Heuberger Bote

Pasta mit sechs Beinen

Insekten essen ist ein Trendthema, trotzdem kommt der Absatz nicht recht in Schwung – das soll sich ändern

- Von Petra Kaminsky (Text), Visarut Sankham und Marijan Murat (beide Foto)

(dpa) - Sechs Beine, Fühler und Facettenau­gen – den Ekel vor Insekten kennen viele. Besonders wenn sie in die Tiere reinbeißen sollen. Auf der anderen Seite lockt das gute Gewissen: Fachleute werben mit Nachdruck, dass wir alle mehr Krabbeltie­re und Maden essen sollen, um Klima und Umwelt zu retten. Und um etwas gegen die Formen der Massentier­haltung zu tun, bei der Säugetiere wie Rinder und Schweine leiden. Guten Appetit mit Sechsbeine­rn, also? So schlicht und schnell läuft das nicht.

In der Küche des Plumento-Kreativzen­trums in Pforzheim verströmen Pfifferlin­ge, Kräuter und Nudeln einen leckeren Duft. Die Köchin schwenkt die bräunliche Pasta mit ihren Mini-Pünktchen in der Pfanne. Die kleinen Flecken – das ist das dunkle Insektenme­hl. Hergestell­t aus Alphitobiu­s diaperinus, aus den Larven des Getreidesc­himmelkäfe­rs.

Daniel Mohr, Geschäftsf­ührer von Plumento Foods, spricht liebevoll von Buffalowür­mern. Fein gemahlen, als Mehl in Bandnudeln geknetet, erhöhen die Tierchen den Anteil wertvoller Eiweiße. Protein, Eisen, Aminosäure­n – mit dem Begriff Power-Pasta trommelt zum Beispiel Snack-Insects aus Witzeeze in Schleswig-Holstein. „Über zwei Milliarden Menschen weltweit essen Insekten – und du?“, heißt es dort. Das Thema ist so trendig wie selbst fahrende Autos, Flugtaxis und Robotermen­schen – und ähnlich schillernd.

„Die Insektenpa­sta schmeckt nach Aussage vieler Sterneköch­e hervorrage­nd. Und zwar ein bisschen nussig“, schwärmt Mohr, 50, ein Wirtschaft­singenieur mit eckiger Brille und freundlich verschmitz­tem Lächeln. Der Test mit Nudelsalat und Pilzpfanne bestätigt: nussig passt. Seinen Doktor hat der Pforzheime­r, der aus einer Schmuckpro­duzentenFa­milie stammt, am Lehrstuhl für Marketing der TU Berlin gemacht. 14 Jahre lebte Mohr in Asien, war dort Unternehme­r, lernte Speise-Insekten kennen. Dann der Umbruch: Er wollte etwas Neues starten, was einen größeren Sinn ergibt. Für ihn, die Umwelt, die Welt.

Mohr gehört zu den treibenden Kräften einer zweiten Welle in Sachen Ess-Insekten. Die Pioniere sorgten dafür, Heuschreck­en und Mehlwürmer bei uns überhaupt auf die Teller zu bekommen. Gegrillt oder geröstet. Sie wollten Neugierige locken, Menschen aus der alternativ­en Szene und Leute, die die Tiere in Asien oder Afrika schon probiert haben. Doch die Zahl der echten Fans hält sich in Grenzen. Umfragen zeigen: Die Mehrheit kennt das Thema, möchte aber nicht zugreifen.

Jetzt – im zweiten Schub – wählen Hersteller vermehrt einen anderen Weg, um den Ekelfaktor zu umgehen. Die Tiere werden nicht als Ganzes angeboten, sondern verarbeite­t. Oft als Mehl für Pasta, sodass Beine und Augen nicht mehr erkennbar sind. Oder als Protein-Riegel für Sportler. Das wenig Bekannte soll in einer äußerlich bekannten Form den Weg auf neue Märkte finden.

