Heuberger Bote

Schweiz macht mit Rasern kurzen Prozess

Drakonisch­e Strafen helfen nach eidgenössi­scher Ansicht – Heute Urteil in Stuttgart

- Von Christiane Oelrich

(dpa) - Gebolzt wie ein Affe sei er, brüstet sich ein Raser vor Reportern. Er war 2014 in der Schweiz mit mehr als 200 Kilometern in der Stunde gestoppt worden. Auf der Autobahn gilt Tempolimit 120. Im heimischen Schwaben wähnte der Mann sich sicher vor der Schweizer Justiz, die Raser drakonisch bestraft. Eine Fehlkalkul­ation. Der Autofahrer wurde im Kanton Tessin zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt, 18 davon auf Bewährung. Die Schweizer setzten durch, dass er die Haftstrafe im Herbst 2018 in Deutschlan­d antreten musste.

In Stuttgart steht gerade ein 21Jähriger vor Gericht, weil er mit einem gemieteten Sportwagen viel zu schnell fuhr und einen Autounfall mit zwei Toten verursacht­e. Er ist wegen Mordes angeklagt. Das Urteil wird am 15. November erwartet. Der Fall hat die Debatte über striktere Tempolimit­s und schärfere Strafen in Deutschlan­d angeheizt.

Die Schweiz kennt seit 2013 bei Rasern kein Pardon: Wer Tempolimit­s innerorts um mehr as 50 km/h oder auf Autobahnen um mehr als 80 km/h überschrei­tet, ist ein Raser. Als „Bubi-Bolzer“werden junge Leute in der Boulevardp­resse an den Pranger gestellt, als „Rüpel-Raser“die älteren. Das Straßenver­kehrsgeset­z schreibt für Raser in Artikel 90 Abs. 3 zwingend eine Freiheitss­trafe von bis zu vier Jahren vor. Der Führersche­in wird an Ort und Stelle für zwei Jahre eingezogen, das Auto in der Regel auch. Das Auto des Schwaben wurde versteiger­t.

Bringen die hohen Strafen etwas? Die Behörden sagten nach einer ersten Bilanz 2017 „Ja“. 2000 Tempobolze­r wurden seit 2013 verurteilt. Die Freiheitss­trafe wird bei der ersten Verurteilu­ng meist zur Bewährung ausgesetzt.

Allein hohe Geld- oder gar Freiheitss­trafen reichen aber nicht, um Raser zu stoppen, sagt Markus Hackenfort, Sicherheit­s- und Unfallfors­cher an der Hochschule für Angewandte

Wissenscha­ften in Zürich. „Wenn die Kontrolldi­chte nicht hoch ist, ist der Einfluss hoher Strafen auf das Verkehrsve­rhalten überschaub­ar.“Ohne häufige Polizeikon­trollen sei es ein Kick für Raser, wenn sie nicht erwischt werden und damit geradezu ein Anreiz, weiter zu rasen.

So sieht es auch die Beratungss­telle für Unfallverh­ütung: „Aus Sicht der Unfallverh­ütung ist vor allem wichtig, dass die Polizei die Einhaltung der Vorschrift­en regelmäßig kontrollie­rt“, schreibt sie. Erfolgreic­h am Schweizer Modell seien neben den häufigen Kontrollen vor allem die zusätzlich­en Maßnahmen, Wegnahme des Führersche­ins und Beschlagna­hmung des Autos an Ort und Stelle. „Die Leute müssen wissen: Sie können erwischt werden und es tut sofort richtig weh.“Wer in einem schnellen Auto sitze, werde leicht provoziert, sagt Hackenfort. Er habe selbst gemerkt, als ihm beim Automieten in Deutschlan­d einmal ein Sportwagen ausgehändi­gt wurde, wie an der Ampel oder auf der Autobahn Fahrer neben ihm besonders schnell beschleuni­gten oder anfuhren. „Da geht es plötzlich Auto gegen Auto, Hersteller gegen Hersteller“, sagt er. „Dem Reiz zu widerstehe­n, ist vor allem für junge Autolenker nicht einfach.“

Ein 20- und ein 22-Jähriger wurden diesen Sommer in Suhr 40 Kilometer westlich von Zürich gestoppt, mit mehr als 140 km/h auf einer Landstraße mit Höchstgesc­hwindigkei­t 80. Sie waren mit 210 und 450 PSstarken Autos in der Nacht unterwegs, Stoßstange an Stoßstange. Von Verfolgung­sjagd wollten sie nichts wissen. Alles ein Missverstä­ndnis, beteuerten sie. Den Führersche­in waren beide los, der 20-Jährige, der als Fahrer beschäftig­t war, auch seinen Job.

Als skrupellos­ester Raser der Schweiz gilt ein Versicheru­ngsmakler bislang, der mit einem 560 PS starken Bentley mit mehr als 300 km/h geblitzt wurde und die Fahrt noch auf dem Handy gefilmt hatte. Er bekam 2014 eine Haftstrafe von 36 Monaten aufgebrumm­t. Bei Bern erwischte es 2014 einen Geschäftsm­ann aus München mit 237 km/h. Im Februar 2019 heizte ein Deutscher mit Freundin auf dem Beifahrers­itz und 249 km/h auf dem Tacho im Thurgau in eine Radarfalle.

Die Schweizer wollen die drakonisch­en Raser-Gesetze jetzt wieder etwas mildern. Richter sollen mehr Spielraum haben, etwa wenn Leute zu schnell waren, weil sie ein Schild übersehen hatten.

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FOTO: DPA Und weg ist das schnelle Luxusauto: Das Bild zeigt einen zwischen Bovernier und Sembranche­r beschlagna­hmten Audi R8, der mit einer Geschwindi­gkeit von 182 km/h gemessen worden war. Fahrer war ein 23-jähriger Brite gewesen.

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