Grenzwertige Bräuche
Wie man in Möhringen mit den badischen und schwäbischen Unterschieden umgeht
(sbh) Tuttlingen ist seit jeher Grenzposten für das Schwabenland. Denn nur einen Katzensprung entfernt liegt schon das Badnerland. Und mit der Eingemeindung Möhringens wuchs sogar ein Stück „badisches Ausland“an das schwäbische Tuttlingen heran. Doch so mancher Unterschied in Bräuchen und Gepflogenheiten besteht – bis heute.
Es war das Weihnachtsfest 2018 als Michael Seiberlich und Norbert Martin mit Zylinder, Maßband und Bewertungsbogen durch das badische Möhringen zogen. Ihre Mission: Fremde Christbäume in der Stadt beurteilen und loben. In zahlreichen Haushalten fanden sie dazu Einlass, bedankten sich mit einem Weihnachtsständchen und Schritten schließlich zur Tat und überprüften
Nadelstand, Wuchs und Gesamtzustand der Weihnachtsbäume. Zum Dank für die Überprüfung gab es vom Baum-Besitzer für die Durchführung des humorigen Brauchs einen Schnaps. „Das ist sehr gut angenommen worden“, erinnert sich Seiberlich heute. Doch die Sache hatte einen Haken. Denn ein badischer Brauch ist das Christbaumloben nicht. Ein Umstand, der Seiberlich und Martin zur Fasnet vor das Möhringer Schemengericht brachte – wegen des Einbringens eines schwäbischen Brauchs. „Fern bleib uns die
Schwabenseuche, die verwässert uns die Bräuche“, kommentierten die Narren, die jedes Jahr ein Ortsschild mit „Großherzogtum Baden“aufstellen, die Anklage damals.
Auch wenn die Konkurrenz von Baden und Schwaben mittlerweile hauptsächlich zur Fasnet und dann in der Regel mit einem Augenzwinkern zu Tage tritt, so gab es doch in der Geschichte Unterschiede zwischen dem schwäbischen Tuttlingen und dem badischen Möhringen. Denn neben dem badischen war Möhringen auch landwirtschaftlich geprägt, Tuttlingen eher industriell ausgerichtet. Während die Menschen in Tuttlingen traditionell protestantisch geprägt waren, waren die Möhringer eher katholisch. So gab es durch die Teilung von Baden und Schwaben – weit vor der Eingemeindung – auch unterschiedliche konfessionelle Feiertage in den beiden Orten.
Was die Bräuche angeht, so hat Möhringen auch seine eigenen Ausprägungen. Dort wird beispielsweise das sogenannte „Barschen“gepflegt. Ein Würfelspiel, das in Gasthäusern gespielt wird und bei dem ein Hefeteigring gewonnen werden kann. Ein Brauch, den es natürlich nicht nur in Möhringen gibt, der dort aber noch stark gepflegt wird. Um Silvester finden sich jedes Jahr etwa im Gasthaus „Löwen“um die 80 Gäste ein, um das Würfelspiel zu spielen. Ein weiteres Spiel, dass vor allem im badischen Teil des Landes – und damit auch in Möhringen – gespielt wird, ist das Kartenspiel „Cego“.
So ist von der alten Grenze immer noch ein kleiner Teil übrig geblieben. Doch die Möhringer Narren zeigten sich zuletzt gnädig angesichts des eingeschleppten Brauchs durch Seiberlich und Martin. Sie vereidigten die beiden nun gar zu offiziellen Christbaum-Lobern – mit der Verpflichtung auch den Maibaum entsprechend zu loben. So findet ein schwäbischer Brauch nun vielleicht Einzug auch ins Badische.