Apokalypse zur schönen Aussicht
Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs „Der Riss durch die Welt“am Münchner Residenztheater
- In Schimmelpfennigs neuestem Stück geht es um die Abgründe einer Menschheitsgesellschaft, in der alle gegen alle kämpfen. Für die Uraufführung am neu gestarteten Münchner Residenztheater zuständig ist der Schauspiel- und Opernregisseur Tilmann Köhler.
Von der Küche aus sieht man alles. Es ist also nicht unbedingt verwunderlich, dass Maria die heimliche Hauptdarstellerin eines Theaterstücks ist, in dem der derzeit wohl erfolgreichste Theaterautor zwei ungleiche Paare aufeinander treffen lässt. Maria macht alles, was reiche Menschen nicht machen: kochen, bedienen, aufräumen und den Überblick behalten, oben auf dem Berg, in diesem Schmuckstück der Architektur.
Bezahlt wird sie von Tom, der mit Satellitenschüsseln reich geworden ist, alles sammelt, was wie Kunst aussieht, und Handys so hasst, dass er in seiner Villa mit dem grandiosen Ausblick in die Natur keinen Empfang zulässt. Er hat sich eine jüngere Frau zugelegt, die Liebe ist aber schon so unterkühlt, dass Sue zu Recht befürchtet, ihr weiterhin viriler Gatte könnte scharf auf Sophia sein, die junge Künstlerin, die ein neues Kunstwerk schaffen soll. Irgendwas apokalyptisches, mit einem Blutfluss oder so, könnte auch ein Müllfluss sein. Sophia hat überraschenderweise Jared mitgebracht, der aus einem ganz anderen Leben kommt. Ist er ein Migrant und hat er vielleicht als Tätowierer, Boxer oder Türsteher gearbeitet? Wie auch immer. Der Underdog ist Sophia vor allem dann peinlich, wenn er von Tom gedemütigt wird. Was Tom und Sophia nicht wissen: Jared kommt der Frau des Hausherrn entschieden näher.
Das hört sich an, als habe Schimmelpfennig eine beissende Salonkomödie im Stil von Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“geschrieben. Sein neuestes Theaterstück, mit dem das Team rund um den neuen Intendanten des Residenztheaters Andreas Beck seine Verortung im zeitgenössischen Drama bekräftigt, ist allerdings weitaus mehr. Es geht um das große Thema der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Schimmelpfennig entwirft eine Apokalypse zur schönen Aussicht, an deren Ende ausgerechnet der supperreiche Tom postuliert, die Menschheit bräuchte einen neuen Gesellschaftsentwurf. Dass Tom auch noch seine Brieftasche in den Kamin wirft, kann man als zynischen Akt eines Menschen verstehen, der sich das leisten kann. Schimmelpfennig hat die Szene aber so geschrieben, dass sie wie ein Fanal inmitten eines Stückes wirkt, in dem die vier Zerrissenen von Visionen biblischer Plagen heimgesucht werden. Kröten kriechen ihnen in den Mund, faustdicke Hagelkörner prasseln nieder und natürlich spielt auch Maria mit. Sie mischt Heuschrecken ins Essen.
Roland Schimmelpfennig hat sich weit vorgewagt. Vordergründig gesehen war „Der Riss durch die Welt“eine Variation des am Mannheimer Nationaltheater uraufgeführten „Das große Feuer“. Schon da wartete er mit der endzeitlichen Setzung einer unheilvoll geteilten Welt auf. Jetzt aber wird er konkreter, spricht soziale Verwerfungen direkt an und versteht sich als politisch intervenierender Zeitgenosse.
Die Uraufführung inszeniert hat Tilman Köhler und der stand vor der nicht ganz leichten Aufgabe, apokalyptische Abgründe in der barocken Schmuckschatulle des Cuvilliéstheater zu platzieren. Karoly Risz hat ihm zu diesem Zweck eine karge Bühne gebaut. Da sind nur vier zum Publikum ausgerichtete Stühle und im Raum verteilt Champagner- und Weinflaschen, um die Inseln von Gläser stehen. Da ist aber auch eine monumentale, grau schimmernde Wand. Sie kann sich um die eigene Achse und im Raum drehen, und sie ermöglicht Oliver Stokowski, unvermutet um die Ecke zu biegen.
Da steht dann ein zerrissener Machtmensch, der diesen Jared jovial vorführt, aber irgendwie auch neidisch zu sein scheint, wenn der wütende Underdog so kraftvoll explodiert. So wie Benito Bause spielt, ist aber auch Jared ein Zerrissener, der hasst, was er gerne hätte. Lisa Stiegler macht aus Sophia eine junge Frau, die weich sein kann, wenn sie eine Textpassage Schimmelpfennigs unvermutet in einen Rap verwandelt. Dann wieder gibt sie sich künstlerisch radikal, lässt aber durchblicken, dass Sophia doch nur an die Fleischtöpfe ran will.
Und Sue? Carolin Conrad spielt eine jener Frauen, denen man nicht wünscht, dass sie nur noch verhärmt dem Treiben des Gatten zusehen. Bliebe noch Maria, die Haushaltskraft, die sowohl Gutes als auch Böses schafft! Cathrin Störmer ist eine klug-schnippische Kommentatorin, die ganz direkt ausspricht, was sie vom Gerede im Salon hält: Aus ihrer Sicht ist es so unverständlich wie unheilvoll. Gut möglich, das sie irgendwann zu einem der Hausmittelchen im Giftschrank greift?