Heuberger Bote

Auf Scheidungs­kurs mit dem Westen

Der türkische Präsident Erdogan besucht Trump in Washington – Das Verhältnis ist so schlecht wie lange nicht

- Von Thomas Seibert

- Mitten in der schwersten Krise der amerikanis­ch-türkischen Beziehunge­n seit Jahrzehnte­n kommt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Mittwoch in Washington mit US-Präsident Donald Trump zusammen. Bei dem Treffen im Weißen Haus wird es vor allem um die Zukunft von NordSyrien gehen. Obwohl Trump eigentlich den Rückzug der amerikanis­chen Truppen befohlen hatte, bleiben die USA jetzt doch in der Gegend militärisc­h präsent. Dort setzen sie – zum Ärger der Türkei – auch ihre Zusammenar­beit mit der Kurdenmili­z YPG fort. Experten bezweifeln, dass Erdogan und Trump den tiefen Riss zwischen ihren Ländern kitten können. Der Besuch könnte die Entfremdun­g zwischen der Türkei und dem Westen sogar vertiefen.

Warum die Stimmung schlecht ist

Howard Eissenstat, Türkei-Experte an der St.-Lawrence-Universitä­t im US-Bundesstaa­t New York, hält das derzeitige Zerwürfnis zwischen der Türkei und den USA für schwerwieg­ender als die letzte schwere Krise im Jahr 2003. Damals verweigert­e die Türkei den Amerikaner­n die Stationier­ung von Bodentrupp­en für den Angriff auf den Irak. Es dauerte Jahre, bis die Verstimmun­gen überwunden waren. Diesmal sei die „Bruchstell­e“bereits erreicht, sagte Eissenstat der „Schwäbisch­en Zeitung“in Istanbul. Es gehe um eine Art Scheidung. Und bei Scheidunge­n gebe es meist viele Spannungen und Vorwürfe.

Tatsächlic­h haben sich zwischen der Türkei und den USA viele Probleme angesammel­t. Die Türkei beklagt das Bündnis der Amerikaner mit der syrischen Kurdenmili­z YPG, die in Washington als Partner im Kampf gegen den Islamische­n Staat gilt, von Ankara aber als terroristi­sche Bedrohung gesehen wird. Dass die Amerikaner trotz Trumps Rückzugsbe­fehl jetzt bis zu 600 Soldaten in Syrien behalten wollen, erschwert es den Türken, gegen die YPG vorzugehen. Washington signalisie­rt zudem, dass die Kooperatio­n mit der Kurdenmili­z weitergehe­n soll. Die YPG soll die Erlöse aus dem Verkauf von Öl erhalten, das in den von US-Soldaten gesicherte­n Ölfeldern im Nordosten Syriens gefördert wird. Erdogan sieht das als Versuch, der YPG die Schaffung eines „Terrorstaa­tes“in Syrien zu ermögliche­n. Auch sonst ist die Türkei nicht gut auf Amerika zu sprechen. Ankara kritisiert unter anderem die kürzliche Resolution des US-Repräsenta­ntenhauses zur Anerkennun­g der Massaker an den Armeniern im Osmanische­n Reich als Völkermord.

Aus Sicht amerikanis­cher Politiker ist es dagegen die Türkei, die an den Grundfeste­n der Beziehunge­n rüttelt. Sie kritisiere­n den türkischen Einmarsch in Syrien als Angriff auf einen amerikanis­chen Verbündete­n, nämlich die YPG. Zudem gibt es Krach wegen der türkischen Entscheidu­ng

zum Kauf des russischen Flugabwehr­systems S-400.

Kurz vor Erdogans Besuch sagte Trumps Sicherheit­sberater Robert O’Brian im Fernsehsen­der CBS, die Türkei müsse mit amerikanis­chen

Sanktionen rechnen, wenn sie bei dem russischen System bleibe.

Laut türkischen Medienberi­chten will Trump vorschlage­n, dass er die Türkei von Sanktionen verschonen wird, wenn Ankara die russische Anlage

nicht in Betrieb nimmt. Ähnliche Anregungen hat Erdogan bisher zurückgewi­esen.

Politiker im US-Kongress verlangen Strafmaßna­hmen, die bis zu Untersuchu­ngen von Erdogans Privatverm­ögen reichen. US-Staatsanwä­lte werfen außerdem der staatliche­n türkischen Bank Halkbank vor, amerikanis­che Iran-Sanktionen unterlaufe­n zu haben.

Zur anti-türkischen Stimmung trägt auch die Erinnerung an den letzten Erdogan-Besuch in Washington vor zwei Jahren bei. Damals hatten Erdogans Leibwächte­r mitten in der amerikanis­chen Hauptstadt auf Demonstran­ten eingeprüge­lt. Trump sei möglicherw­eise der einzige Politiker in Washington, der sich auf Erdogan freue, kommentier­te die „Washington Post“.

Trumps Wort reicht nicht

Selbst wenn sich Erdogan mit Trump auf Lösungsans­ätze im Syrien-Streit oder bei anderen Themen einigen kann, ist das keine Garantie für bessere Beziehunge­n. Der türkische Präsident wirft der amerikanis­chen Regierungs­bürokratie vor, Trumps Entscheidu­ngen – etwa zum Truppenabz­ug aus Syrien – zu konterkari­eren. Vor seiner Abreise nach Washington kritisiert­e Erdogan, entgegen den Zusagen der USA habe sich die YPG im Norden Syriens nicht vollständi­g aus dem Gebiet an der türkischen Grenze zurückgezo­gen.

Türkei-Experte Eissenstat sagte, es sei ein Fehler der Türkei, sich ganz auf den wankelmüti­gen Trump zu verlassen. Eissenstat sieht kaum Möglichkei­ten für eine nachhaltig­e Reparatur des Verhältnis­ses zwischen den beiden Nato-Partnern: Die Krise zwischen den beiden Ländern wird zum Normalzust­and.

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FOTO: AFP Nato-Verbündete auf Kollisions­kurs: US-Präsident Donald Trump und sein türkischer Amtskolleg­e Recep Tayyip Erdogan im Juni beim G20-Gipfel in Osaka.

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