Von Liebe und Vergangenheit
Max Herre hat länger als angekündigt für sein Album gebraucht
(dpa) - Kaum waren die ersten Hörproben von Max Herres neuem Album versandt, waren alle Zeitpläne auch schon Makulatur. Er sei wieder im Studio, hieß es in einer Mitteilung zwei Wochen vor der geplanten Veröffentlichung von „Athen“. Seinen Fans hatte der frühere Freundeskreis-Frontmann das zuvor in sozialen Netzwerken offenbart. Statt im August, erscheint das Album nun im November. „Es lagen einfach noch ein paar Songs rum als Skizzen – und dann hab ich weitergemacht“, sagt Herre (46), der mit Soul-Sängerin Joy Denalane (46) als Traumpaar der deutschen Musikszene galt. 20 Jahre nach dem gemeinsam aufgenommenen Freundeskreis-Song „Mit Dir“besingen sie mit der Single „Das Wenigste“die Auf- und Abs ihrer Liebe. „Du hast mich gesehen, an meinem blinden Punkt, das Wenigste von mir“– diese Zeilen offenbaren eine menschliche Nahbarkeit, die sich nun auch auf „Athen“wiederfindet.
Athen, das sei ein Sehnsuchtsort und ein Fluchtpunkt, der für Orte und Erinnerungen stehe. „Ich habe familiäre Verbindungen, weil mein Vater da lebte, Ende der AchtzigerJahre, mein ältester Onkel da geboren ist, mein Großvater da in den Zwanziger-Jahren des letzten Jahrhunderts lebte.“
Bei der Arbeit am Album sei es darum gegangen, sich auf die Suche zu begeben, „nach Dingen, an denen man noch nicht gekratzt hat“, nach Erinnerungen, die gehoben werden wollen.
Musikalisch klingt das Album an vielen Stellen vor allem organisch, statt beatlastig. „Nachts“etwa sampelt die gleichnamige Ballade der DDR-Rockband Panta Rhei. Es ist eine schwermütige Hommage an eine Zeit, in der Herre ein Kind war. „Ich glaube ja, dass die Musik aus der ehemaligen DDR im Westen sehr unterschätzt ist“, sagt Herre dazu: „Ich habe das Gefühl, die Musik, die Bands, die Aufnahmetechnik, das war weiter im Osten in der Zeit als im Westen.“
Sorge um Deutschland
Und zwischen den Blicken zurück auf die Musiklandschaft vergangener Staaten, auf Beziehungen und Lebensphasen, auf die eigenen Kinder, die erwachsen werden, sorgt sich
Herre darum, wo sich seine Heimat hin entwickelt hat. In „Dunkles Kapitel“geht er zusammen mit Megaloh die Diskursverschiebungen der vergangenen Jahre an: die wachsende Salonfähigkeit von Äußerungen, die früher in der Öffentlichkeit unsagbar schienen.
„Damals hieß es nie wieder. Es ist nicht lange her. Wehret den Anfängen – wenn das nur die Anfänge wären“, heißt es da. Entstanden ist der Text vor dem rechtsextremen Attentat von Halle, den die CDU-Chefin Annegret-Kramp Karrenbauer im Oktober noch als Alarmsignal bezeichnete und damit offenbarte, wie wenig das Faktum rechtsextremer Gewaltbereitschaft und wie wenig die Angst, die Minderheiten angesichts dessen verspüren, oft in den Köpfen jener verankert ist, die nicht selbst zur Zielscheibe von Rassismus und Antisemitismus werden.
„Natürlich fragen wir uns alle, wie viele Halles braucht es“, damit die Politik endlich handele. Rassisten habe es immer gegeben, aber inzwischen gebe es eine Partei, „die im Bundestag sitzt, unter deren Schirm – zumindest deren rechtem Flügel – sich Menschen sammeln können mit der Gesinnung“, sagt Herre, der in der Vergangenheit immer wieder politisch Stellung bezogen hat und das auch auf „Athen“tut. „Wir leben in Zeiten, in denen man – meiner Meinung nach – nicht vorbeigucken kann an bestimmten Entwicklungen“, sagt er. „Das beschäftigt mich und das beschäftigt Menschen um mich herum und ich kann dieses Mikrofon, das ich da vor der Nase habe, auch dafür nutzen.“