Pasta mit sechs Beinen
Insekten essen ist ein Trendthema, trotzdem kommt der Absatz nicht recht in Schwung – das soll sich ändern
(dpa) - Sechs Beine, Fühler und Facettenaugen – den Ekel vor Insekten kennen viele. Besonders wenn sie in die Tiere reinbeißen sollen. Auf der anderen Seite lockt das gute Gewissen: Fachleute werben mit Nachdruck, dass wir alle mehr Krabbeltiere und Maden essen sollen, um Klima und Umwelt zu retten. Und um etwas gegen die Formen der Massentierhaltung zu tun, bei der Säugetiere wie Rinder und Schweine leiden. Guten Appetit mit Sechsbeinern, also? So schlicht und schnell läuft das nicht.
In der Küche des Plumento-Kreativzentrums in Pforzheim verströmen Pfifferlinge, Kräuter und Nudeln einen leckeren Duft. Die Köchin schwenkt die bräunliche Pasta mit ihren Mini-Pünktchen in der Pfanne. Die kleinen Flecken – das ist das dunkle Insektenmehl. Hergestellt aus Alphitobius diaperinus, aus den Larven des Getreideschimmelkäfers.
Daniel Mohr, Geschäftsführer von Plumento Foods, spricht liebevoll von Buffalowürmern. Fein gemahlen, als Mehl in Bandnudeln geknetet, erhöhen die Tierchen den Anteil wertvoller Eiweiße. Protein, Eisen, Aminosäuren – mit dem Begriff Power-Pasta trommelt zum Beispiel Snack-Insects aus Witzeeze in Schleswig-Holstein. „Über zwei Milliarden Menschen weltweit essen Insekten – und du?“, heißt es dort. Das Thema ist so trendig wie selbst fahrende Autos, Flugtaxis und Robotermenschen – und ähnlich schillernd.
„Die Insektenpasta schmeckt nach Aussage vieler Sterneköche hervorragend. Und zwar ein bisschen nussig“, schwärmt Mohr, 50, ein Wirtschaftsingenieur mit eckiger Brille und freundlich verschmitztem Lächeln. Der Test mit Nudelsalat und Pilzpfanne bestätigt: nussig passt. Seinen Doktor hat der Pforzheimer, der aus einer SchmuckproduzentenFamilie stammt, am Lehrstuhl für Marketing der TU Berlin gemacht. 14 Jahre lebte Mohr in Asien, war dort Unternehmer, lernte Speise-Insekten kennen. Dann der Umbruch: Er wollte etwas Neues starten, was einen größeren Sinn ergibt. Für ihn, die Umwelt, die Welt.
Mohr gehört zu den treibenden Kräften einer zweiten Welle in Sachen Ess-Insekten. Die Pioniere sorgten dafür, Heuschrecken und Mehlwürmer bei uns überhaupt auf die Teller zu bekommen. Gegrillt oder geröstet. Sie wollten Neugierige locken, Menschen aus der alternativen Szene und Leute, die die Tiere in Asien oder Afrika schon probiert haben. Doch die Zahl der echten Fans hält sich in Grenzen. Umfragen zeigen: Die Mehrheit kennt das Thema, möchte aber nicht zugreifen.
Jetzt – im zweiten Schub – wählen Hersteller vermehrt einen anderen Weg, um den Ekelfaktor zu umgehen. Die Tiere werden nicht als Ganzes angeboten, sondern verarbeitet. Oft als Mehl für Pasta, sodass Beine und Augen nicht mehr erkennbar sind. Oder als Protein-Riegel für Sportler. Das wenig Bekannte soll in einer äußerlich bekannten Form den Weg auf neue Märkte finden.
Start-ups und Onlineshops beackern dieses Feld. Neuerdings ziehen auch Handelsriesen mit. Wie der Metro-Konzern. Er verkauft die Insektennudeln von Plumento unter anderen in mehreren Real-Filialen. Und bietet sie den Großhandelskunden in Metro-Märkten etwa in Hamburg, Köln und Berlin an. Auch Citti und andere sind mit von der Partie. Coop in der Schweiz startete 2017 mit Insektenbällchen und -burgern. Seither wurde das Sortiment ständig erweitert.
Auch wenn sich die meisten mit Zahlen zurückhalten, gibt sich der Metro-Verantwortliche Fabio Ziemßen optimistisch: „Die Brücke zwischen bekannt und neu, die Plumento mit der Insektenpasta schlägt, wird auf jeden Fall angenommen.“Ziemßen steuert bei Metro das Thema Ernährung der Zukunft. Das Marktforschungsunternehmen Meticulous sagte zumindest voraus, dass der Weltmarkt für wichtige Speise-Insekten bis 2023 auf 1,18 Milliarden Dollar (etwa eine Milliarde Euro) klettern werde – mit jährlichen durchschnittlichen Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent.
