Indierock im Freizeitpark
Bei der zweiten Auflage von „Rolling Stone Park“in Rust empfehlen sich Elbow und Bess Atwell
- „Das ist nur eine Phase“: Wer sich seit seiner frühen Jugend intensiv mit Musik beschäftigt – nach gängiger Definition also ein „Nerd“ist –, kennt dieses elterliche Mantra gegen hausinterne Lärmbelästigung. Auf die rund 2200 Festivalbesucher beim Rolling Stone Park in Rust trifft dieser Ausspruch garantiert nicht zu. Denn bei dem zweitägigen IndoorFestival im Europa-Park standen altverdiente Helden wie The Specials auf der Bühne – und in Publikum eine Menge Menschen, die die 40 schon überschritten haben und immer noch in „dieser Phase“sind.
Wie schnell die Zeit vergeht, sah man am Auftritt von Maximo Park: Die englischen Indierock-Helden der Nullerjahre sind immer noch eine starke Liveband, und Frontmann Paul Smith weckte mit Songs wie „Our Velocity“vom erfolgreichsten Album „Our Earthly Pleasures“aus dem Jahr 2007 nostalgische Gefühle beim Publikum. Mehr als nur eine Phase ist der Erfolg der ebenfalls britischen Band Elbow. Die Musiker feierten nach dem Durchbruch mit „The Seldom Seen Kid“2008 (Platz fünf in den UK-Charts) mit ihren aktuellsten drei Alben Nummer-EinsErfolge auf der Insel. Der Auftritt von Sänger Guy Garvey und seiner Mitmusiker ist nicht nur der Abschluss, sondern auch ein Glanzstück des Festivals am Samstagabend. Mit Hang zur großen Geste präsentierte die Band aus Manchester eine professionelle Show und ließ sich auch von der eher mäßigen Zuschauerzahl in der Arena, dem Hauptsaal, nicht aus dem Konzept bringen. Zumal als das Publikum bei „Lippy Kids“mit vereinten Stimmen in den Chorus „Build A Rocket Boys!“einstimmt, diesen Appell, nach den Sternen zu greifen. Da ist für einen Moment vergessen, dass da nur ein paar Hundert Menschen vor der Bühne stehen. Bei The Specials, die am Freitag in der Arena die Headliner-Position bespielten, war gefühlt mehr los. Mit ihrem politisch engagierten Sound setzten Terry Hall und seine Band einen Kontrapunkt zum grassierenden Rechtspopulismus. Mit Saffiyah Khan hatte die britische Band eine weltbekannte Feministin zu Gast: Die junge Frau wurde im Netz bekannt, als sie sich im April 2017 einer Demo der rechtsextremen „England Defence League“entgegenstellte. Das Foto, wie sie einen wütenden jungen Mann anlächelt, ging um die Welt. Auf der aktuellen Platte „Encore“ist sie beim Song „10 Commandments“zu hören, der auch in Rust erklang.
Verträumter, surrealer Rahmen
Durch die vier Bühnen, auf denen 30 Bands an zwei Tagen auftreten, verstreut sich die Menschenmenge über das Indoor-Gelände. Mit Zirkus-Ambiente im „Traumpalast“und Kronleuchtern im „Ballsaal Berlin“schafft der Freizeitpark einen verträumt surrealen Rahmen für ein Festival. Wer nicht gerade eine Band sehen will, kann sich aus einem Automaten frisches Popcorn holen oder am Samstag ein paar Achterbahnen fahren. Ravioli aus der Dose und kalte Nächte im Zelt – wer das unter Festival versteht, erlebt hier etwas komplett anderes. Zum zweiten Mal gibt es das Festival in Rust, während der „Rolling Stone Beach“an der Ostsee vor zehn Jahren das erste Mal stattfand. Noch ist der „Rolling Stone Park“nicht so etabliert, aber dafür auch nicht überlaufen. Für die Fans hier gibt es die Chance, geradezu intime Musikmomente zu erleben, die so gar nichts mit den vollgepackten Festivals des Sommers zu tun haben, bei denen die Leute, die hinten stehen, oft nur einen stecknadelgroßen Kopf auf der Bühne ausmachen können.
So etwa bei Bess Atwell, die im „La Sala Bianca“ruhigen Folkpop darbietet. Die Sängerin und Gitarristin aus Brighton empfiehlt sich mit Songs wie „Swimming Pool“als Soundtrack für verregnete Nachmittage. Auch das Gastspiel der US-Musikerin Joan Wasser aka Joan As A Police Woman fällt in die Kategorie „Jetzt besser keine Stecknadel fallen lassen“. Berührend und melancholisch. John Spencer zeigt mit den Hitmakers indes, wie inspiriert Krach sein kann – Hammerschläge und eine abenteuerliche Percussion-Konstruktion inklusive.
Einen leicht irritierenden Auftritt legt Bob Mould hin: Der Sänger und Gitarrist, der mit Hüsker Dü und Sugar in zwei der stilprägendsten Indie-Kapellen mitgewirkt hat, steht allein auf der Bühne im „Ballsaal Berlin“, nur mit einer E-Gitarre ausgerüstet. Mit der typisch energetisch-ruppigen Art pfeffert er Songs wie „Hoover Dam“oder „The Descent“ins Publikum. Doch ohne das rhythmische Korsett von Bass und Schlagzeug verpuffen die Stücke. Der Saal leert sich zusehends. Schade.