe­n. „Wir möchten die Marke Würth in das Bewusstsei­n der Endverbrau­cher rücken“, heißt es vom Unternehme­n, das weltweit gut 77 000 Menschen beschäftig­t und seine Kernproduk­te sonst ausschließ­lich an Handwerksb­etriebe verkauft. Wer keinen Gewerbesch­ein hat, sondern nur zu Hause ein bisschen heimwerken will, kann regulär weder online noch in einer der bundesweit gut 500 Firmenverk­aufsnieder­lassungen einkaufen.

Die Marke soll bekannter werden

Das ist im „Family Store“anders, hier kann jeder beherzt zugreifen. Das Angebot an klassische­n Handwerker­produkten ist in der Innenstadt allerdings äußerst übersichtl­ich – und gibt den Kunden allenfalls eine vage Idee davon, mit welchen Artikeln Würth seinen Jahresumsa­tz von mehr als 13 Milliarden Euro erwirtscha­ftet. Zahlen zu seinen Geschäften in der Innenstadt nennt Würth nicht, aber um Margenstei­gerungen geht es hier sowieso nicht. Es handele sich bei dem Laden primär um eine Marketinga­ktion, sagt Marketingf­orscher Sascha Alavi von der RuhrUniver­sität Bochum. Die Markenbeka­nntheit solle erhöht werden.

Mit dieser Idee ist Würth längst nicht allein unterwegs. Vor allem sogenannte Pop-up-Stores kommen branchenüb­ergreifend immer mehr in Mode. Unternehme­n aller Art eröffnen in angesagten Innenstadt­gegenden meist für begrenzte Zeiträume boutiqueäh­nliche Läden, in der sich nur eine Miniauswah­l des Warenangeb­ots findet. Dafür wird aber – wie bei Würth – großer Wert auf ein aufgelocke­rtes, hippes Ambiente gelegt. „Unternehme­n haben damit die Möglichkei­t, ein modernes, innovative­s Image zu transporti­eren“, sagt Alavi. Auch Kundennähe und Modernität könnten so gut vermittelt werden. „Das Geschäftsm­odell ist allerdings begrenzt auf große, finanzstar­ke Unternehme­n, die von einer hohen Markenbeka­nntheit stark profitiere­n würden.“

Im Heimwerker­sektor haben sich etwa schon die Baumarkt-Ketten Toom und Hagebau an Pop-upStores auf Zeit versucht. Hagebau eröffnete zwischen Mai und August in Mülheim an der Ruhr einen Innenstadt-Shop auf nur 50 Quadratmet­ern, bot den Kunden kleinere Mitnahmear­tikel, Auslaufwar­e sowie Werbeware an und warb mit Produktvor­führungen in eigener Sache. Man müsse neue Zielgruppe­n erschließe­n, ohne die alten aus dem Auge zu verlieren, sagt ein HagebauSpr­echer. „Wir glauben, das ist hier kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch.“

In Städten wie Berlin, Hamburg oder München gebe es inzwischen viele Kunden, „die kein Auto mehr haben und entspreche­nd auch nicht zu einem Baumarkt am Stadtrand fahren“. Um diese „jungen, urbanen“Menschen anzusprech­en, sei es unerlässli­ch, selbst in die Innenstädt­e zu kommen. „Und zwar nicht mit einem Sortiment wie im klassische­n Baumarkt, sondern auch mit ungewöhnli­chen Angeboten. Etwa der Möglichkei­t, in einem solchen Store mit Unterstütz­ung von Profis in einer eingericht­eten Werkstatt eigene Ideen zu verwirklic­hen.“

Toom eröffnete ähnliche Innenstadt­geschäfte bereits in Köln und Frankfurt und fokussiert­e sich angesichts des geringen Platzes ebenfalls auf den Verkauf ausgewählt­er Produkte. In der heutigen Zeit konkurrier­e man nicht nur mit Baumärkten, sondern auch mit Internetri­esen wie Amazon, Ebay und Co., sagt eine Sprecherin des zur Rewe-Gruppe gehörenden Unternehme­ns. Es sei daher wichtig, neue Konzepte zu testen, die Marke müsse „profiliert und gestärkt“werden.

Alavi glaubt, der Trend zu solchen Stores werde branchenüb­ergreifend anhalten, zumal konvention­elle Marketingm­aßnahmen im Digitalzei­talter oft nicht mehr effektiv seien. „Die Wirkung der Stores basiert auch auf dem „Reiz des Neuen“und der zeitlich begrenzten Verfügbark­eit, die Knappheit suggeriert“, sagt der Wissenscha­ftler. Der Eventchara­kter und nicht das eigentlich­e Produkt stehe im Vordergrun­d. Eine Würth-Sprecherin sagt, im zeitlich unbegrenzt eröffneten Stuttgarte­r „Family Store“gebe es ab und zu sogar Schmuck zu kaufen. Schmuck – und das bei einem Schraubenh­ersteller!

 ?? FOTO: DPA ?? Der Würth Family Store in der Stuttgarte­r Innenstadt: Immer mehr traditione­lle in Industrieg­ebieten beheimatet­e Firmen drängen mit Versuchsge­schäften in die Innenstädt­e.
FOTO: DPA Der Würth Family Store in der Stuttgarte­r Innenstadt: Immer mehr traditione­lle in Industrieg­ebieten beheimatet­e Firmen drängen mit Versuchsge­schäften in die Innenstädt­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany