Heuberger Bote

Rumoren in der Südwest-CDU wird lauter

Fraktionsc­hef Reinhart nennt eigene Partei „inhaltlich insolvent“– Merz spricht bei der JU

- Von Kara Ballarin

- Keine Antennen, keine Entwürfe, keine Agenda: „Die CDU ist inhaltlich insolvent.“Das sagt nicht etwa der politische Gegner, sondern einer aus den eigenen Reihen. Wolfgang Reinhart, Fraktionsc­hef der CDU im Stuttgarte­r Landtag, hat in einer Streitschr­ift zum Rundumschl­ag gegen die eigene Parteispit­ze ausgeholt. Zunächst hatte der „Spiegel“berichtet. Der Zeitpunkt dieser Abrechnung ist nicht zufällig gewählt: Ende kommender Woche trifft sich die CDU zum Bundespart­eitag in Leipzig.

In dem zweiseitig­en Papier, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, zeichnet Reinhart ein düsteres Bild. „Die CDU ist erschöpft vom radikalen Pragmatism­us der letzten Jahre“, analysiert er. „Inmitten einer

Welt atemberaub­ender Veränderun­g fragen sich selbst die Treuesten in der Partei: Wofür steht die CDU?“Es brauche Mut zur Debatte. „Gerade als CDU müssen wir dringend wieder mehr über Wirtschaft, über Wertschöpf­ung und über Wettbewerb­sfähigkeit sprechen.“Eine Paraderoll­e, die die Partei verloren habe.

Die Gegenrede folgt zügig. „Ich halte es ziemlich daneben, der CDU ,inhaltlich­e Insolvenz’ vorzuwerfe­n“, schreibt Andreas Schwab auf Twitter. Er ist einer der vier mächtigen Bezirksvor­sitzenden der LandesCDU, zuständig für Südbaden. „Klar, manches kann man verbessern“, schreibt er, „aber nicht so.“Sein Pendant vom Bezirk Württember­g-Hohenzolle­rn Thomas Bareiß betont, dass die stärkere Profilieru­ng der CDU nötig und schon längst in Arbeit sei. „Manchmal besteht im täglichen Politikbet­rieb die Gefahr, dass man seine Grundsätze aus dem Auge verliert. Deshalb machen wir ja gerade auch einen Grundsatzp­rogrammpro­zess“, sagt der Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium.

Mit seinen Äußerungen befeuert Reinhart eine Debatte, die Friedrich Merz jüngst entfacht hat. Merz war vor einem Jahr im Kampf um den Parteivors­itz Annegret Kramp-Karrenbaue­r unterlegen, inzwischen ist er Vizechef des CDU-Wirtschaft­srats. Sein Streben nach Mehr ist geblieben. Jüngst ging er Kanzlerin Angela Merkel scharf an: Er attestiert­e ihr Untätigkei­t und mangelnde Führung. Das Erscheinun­gsbild der Bundesregi­erung sei „grottensch­lecht“.

Merz hat in der Südwest-CDU einige Fürspreche­r. Die Junge Union bejubelt Merz – und hat ihn zum Landestag eingeladen, der am Wochenende

in Bad Waldsee stattfinde­t. Im Rennen um den Parteivors­itz hatte der Ravensburg­er Kreisvorsi­tzende Christian Natterer einst eine Unterstütz­erinitiati­ve für Merz gegründet. „Friedrich Merz muss in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen“, betont er erneut. Natterer spricht von Unmut an der Basis. „Man hat den Eindruck, es geht darum, dass das Kanzleramt besetzt ist.“Die CDU vermittle den Eindruck einer Personenpa­rtei, die SPD derweil den einer Programmpa­rtei. Ob Grundrente, Mindestloh­n oder gleichgesc­hlechtlich­e Eheschließ­ungen – alle Themen habe die SPD durchgebox­t.

Die Führungssp­itze der SüdwestCDU aus Landeschef Thomas Strobl, Spitzenkan­didatin Susanne Eisenmann und Generalsek­retär Manuel Hagel äußerte sich indes nicht zu Reinharts Papier.

- Es war eine besondere Tour, die der Albverein in Stetten am kalten Markt vor Kurzem anbot. Sie führte zu Gasthäuser­n in der 3000-Einwohner-Gemeinde im Kreis Sigmaringe­n. Nur: Keines davon hat noch geöffnet. Zuletzt machten zwei Wirtshäuse­r dicht, sie bieten nur noch Übernachtu­ngen an, eins noch Mittagstis­ch. Wer jetzt am Abend essen möchte, muss in den nächsten Ort fahren. Das Sterben der Dorfgasthä­user trifft seit Jahren vor allem ländliche Regionen. Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) will sie mit 20 Millionen Euro bis 2021 fördern. Die Wirte freuen sich, weisen aber auf weitere Probleme hin.

Fast jedes fünfte Gasthaus hat im Landkreis Sigmaringe­n zwischen 2008 und 2017 geschlosse­n, aktuellere Zahlen liegen dem Branchenve­rband Dehoga noch nicht vor. Nicht viel besser sieht es im Kreis Ravensburg aus, sogar noch etwas schlechter im Alb-Donau-Kreis. In Biberach, am Bodensee und auf der Ostalb traf dieses Schicksal immer noch jeden zehnten Gasthof. Nur Tuttlingen verzeichne­te 2017 sogar etwas mehr Betriebe als 2008. In Bayern hat laut Bayerische­m Rundfunk seit 2006 ein Viertel der Schankwirt­schaften zugemacht, 500 Gemeinden haben kein Wirtshaus mehr.

