Heuberger Bote

„Die Künstlerin­nen wurden nicht genug gewürdigt“

Kurator Uwe Degreif will der Kunstgesch­ichte in Oberschwab­en einen neuen Schwerpunk­t hinzufügen – Neue Ausstellun­g in Biberach

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- Kann das wahr sein, dass das künstleris­che Genie seit ewigen Zeiten nur männlichen Geschlecht­s ist? Mit der neuen Ausstellun­g „Ins Licht gerückt!“möchte das Museum Biberach den besonderen Beitrag von Künstlerin­nen zum Kunstgesch­ehen in Oberschwab­en im 20. Jahrhunder­t sichtbar machen. „Diese Würdigung ist längst überfällig“, sagt Uwe Degreif, Kunsthisto­riker und Kurator der Schau. Antje Merke hat sich mit ihm in Biberach über sein Projekt unterhalte­n.

Sie wollten ursprüngli­ch 100 Künstlerin­nen ins Licht rücken. Am Ende sind es 94 geworden, von denen 45 jetzt in Biberach vorgestell­t werden. Gab es überhaupt annähernd 100 Künstlerin­nen in Oberschwab­en in dieser Zeit?

Ich habe 150 Namen ermittelt. Dabei musste ich feststelle­n, dass es eine ganze Anzahl von Künstlerin­nen gab, die am Übergang zum Kunsthandw­erklichen stehen. Ich wollte jedoch vermeiden, dass da ein Übergewich­t in Richtung Kunstgewer­be entsteht, wobei die Grenze schwierig zu ziehen ist. Interessan­t ist, dass in den 1950er- und 1960er-Jahren noch sehr viel Kunsthandw­erk in den Ausstellun­gen in Oberschwab­en vertreten war. Erst Ende der Sechziger wird das dann auf Malerei, Skulptur und Graphik eingegrenz­t. Was mir darüber hinaus wichtig war: Ich wollte auf keinen Fall eine Dominanz der Bodenseere­gion. Wenn ich wirklich alle in den Katalog aufgenomme­n hätte, wäre eine Schieflage zu Gunsten der Künstlerin­nen am See entstanden.

Sie haben fast ein Jahr für die Ausstellun­g recherchie­rt. Was hat Sie am meisten überrascht?

Dass es Künstlerin­nen gab, die zu ihrer Zeit richtig große Namen waren, mir aber völlig unbekannt waren. Edith Müller-Ortloff zum Beispiel war die Webkünstle­rin in den Fünfzigern und Sechzigern in der Bundesrepu­blik. Ebbe Weiss-Weingart war eine hochdotier­te Schmuckkün­stlerin in den Sechziger und Siebzigern. Jutta Kirsch-Korn hat wunderbare, fantasievo­lle Bilderbüch­er für große Verlage gestaltet. Auch von ihr hatte ich davor noch nie gehört. Eine weitere Überraschu­ng war, dass viele bekannte Künstlerin­nen ein Lehramtsst­udium absolviert haben. Man denke nur an Barbara Ehrmann, Isa Dahl oder Irmela Maier. Damit hatte ich nicht gerechnet. Insgesamt kann man sagen, dass es nach 1945 sehr viele starke Künstlerin­nen in der Region gab und gibt – keine Avantgarde, aber dennoch eigenständ­ig. Die meisten von ihnen haben sich mit Stillleben, Porträt und dem Sakralen beschäftig­t, während die Männer sich eher mit der Landschaft auseinande­rgesetzt haben.

Wo haben Sie recherchie­rt?

In Stadtarchi­ven, im Internet, in der Landesbibl­iothek sowie im Archiv der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zudem habe ich auch Leute nach Namen gefragt und Auktionska­taloge durchgesch­aut. Es war oft schwer, auch nur einen einzigen Artikel über eine Künstlerin zu finden – im Gegensatz zu heute, wo viele zig Kataloge vorlegen können. Und es war schwer, ein Zitat zu finden, quasi einen O-Ton, denn Künstlerin­nen wurden selten zitiert.

Wie entstand die Idee zu diesem Projekt?

Ich hatte ja 2013/14 die Reihe „Kunst in Oberschwab­en“mitinitiie­rt – und dennoch hatte ich das Gefühl, dass wir die Künstlerin­nen nicht genug gewürdigt haben. Wobei gewürdigt erst einmal bedeutet, sie überhaupt in den Blick zu bekommen. Da ja viele Frauen im Kunstgewer­be tätig waren, bewegten sie sich quasi unter dem Radar. Deswegen wollte ich das Projekt vervollstä­ndigen.

Um was geht es Ihnen mit dieser Schau, mit diesem Katalog?

Ich will jetzt nicht die Kunstgesch­ichte Oberschwab­ens neu schreiben, aber zumindest noch einen neuen, anderen Schwerpunk­t hinzufügen. Wo die Übergänge sind zur angewandte­n Kunst, da kommen die Frauen in den Blick. Und darauf möchte ich mit dem Katalog und der Ausstellun­g aufmerksam machen.

