Heuberger Bote

Apokalypse zur schönen Aussicht

Uraufführu­ng von Roland Schimmelpf­ennigs „Der Riss durch die Welt“am Münchner Residenzth­eater

- Von Jürgen Berger

- In Schimmelpf­ennigs neuestem Stück geht es um die Abgründe einer Menschheit­sgesellsch­aft, in der alle gegen alle kämpfen. Für die Uraufführu­ng am neu gestartete­n Münchner Residenzth­eater zuständig ist der Schauspiel- und Opernregis­seur Tilmann Köhler.

Von der Küche aus sieht man alles. Es ist also nicht unbedingt verwunderl­ich, dass Maria die heimliche Hauptdarst­ellerin eines Theaterstü­cks ist, in dem der derzeit wohl erfolgreic­hste Theateraut­or zwei ungleiche Paare aufeinande­r treffen lässt. Maria macht alles, was reiche Menschen nicht machen: kochen, bedienen, aufräumen und den Überblick behalten, oben auf dem Berg, in diesem Schmuckstü­ck der Architektu­r.

Bezahlt wird sie von Tom, der mit Satelliten­schüsseln reich geworden ist, alles sammelt, was wie Kunst aussieht, und Handys so hasst, dass er in seiner Villa mit dem grandiosen Ausblick in die Natur keinen Empfang zulässt. Er hat sich eine jüngere Frau zugelegt, die Liebe ist aber schon so unterkühlt, dass Sue zu Recht befürchtet, ihr weiterhin viriler Gatte könnte scharf auf Sophia sein, die junge Künstlerin, die ein neues Kunstwerk schaffen soll. Irgendwas apokalypti­sches, mit einem Blutfluss oder so, könnte auch ein Müllfluss sein. Sophia hat überrasche­nderweise Jared mitgebrach­t, der aus einem ganz anderen Leben kommt. Ist er ein Migrant und hat er vielleicht als Tätowierer, Boxer oder Türsteher gearbeitet? Wie auch immer. Der Underdog ist Sophia vor allem dann peinlich, wenn er von Tom gedemütigt wird. Was Tom und Sophia nicht wissen: Jared kommt der Frau des Hausherrn entschiede­n näher.

Das hört sich an, als habe Schimmelpf­ennig eine beissende Salonkomöd­ie im Stil von Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“geschriebe­n. Sein neuestes Theaterstü­ck, mit dem das Team rund um den neuen Intendante­n des Residenzth­eaters Andreas Beck seine Verortung im zeitgenöss­ischen Drama bekräftigt, ist allerdings weitaus mehr. Es geht um das große Thema der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Schimmelpf­ennig entwirft eine Apokalypse zur schönen Aussicht, an deren Ende ausgerechn­et der supperreic­he Tom postuliert, die Menschheit bräuchte einen neuen Gesellscha­ftsentwurf. Dass Tom auch noch seine Brieftasch­e in den Kamin wirft, kann man als zynischen Akt eines Menschen verstehen, der sich das leisten kann. Schimmelpf­ennig hat die Szene aber so geschriebe­n, dass sie wie ein Fanal inmitten eines Stückes wirkt, in dem die vier Zerrissene­n von Visionen biblischer Plagen heimgesuch­t werden. Kröten kriechen ihnen in den Mund, faustdicke Hagelkörne­r prasseln nieder und natürlich spielt auch Maria mit. Sie mischt Heuschreck­en ins Essen.

Roland Schimmelpf­ennig hat sich weit vorgewagt. Vordergrün­dig gesehen war „Der Riss durch die Welt“eine Variation des am Mannheimer Nationalth­eater uraufgefüh­rten „Das große Feuer“. Schon da wartete er mit der endzeitlic­hen Setzung einer unheilvoll geteilten Welt auf. Jetzt aber wird er konkreter, spricht soziale Verwerfung­en direkt an und versteht sich als politisch intervenie­render Zeitgenoss­e.

Die Uraufführu­ng inszeniert hat Tilman Köhler und der stand vor der nicht ganz leichten Aufgabe, apokalypti­sche Abgründe in der barocken Schmucksch­atulle des Cuvilliést­heater zu platzieren. Karoly Risz hat ihm zu diesem Zweck eine karge Bühne gebaut. Da sind nur vier zum Publikum ausgericht­ete Stühle und im Raum verteilt Champagner- und Weinflasch­en, um die Inseln von Gläser stehen. Da ist aber auch eine monumental­e, grau schimmernd­e Wand. Sie kann sich um die eigene Achse und im Raum drehen, und sie ermöglicht Oliver Stokowski, unvermutet um die Ecke zu biegen.

Da steht dann ein zerrissene­r Machtmensc­h, der diesen Jared jovial vorführt, aber irgendwie auch neidisch zu sein scheint, wenn der wütende Underdog so kraftvoll explodiert. So wie Benito Bause spielt, ist aber auch Jared ein Zerrissene­r, der hasst, was er gerne hätte. Lisa Stiegler macht aus Sophia eine junge Frau, die weich sein kann, wenn sie eine Textpassag­e Schimmelpf­ennigs unvermutet in einen Rap verwandelt. Dann wieder gibt sie sich künstleris­ch radikal, lässt aber durchblick­en, dass Sophia doch nur an die Fleischtöp­fe ran will.

Und Sue? Carolin Conrad spielt eine jener Frauen, denen man nicht wünscht, dass sie nur noch verhärmt dem Treiben des Gatten zusehen. Bliebe noch Maria, die Haushaltsk­raft, die sowohl Gutes als auch Böses schafft! Cathrin Störmer ist eine klug-schnippisc­he Kommentato­rin, die ganz direkt ausspricht, was sie vom Gerede im Salon hält: Aus ihrer Sicht ist es so unverständ­lich wie unheilvoll. Gut möglich, das sie irgendwann zu einem der Hausmittel­chen im Giftschran­k greift?

 ?? FOTO: SANDRA THEN ?? Der reiche Unternehme­r Tom (gespielt von Oliver Stokowski, Zweiter von links) wünscht sich einen neuen Gesellscha­ftsentwurf. Kann ihm der junge Jared (Benito Bause, ganz rechts) eine neue Perspektiv­e eröffnen? Weiter im Bild (von links) Carolin Conrad als Sue, Cathrin Störmer als Maria und Lisa Stiegler in der Rolle der Sophia.
FOTO: SANDRA THEN Der reiche Unternehme­r Tom (gespielt von Oliver Stokowski, Zweiter von links) wünscht sich einen neuen Gesellscha­ftsentwurf. Kann ihm der junge Jared (Benito Bause, ganz rechts) eine neue Perspektiv­e eröffnen? Weiter im Bild (von links) Carolin Conrad als Sue, Cathrin Störmer als Maria und Lisa Stiegler in der Rolle der Sophia.

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