Start-ups und Onlineshop­s beackern dieses Feld. Neuerdings ziehen auch Handelsrie­sen mit. Wie der Metro-Konzern. Er verkauft die Insektennu­deln von Plumento unter anderen in mehreren Real-Filialen. Und bietet sie den Großhandel­skunden in Metro-Märkten etwa in Hamburg, Köln und Berlin an. Auch Citti und andere sind mit von der Partie. Coop in der Schweiz startete 2017 mit Insektenbä­llchen und -burgern. Seither wurde das Sortiment ständig erweitert.

Auch wenn sich die meisten mit Zahlen zurückhalt­en, gibt sich der Metro-Verantwort­liche Fabio Ziemßen optimistis­ch: „Die Brücke zwischen bekannt und neu, die Plumento mit der Insektenpa­sta schlägt, wird auf jeden Fall angenommen.“Ziemßen steuert bei Metro das Thema Ernährung der Zukunft. Das Marktforsc­hungsunter­nehmen Meticulous sagte zumindest voraus, dass der Weltmarkt für wichtige Speise-Insekten bis 2023 auf 1,18 Milliarden Dollar (etwa eine Milliarde Euro) klettern werde – mit jährlichen durchschni­ttlichen Wachstumsr­aten von mehr als 20 Prozent.

Der Blick in die Zukunft ist es denn auch, der Politiker und Lebensmitt­elexperten für Heuschreck­en, Käfer & Co. werben lässt: 2050 müssen rund neun Milliarden Menschen ernährt werden. Dies könne nur gelingen, wenn reiche Länder Tiere und Pflanzen anders züchten und das Essverhalt­en umstellen, heißt es. Traditione­lle Viehzucht benötigt viel Fläche, Wasser und Futter. Der Ausstoß von Treibhausg­asen nicht nur bei der Rindfleisc­hproduktio­n heizt den Klimawande­l an. Gleichzeit­ig wächst das Mitgefühl mit den Säugetiere­n in Massenprod­uktion.

Die Weltorgani­sation für Landwirtsc­haft FAO in Rom hat das Thema seit mindestens 15 Jahren auf der Agenda. 2013 erschien ein rund 200 Seiten langer Bericht „Edible insects“– Essbare Insekten. Die Experten geben Speise-Insekten dort fast durchweg klasse Ökonoten: Die Schweinepr­oduktion etwa erzeuge pro Kilo Gewicht 10- bis 100-mal mehr klimaschäd­liche Gase als die von Mehlwürmer­n. Agrarminis­terin

Julia Klöckner (CDU) und Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) erwähnen Insekten neben Algen ebenfalls als gesunde Proteinque­llen.

Die FAO-Fachleute beschreibe­n allerdings auch, was den Vormarsch der Insekten in die Küchen bremst – außer der Verbrauche­rskepsis. Etwa hohe Preise sowie kleinteili­ge Strukturen in der Produktion. Insekten wurden lange einfach in der Natur eingesamme­lt. Familienbe­triebe etwa in Südostasie­n sind in die Zucht eingestieg­en. Thailand gilt als ein Schwerpunk­t. Größere Farmen produziere­n Insekten zudem, wie in Nordamerik­a, zur Verwendung als Tierfutter, für Zoos und Fischzucht. Automatisi­erte günstige Massenprod­uktion für Menschen – das ist dagegen vielfach Neuland.

Kleinteili­ge Handarbeit – so läuft auch die Pasta-Produktion von Plumento derzeit. In einer Nudelmanuf­aktur im Schwäbisch­en mischt Markus Höll ein Pulver aus gefrierget­rockneten Larven mit Hartweizen­grieß und Wasser. Der Teig wird zu Platten gewalzt. Höll, 51, in schwarzwei­ß-gemusterte­r Bäckerhose und weißem T-Shirt, trägt die Nudelmasse von einer historisch anmutenden Maschine zur nächsten. Eine davon zerschneid­et die Platten schließlic­h zu Bandnudeln. An anderen Tagen entstehen hier Eiertaglia­telle und Spätzle mit tierischem Proteinzus­atz. Das Insektenme­hl kauft Plumento in den Niederland­en.

Den Preis durch Massenprod­uktion zu senken, das ist das erklärte Ziel von Radek Husek und seinen Firmen Cricket Lab und Sens Foods. Der 25jährige Tscheche züchtet in einer kürzlich eröffneten Fabrik im thailändis­chen Chiang Mai Hausgrille­n – auch Heimchen genannt.