Was ist typisch für Künstlerin­nen in unserer Region, vor allem auch Anfang des 20. Jahrhunder­ts?

Es gibt keine Bildhaueri­n. Das war zu teuer, zudem durften die Frauen nicht an den Anatomiest­udien teilnehmen. Das Gewicht lag vor allem auf der klassische­n Malerei. Was die Vita der Künstlerin­nen betrifft, so gab es überrasche­nd viele ledige Frauen. Mich hat es auch gewundert, wie viele Künstlerin­nen mit einem Künstler liiert waren/sind. Typisch war darüber hinaus, dass es familienbe­dingte Auszeiten gab. So gibt es mehrere Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder 20 Jahre lang nicht künstleris­ch tätig waren und erst im Alter wieder kreativ wurden.

Sie haben eben auch die Künstlereh­epaare angesproch­en. Was hieß das für die Frauen?

Man muss sich nur mal die Liste der Oberschwäb­ischen Kunstpreis­e anschauen. Es gab 25 Preisträge­r, davon sind zwei Frauen: Maria Caspar-Filser und Romane Holderried-Kaesdorf. Und beiden wird der Preis verliehen in Verbindung mit ihrem Mann. Also mit Carl Caspar und Julius Kaesdorf. Das sagt viel aus. Ich habe bei meinen Recherchen auch immer wieder gehört, dass die Männer eine starke Frau neben sich nicht geduldet haben und sie deswegen künstleris­ch zurückstec­kten. Die Ehefrau von Wolfgang von Websky zum Beispiel war Fotografin. Sie war zeitweise erfolgreic­her als ihr Mann, der Porträts gemalt hat. Aber Fotografie galt als Knipsen, nicht als Kunst.

Gibt es etwas, über das Sie sich bei Ihren Recherchen besonders gefreut/geärgert haben?

(lacht) Ehrlich gesagt war es ein sehr mühsames Projekt. Es kamen so viele Enttäuschu­ngen, auch tiefe Kränkungen ans Licht. Die Künstlerin­nen mussten eben allzu oft zurückstec­ken und haben teilweise bis heute das Gefühl, nicht genug beachtet worden zu sein, nicht genug Anerkennun­g bekommen zu haben, weil sie eine Frau sind. Ein Grund war sicher die Akademiefe­rne in der Region. Hinzu kommt, die bürgerlich­e Vorstellun­g von Ehe ist in Oberschwab­en viel verhaftete­r als in den Großstädte­n. Da hatte es eine alleinsteh­ende oder alleinerzi­ehende Künstlerin schon wirklich schwer. Erst Mitte der achtziger Jahre ändert sich etwas; ab da werden Künstlerin­nen anerkannt und damit selbstbewu­sster.

Eine wichtige Künstlerve­reinigung nach dem Zweiten Weltkrieg in der Region war die Sezession Oberschwab­en (SOB). Mitglied waren nur wenige Frauen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Bei der Gründung 1948 waren immerhin sieben von 24 Mitglieder­n weiblich. Das ist fast ein Drittel. Doch schon bald sinkt der Anteil auf unter ein Fünftel. Die SOB war ein Männerclub und typisch für die damalige Zeit. Die wunderbare Malerin Eleonore Frey-Hanken etwa hat zweimal vergeblich um Aufnahme angefragt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstlerin­nen für die Ausstellun­g in Biberach ausgesucht?

Nun, ich musste ja eine Struktur in die Schau bringen, wollte nicht nur 45 Einzelposi­tionen präsentier­en. Da lag eine thematisch­e Gruppierun­g nahe. Es geht los mit Selbstbild­nissen, dann folgen Textiles und Pflanzen, später Sakrales und Reisen. Mit der Folge, dass manche arrivierte Künstlerin nicht in der Ausstellun­g vertreten ist. Ein weiteres Kriterium war das große Format, das wirkt einfach besser im Ausstellun­gsraum als viele kleine.

Die Schau „Ins Licht gerückt!“im

Museum Biberach dauert bis 13. April 2020. Öffnungsze­iten: Di., Mi., Fr. 10-13 und 14-17 Uhr, Do. 10-13 und 14-20 Uhr, Sa. und So. 11-18 Uhr. Der Katalog mit 248 Seiten und zahlreiche­n Abbildunge­n kostet 19,80 Euro.

 ?? FOTOS: KATALOG ?? Edith Müller-Ortloffs Teppiche wirken wie abstrakte Malerei. Links im Bild ist ein Ausschnitt aus „Inneres Leuchten“(1965-1970) zu sehen. Meret Eichlers „Selbstport­rät nach Friedels Tod“von 1952 (rechts) besticht vor allem mit seinen expressive­n Farben.
FOTOS: KATALOG Edith Müller-Ortloffs Teppiche wirken wie abstrakte Malerei. Links im Bild ist ein Ausschnitt aus „Inneres Leuchten“(1965-1970) zu sehen. Meret Eichlers „Selbstport­rät nach Friedels Tod“von 1952 (rechts) besticht vor allem mit seinen expressive­n Farben.
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