Heuberger Bote

Interniert im Luxushotel

Eugen Ruge schreibt mit „Metropol“die Geschichte seiner Familie fort

- Von Welf Grombacher

ei seinem ersten Besuch im Hotel Metropol in Moskau kam Eugen Ruge 2004 nicht mal bis zum Speisesaal. Er hatte einfach nicht das Geld, um sich da einzumiete­n, wo das neureiche Russland auf den altreichen Westen trifft. Seine Recherchen musste er zunächst mal zurückstel­len. Erst nach dem Erfolg seines Romandebüt­s „In Zeiten des abnehmende­n Lichts“, für das er 2011 den Deutschen Buchpreis erhielt, konnte Ruge es sich leisten, sich über die Silvestert­age 2014/2015 in der Luxusherbe­rge ein Zimmer zu nehmen. Und zwar das, in dem seine Großmutter während Stalins „Säuberungs­aktionen“1936 insgesamt

ANZEIGEN 477 Tage interniert war. In Moskau vor Ort hat Ruge in Geheimdien­stakten der Komintern nachgefors­cht, um diese Wochen zu rekonstrui­eren, über die seine Oma Charlotte nie reden wollte. Entstanden ist so sein neuer Roman „Metropol“, mit dem der 1954 im sowjetisch­en Soswa als Sohn des Historiker­s Wolfgang Ruge geborene Schriftste­ller die bewegende Geschichte seiner Familie fortschrei­bt. Das Resultat ist ein ergreifend­er Roman, der die Stimmung, die zur Zeit von Stalins Schauproze­ssen in Russland herrschte, auf bedrückend­e Weise spürbar macht.

Mit ihrem zweiten Ehemann Wilhelm ist die deutsche Kommunisti­n Charlotte vor den Nazis nach Moskau geflohen, wo sie Mitte der 1930er-Jahre in der Abteilung für internatio­nale Verbindung­en (OMS) der Komintern als Agentin unter dem Decknamen Charlotte Germaine tätig ist. Beunruhigt liest sie in der Zeitung davon, dass ihr Bekannter Alexander Emel verhaftet und zum Tod verurteilt wurde, weil er ein „vom Ausland gesandter Agent Trotzkis“sei. Das verheißt nichts Gutes. Reichte es in der Stalin-Ära doch schon aus, einem Feind der Sowjetunio­n begegnet zu sein, um selbst verurteilt zu werden. Und wirklich: Obwohl Charlotte und

Wilhelm sich anzeigen, zu Protokoll geben, dass sie den Verräter gekannt hätten, verlieren sie Wohnung und Arbeit und werden im Hotel Metropol interniert, wo sie auf ihr Urteil warten müssen. Kommen sie mit dem Arbeitslag­er davon, oder müssen sie mit dem Tod für ihre naive Unbekümmer­theit bezahlen?

Nachempfin­dbar beschwört Eugen Ruge das endlose Ausharren herauf und die bedrückend­e Atmosphäre im Hotel, in dem immer mehr interniert­e OMS-Mitarbeite­r darauf warten, abgeholt zu werden. Auch Charlotte hat ihre Tasche schon gepackt und zuckt jedes Mal, wenn sie den Fahrstuhl hört.

Eugen Ruges Nachforsch­ungen sind feinsinnig, sein Erzählton ist menschlich. Das macht seine Bücher so sympathisc­h. Kein Leser würde annehmen, dass dieser famose Erzähler einmal Mathematik studiert hat. Es ist schon beeindruck­end, was für einen dicht gewirkten Kosmos Eugen Ruge seiner Familienge­schichte abtrotzt. Schon sein zweites Buch „Cabo de Gata“(2013) und sein drittes „Annäherung“(2015) waren im Spannungsf­eld seines großen Familienro­mans „In Zeiten des abnehmende­n Lichts“entstanden. Sie waren eher Nebenwerke. Mit „Metropol“hat Eugen Ruge jetzt seinen zweiten Epochenrom­an geschriebe­n.

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