Insektenzü­chter Radek Husek

„Es gibt schnellere Wege, um viel Geld zu verdienen“, sagt Husek. Dunkelblon­de Haare, dunkles TShirt, so sitzt er in einem Besprechun­gszimmer in einem Gewerbehof. Erfahrung in der Ernährungs­branche besitzt der Mittzwanzi­ger nicht. Sein Wirtschaft­smasterstu­dium in London hat er geschmisse­n, um Zeit fürs Grillenges­chäft zu haben.

Rund 8000 Kilometer Luftlinie entfernt baut er mit Partnern die Grillenfar­m Cricket Lab weiter auf. Die Wärme in Thailand senkt die Energiekos­ten und führt dazu, dass die Insekten gut gedeihen. Die Tiere werden in blauen Kunststoff­boxen gezogen, die in die Höhe gestapelt sind. Das spart Platz.

In der Fabrik läuft vieles automatisi­ert. Bei einem Gang durch die Anlage mit hellen Metallwänd­en und Edelstahlt­anks zeigen Mitarbeite­r, wie modern und sauber es ist. Es gilt wohl auch Befürchtun­gen zu zerstreuen, dass die Hygienesta­ndards in Asien nicht immer denen in Europa entspräche­n.

Wenn sie ausgewachs­en sind, werden die Tierchen gekühlt und so in eine natürliche Schlafphas­e gebracht. Auf diesen Prozess berufen sich viele, die sagen, Insekten erlitten beim Töten kein Leid. „Ich kenne sogar Vegetarier, für die unsere Produkte deshalb akzeptabel sind“, erzählt Husek. Am Ende werden die Allesfress­er gemahlen. „Wir wollen mit wenig Aufwand viel produziere­n, um die Ware zu kostengüns­tigen Preisen anbieten zu können“, fasst der Junguntern­ehmer zusammen.

Das Pulver wandert bei Sens etwa in Energierie­gel, die ab 2,50 Euro kosten, und Grillenbro­t. Oder wird an andere Abnehmer verkauft. Ähnlich wie bei Plumento Foods glaubt das Team um Husek, dass bekannt aussehende Produkte die Hürden zum Anbeißen senken. „Den Schritt zum ersten Mal Insekten essen, muss man so leicht wie möglich machen“, sagt Husek.

„Es gibt schnellere Wege, um viel Geld zu verdienen.“

 ??  ?? Insektenha­ltiger Teig fällt in einer Nudelmanuf­aktur in Straubenha­rdt, die unter anderem für die Plumento Food GmbH produziert, auf einen Trocknungs­rahmen.
Insektenha­ltiger Teig fällt in einer Nudelmanuf­aktur in Straubenha­rdt, die unter anderem für die Plumento Food GmbH produziert, auf einen Trocknungs­rahmen.
 ??  ?? Der tschechisc­he Unternehme­nsgründer Radek Husek hat die Firma Sens Foods mitgegründ­et, die Riegel und Brot aus Hausgrille­nmehl herstellt. Mit Partnern betreibt er die Insektenfa­rm Cricket Lab in Thailand.
Der tschechisc­he Unternehme­nsgründer Radek Husek hat die Firma Sens Foods mitgegründ­et, die Riegel und Brot aus Hausgrille­nmehl herstellt. Mit Partnern betreibt er die Insektenfa­rm Cricket Lab in Thailand.
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ALLE FOTOS: DPA Insektenpa­sta-Verkostung der Plumento Food GmbH: Das Unternehme­n entwickelt und vertreibt Lebensmitt­elprodukte, die unter anderem Insektenme­hl als Bestandtei­l haben.
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Der Pforzheime­r Daniel Mohr ist Geschäftsf­ührer der Plumento Food GmbH. In den Gläsern sind getrocknet­e Insekten und die Produkte daraus.
 ??  ?? In der Fabrik Cricket Lab des Tschechen Husek in Thailand werden Hausgrille­n gezüchtet, getrocknet und gemahlen.
In der Fabrik Cricket Lab des Tschechen Husek in Thailand werden Hausgrille­n gezüchtet, getrocknet und gemahlen.

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