Der Blick in die Zukunft ist es denn auch, der Politiker und Lebensmittelexperten für Heuschrecken, Käfer & Co. werben lässt: 2050 müssen rund neun Milliarden Menschen ernährt werden. Dies könne nur gelingen, wenn reiche Länder Tiere und Pflanzen anders züchten und das Essverhalten umstellen, heißt es. Traditionelle Viehzucht benötigt viel Fläche, Wasser und Futter. Der Ausstoß von Treibhausgasen nicht nur bei der Rindfleischproduktion heizt den Klimawandel an. Gleichzeitig wächst das Mitgefühl mit den Säugetieren in Massenproduktion.
Die Weltorganisation für Landwirtschaft FAO in Rom hat das Thema seit mindestens 15 Jahren auf der Agenda. 2013 erschien ein rund 200 Seiten langer Bericht „Edible insects“– Essbare Insekten. Die Experten geben Speise-Insekten dort fast durchweg klasse Ökonoten: Die Schweineproduktion etwa erzeuge pro Kilo Gewicht 10- bis 100-mal mehr klimaschädliche Gase als die von Mehlwürmern. Agrarministerin
Julia Klöckner (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erwähnen Insekten neben Algen ebenfalls als gesunde Proteinquellen.
Die FAO-Fachleute beschreiben allerdings auch, was den Vormarsch der Insekten in die Küchen bremst – außer der Verbraucherskepsis. Etwa hohe Preise sowie kleinteilige Strukturen in der Produktion. Insekten wurden lange einfach in der Natur eingesammelt. Familienbetriebe etwa in Südostasien sind in die Zucht eingestiegen. Thailand gilt als ein Schwerpunkt. Größere Farmen produzieren Insekten zudem, wie in Nordamerika, zur Verwendung als Tierfutter, für Zoos und Fischzucht. Automatisierte günstige Massenproduktion für Menschen – das ist dagegen vielfach Neuland.
Kleinteilige Handarbeit – so läuft auch die Pasta-Produktion von Plumento derzeit. In einer Nudelmanufaktur im Schwäbischen mischt Markus Höll ein Pulver aus gefriergetrockneten Larven mit Hartweizengrieß und Wasser. Der Teig wird zu Platten gewalzt. Höll, 51, in schwarzweiß-gemusterter Bäckerhose und weißem T-Shirt, trägt die Nudelmasse von einer historisch anmutenden Maschine zur nächsten. Eine davon zerschneidet die Platten schließlich zu Bandnudeln. An anderen Tagen entstehen hier Eiertagliatelle und Spätzle mit tierischem Proteinzusatz. Das Insektenmehl kauft Plumento in den Niederlanden.
Den Preis durch Massenproduktion zu senken, das ist das erklärte Ziel von Radek Husek und seinen Firmen Cricket Lab und Sens Foods. Der 25jährige Tscheche züchtet in einer kürzlich eröffneten Fabrik im thailändischen Chiang Mai Hausgrillen – auch Heimchen genannt.
Insektenzüchter Radek Husek
„Es gibt schnellere Wege, um viel Geld zu verdienen“, sagt Husek. Dunkelblonde Haare, dunkles TShirt, so sitzt er in einem Besprechungszimmer in einem Gewerbehof. Erfahrung in der Ernährungsbranche besitzt der Mittzwanziger nicht. Sein Wirtschaftsmasterstudium in London hat er geschmissen, um Zeit fürs Grillengeschäft zu haben.
Rund 8000 Kilometer Luftlinie entfernt baut er mit Partnern die Grillenfarm Cricket Lab weiter auf. Die Wärme in Thailand senkt die Energiekosten und führt dazu, dass die Insekten gut gedeihen. Die Tiere werden in blauen Kunststoffboxen gezogen, die in die Höhe gestapelt sind. Das spart Platz.
In der Fabrik läuft vieles automatisiert. Bei einem Gang durch die Anlage mit hellen Metallwänden und Edelstahltanks zeigen Mitarbeiter, wie modern und sauber es ist. Es gilt wohl auch Befürchtungen zu zerstreuen, dass die Hygienestandards in Asien nicht immer denen in Europa entsprächen.
Wenn sie ausgewachsen sind, werden die Tierchen gekühlt und so in eine natürliche Schlafphase gebracht. Auf diesen Prozess berufen sich viele, die sagen, Insekten erlitten beim Töten kein Leid. „Ich kenne sogar Vegetarier, für die unsere Produkte deshalb akzeptabel sind“, erzählt Husek. Am Ende werden die Allesfresser gemahlen. „Wir wollen mit wenig Aufwand viel produzieren, um die Ware zu kostengünstigen Preisen anbieten zu können“, fasst der Jungunternehmer zusammen.
Das Pulver wandert bei Sens etwa in Energieriegel, die ab 2,50 Euro kosten, und Grillenbrot. Oder wird an andere Abnehmer verkauft. Ähnlich wie bei Plumento Foods glaubt das Team um Husek, dass bekannt aussehende Produkte die Hürden zum Anbeißen senken. „Den Schritt zum ersten Mal Insekten essen, muss man so leicht wie möglich machen“, sagt Husek.
„Es gibt schnellere Wege, um viel Geld zu verdienen.“