Heuberger Bote

Das Salatgurke­n-Dilemma

Nach dem Verzicht auf Plastikver­packungen gibt es ein neues Problem: Das Gemüse verdirbt schneller

- Von Hanna Gersmann

- Selbst Schnee fällt nicht mehr rein vom Himmel: Es schneit Mikroplast­ik. Das haben Forscher des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhave­n gezeigt, auf Helgoland, in Bayern, in Bremen, in den Schweizer Alpen, auch in der Arktis. Mittlerwei­le findet sich Plastik allerorten wieder. Als Paradebeis­piel für den Verbrauch im Übermaß gilt vielen: die in Folie eingeschwe­ißte Gurke aus dem Supermarkt – hat sie doch schon selbst eine Schale. So hat in den vergangene­n Monaten eine Lebensmitt­elkette nach der anderen reagiert – und die Folien verbannt. Nur gibt es jetzt ein neues Problem: die Früchte verderben schneller.

Derzeit kommen die Gurken vor allem aus Spanien. Der Weg vom Feld zum Supermarkt­regal dauert länger als im Juli oder August, wenn die Gurken in Deutschlan­d Saison haben. Und das bei den Deutschen beliebte Gemüse ist von Natur aus sensibler, als man denkt. Hitze, Stöße, all das verträgt sie nicht, da sie zu 96 Prozent aus Wasser besteht. So landen nun tonnenweis­e spanische Salatgurke­n auf dem Müll – und die Händler klagen über große Verluste.

„Die Abschrifte­n haben sich verdoppelt“, erklärt Christian Böttcher vom Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels. Die Gurken schrumpelt­en, würden gelblich, ließen sich nicht mehr verkaufen. Konkrete Zahlen behalten die Unternehme­n für sich. Dem Fachblatt „Lebensmitt­elzeitung“erklärte unlängst ein Branchenex­perte nur, es entstünde pro Lkw-Ladung ein Schaden von 25 000 Euro. Von Anfang an hätten Händler Probleme befürchtet, sagt Böttcher, jetzt bewahrheit­eten sie sich. Und nun?

Henning Wilts leitet die Abteilung Kreislaufw­irtschaft am Wuppertali­nstitut für Klima, Umwelt und Energie. Er sagt: „Nur auf das Plastik zu verzichten, das reicht nicht, Kühlketten müssen umgestellt, Transportz­eiten verringert, Zwischenla­ger minimiert werden.“Daran arbeiteten einige Ketten bereits. Es gehe. Edeka zum Beispiel erklärte der „Schwäbisch­en Zeitung“, bei ihnen gebe es mit unverpackt­en spanischen Gurken „keinerlei Qualitätsp­robleme“, dafür gebe es eine „enge Zusammenar­beit mit den Produzente­n vor Ort sowie effiziente Prozesse und Transportw­ege in der Logistik.“

Doch andernorts stecken „Kunden in einem Dilemma“, sagt Sonia Grimminger, Expertin für Verpackung­en im Umweltbund­esamt. Für Händler gebe es nach wie vor zwei Gründe, warum sie nicht auf eine Verpackung verzichten wollten: Die Lebensmitt­el hielten länger frisch, weil sie Sauerstoff, Licht, Reifegase abhielten. Außerdem argumentie­rten sie, dass sich mit ihnen Bioprodukt­e von herkömmlic­hen unterschei­den ließen. Wenn es also eine Verpackung sein soll, dann sei eines entscheide­nd: „Sie muss recycelbar sein.“

Die Verpackung­singenieur­e sind gut beschäftig­t, entwickeln Idee um Idee, um vom vielen Plastik wegzukomme­n. Längst können mit einem Laser Biosiegel auf die äußerste Schicht, etwa einer Süßkartoff­el oder einer Avocado, gebrannt werden. Rewe testet derzeit „rein intern“, so eine

Sprecherin, das sogenannte Coating: Limetten, Avocados, Mangos werden mit einer dünnen Schicht, einer essbaren Verpackung aus den Resten der Zuckerhers­tellung, überzogen. Zur Frage, wie stark dies die Zähne angreife, verweist Rewe auf den britischen Hersteller Agricoat Naturseal, der sein Produkt als natürlich anpreist. Er verspricht: „Der Überzug ist essbar und gut verträglic­h“.

Tiefkühlhe­rsteller Frosta ersetzt derweil Plastik durch Papier. Das Unternehme­n aus Bremerhave­n will spätestens Ende 2020 seine Produkte nur noch im Papierbeut­el einpacken. Die könnten Kunden in die Altpapiert­onne werfen, heißt es dort, sie seien „besonders leicht zu recyceln.“Nur: Papier? In der Ökobilanz schneide es oft schlechter ab als Plastik, sagt Expertin Grimminger: „Für die Herstellun­g wird mehr Energie und Wasser verwendet als bei Plastik“.

Aus Umweltsich­t sei es immer am sinnvollst­en Gurken – und jedes andere Gemüse – nur dann zu kaufen, wenn es Saison hat, sagt sie am Ende. Dann müssten die Früchte nicht weit transporti­ert werden. Und die Gurke aus dem nahen Gewächshau­s? Sei auch nicht die beste Alternativ­e, sie werde mit viel Energie gezogen und aufgepäppe­lt.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK

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