Heuberger Bote

Korruption hat Venedigs Flutschutz verzögert

Inselstadt hätte Hochwasser­katastroph­e bei einer Vollendung riesiger Stauanlage­n wohl besser überstande­n

- Von Annette Reuther

(dpa) - Nach dem verheerend­en Hochwasser in Venedig ist ein Streit über den mangelnden Flutschutz der Unesco-Welterbest­adt entbrannt. Ein Milliarden-Projekt zum Hochwasser­schutz sollte eigentlich schon längst fertig sein – doch Skandale und schleppend­e Bürokratie verzögerte­n den Bau immer weiter. Hoteliers beklagten schwere Schäden an Touristenu­nterkünfte­n. Viele Urlauber hätten ihre Reisen storniert, sagte Laura Ferretto vom Hotelverba­nd Federalber­ghi Veneto am Donnerstag. „Es gab so viele Verspreche­n und nichts wurde getan“, sagte sie mit Bezug auf den Flutschutz.

Das Projekt namens „Mose“– kurz für Modulo Sperimenta­le Elettromec­canico – sollte eigentlich schon 2014 in Betrieb gehen. Dabei sollen riesige, ausfahrbar­e Barrieren an drei Eingängen in die Lagune das Hochwasser abhalten. Vor mehr als 15 Jahren begannen die Arbeiten, die knapp sechs Milliarden Euro kosten. Ein Korruption­sskandal verzögerte das umstritten­e Mammutwerk allerdings. Auch gibt es seit jeher Kritik, dass ein Eingriff in das sensible Ökosystem der Lagune mehr schade als nutze.

Nach den katastroph­alen Bildern der Zerstörung beeilten sich Politiker zu versichern, dass das Projekt im kommenden Jahr fertig werde. „In den letzten Jahren gab es viele Skandale. Es gab schwere Verzögerun­gen“, räumte Infrastruk­turministe­rin Paola De Micheli in einem Radiointer­view ein. Jetzt seien aber bereits 93 Prozent fertiggest­ellt. „Es fehlen die letzten 400 Millionen. (…) Es steht nichts still.“Ministerpr­äsident Giuseppe Conte versprach seine Unterstütz­ung. Doch die Skepsis ist groß. „Mose“trägt bereits den Namen „die große Unvollende­te“– eine Art venezianis­cher BER (der Berliner Pannen-Flughafen) also.

Der Wasserstan­d war getrieben durch heftigen Wind in der Nacht zu Mittwoch auf 187 Zentimeter über dem normalen Meeresspie­gel gestiegen – das war der höchste Wert seit einer verheerend­en Flut im Jahr 1966 und bedeutet, dass mehr als 80 Prozent der historisch­en Stadt unter Wasser stehen. Am Donnerstag entspannte sich die Lage etwas. Vormittags wurden 113 Zentimeter gemessen, doch neue Unwetter sollten heranziehe­n. Der Zivilschut­z warnt bereits.

Wissenscha­ftler führen die zunehmende­n Fluten in Venedig auf den Klimawande­l zurück, der den Meeresspie­gel steigen lässt. „Das Hochwasser in Venedig bringt das Problem der absoluten Trägheit an die Oberfläche, mit der man in Italien das Phänomen des Meeresspie­gelanstieg­s angeht“, erklärte Luigi Merlo vom Handelsver­band Confcommer­cio. Viele halten auch die großen Kreuzfahrt­schiffe, die tiefe Fahrrinnen

für die Anfahrt brauchen, für eine Gefahr, dass zudem die Stadt absinkt.

Und so müssen erst Bilder wie von einem vollkommen überschwem­mten Markusdom um die Welt gehen, dass sich Italien wieder des Problems bewusst wird. Nach Angaben des Präsidente­n der Region Venetien, Luca Zaia, hatten 80 Prozent der Stadt unter Wasser gestanden. Bürgermeis­ter Luigi Brugnaro bezifferte die Schäden auf mehrere hundert Millionen Euro.

Kulturdenk­mäler seien durch salziges und schmutzige­s Wasser in Mitleidens­chaft gezogen worden, sagte Kulturmini­ster Dario Franceschi­ni und sprach von einem „Notfall“. Kunstwerke in Sammlungen oder Material in Archiven und Bibliothek­en seien aber nach ersten Erkenntnis­sen nicht beschädigt worden.

Während Touristen Selfies mit den Wassermass­en machten, waren die Bewohner der Inselstadt geschockt. „So was habe ich noch nicht gesehen. Es ist eine Katastroph­e. Es ist wie ein Krieg. Wir haben es gewusst“, sagte der Venezianer Ezio Toffolutti. Läden und Supermärkt­e seien alle im Erdgeschos­s, die habe es deshalb schlimm erwischt. Gefährlich seien die elektrisch­en Leitungen. „Eine schrecklic­he Zeit“, sagte der viel in Deutschlan­d tätige Bühnenbild­ner.

Auch er kritisiert­e das Flutschutz­system „Mose“. Das Projekt sei „dumm“. „Jeder, der die Lagune kennt, weiß, dass man die Lagune nicht mit Beton zumachen kann.“Viele Venezianer werfen Politikern vor, die Stadt an Tourismus- und Kreuzfahrt­unternehme­n verkauft zu haben und sich nicht wirklich um den Schutz zu kümmern.

Die Regierung in Rom wollte am Nachmittag für Venedig den Notstand ausrufen, um schneller Mittel bereitstel­len zu können. Regierungs­chef Giuseppe Conte kündigte bereits Entschädig­ungszahlun­gen an, die für Bewohner bei 5000 Euro und für Geschäftsl­eute bei 20 000 Euro liegen sollen.

Übernächst­e Woche soll zudem eine Sonderkomm­ission über die „Probleme Venedigs“beraten, wie Conte ankündigte. Die Liste ist lang geworden.

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