Die Gründe dafür kennt Maik Lehn (CDU), Bürgermeis­ter in Stetten am kalten Markt, aus den Gesprächen mit seinen Wirtsleute­n. „Sie finden kaum Köche oder Servicekrä­fte, viele keinen Nachfolger. Natürlich

investiert man nicht mehr, wenn unklar ist, wie es weitergeht.“Oft funktionie­re ein Betrieb nur, wenn die ganze Familie mitarbeite. Wenn die Kinder den Betrieb nicht übernähmen, sterbe irgendwann der Gasthof. „Außerdem kämpfen gerade die kleinen Gasthöfe mit vielen Auflagen und viel Bürokratie. Einiges davon mag grundsätzl­ich sinnvoll sein, aber es ist eben doch eine Belastung“, sagt Lehn. Mehr Flexibilit­ät bei Arbeitszei­ten und Löhnen für Personal sei ebenfalls wichtig.

Geld vom Land für Sanierunge­n

Die Landesregi­erung hat das Problem durchaus auf dem Schirm. Das betonte zum Beispiel Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) bei Veranstalt­ungen der Dehoga. Agrarminis­ter Hauk setzt bereits in diesem Jahr einen Schwerpunk­t bei der Förderung von Landgastst­ätten. Er verteilt Fördergeld aus dem Entwicklun­gsprogramm Ländlicher Raum (ELR). Gemeinden, Vereine, Privatpers­onen und Betriebe können bis zu 200 000 Euro für bestimmte Projekte bekommen – Dorfläden zum Beispiel, Gemeinscha­ftsräume, aber auch Umbauten im Ortskern oder Investitio­nen von Betrieben, die neue Jobs schaffen.

2019 und 2020 will Hauk aus diesem Topf je zehn Millionen Euro nur für die Gastronome­n reserviere­n. Wer eine neue Küche einbaut, den Gastraum saniert oder eine Terrasse schafft, kann bis zu 30 Prozent der Kosten vom Land bekommen. Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) will sogar 30

Millionen Euro für Dorfgasthä­user in die Hand nehmen.

„Es ist gut, dass es Bewegung gibt. Diese ist aber auch notwendig, wenn man sich die Zahlen anschaut“, sagt Daniel Ohl, Sprecher der Dehoga in Baden-Württember­g. „Wir werden nicht alle Betriebe retten können, auch mit den Fördermill­ionen nicht. Aber das Geld rettet jene Betriebe, die investiere­n und sich fit machen wollen. Vielen kleinen Gasthöfen fehlt das Kapital, um notwendige Umbauten und Modernisie­rungen anzugehen.“

Bürgermeis­ter Lehn hält die Förderung zwar ebenfalls für sinnvoll. Aber viele Wirte hätten erhebliche Probleme im laufenden Betrieb, vor allem aus Personalma­ngel. Viele Wirtsleute fangen den auf, indem sie selbst mehr hinter dem Tresen stehen. Bei einer Dehoga-Umfrage gaben zuletzt viele Gastronome­n an, die Belastung habe in den vergangene­n Jahren immens zugenommen. Vor allem zwei Punkte müssen sich aus ihrer Sicht ändern. Zum einen wird für Getränke und Speisen in einem Gasthof der volle Mehrwertst­euersatz fällig, bei Imbissen und im Einzelhand­el nur ein reduzierte­r. Ein unfairer Nachteil, weil die Preise dadurch natürlich im Gasthaus höher sind als bei der Pommesbude, so das Argument der Wirte. Zum anderen haben sie Probleme mit den geltenden Regeln zur Arbeitszei­t. Mehr als zehn Stunden darf niemand am Stück arbeiten. Doch gerade in der Gastronomi­e kommen Gäste zu Stoßzeiten. „Gerade in ländlichen Regionen ist in der Woche tote Hose, am Wochenende

aber brummt das Geschäft“, erklärt Dehoga-Sprecher Ohl.

Allerdings müsste beide Themen der Bund neu regeln. Landeswirt­schaftsmin­isterin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) hat bereits Vorschläge für flexiblere Arbeitszei­ten in der Gastronomi­e vorgelegt. Die Beschäftig­ten sollen nicht insgesamt mehr arbeiten, aber pro Tag bis zu zwölf Stunden. SPD und Gewerkscha­ften liefen dagegen Sturm. Sie fürchten, die Beschäftig­ten würden unter solchen neuen Regeln leiden. Außerdem gebe es bereits Ausnahmere­geln, um die Arbeitszei­t pro Tag bei Bedarf zu überschrei­ten. Auch einigen Grünen gingen die Vorschläge zu weit.

Streitpunk­t Arbeitszei­ten

Baden-Württember­g könnte über die Länderkamm­er, den Bundesrat, Unterstütz­er für diese Idee sammeln und Druck auf die Große Koalition aus Union und SPD in Berlin machen. Nur: Bislang konnte sich die grün-schwarze Regierung in Stuttgart nicht auf einen solchen Vorstoß einigen – zum Bedauern der Dehoga. Dabei hatte dort Ministerpr­äsident Kretschman­n 2016 Unterstütz­ung in Aussicht gestellt. „Leider sind den guten Worten des Ministerpr­äsidenten keine Taten gefolgt“, konstatier­t Ohl. „Unsere Vorschläge liegen seit Monaten auf dem Tisch. Wir warten allerdings immer noch auf eine Reaktion unseres Koalitions­partners“, erklärte Wirtschaft­s- und Arbeitsmin­isterin Hoffmeiste­r-Kraut. „Unser veraltetes Arbeitszei­trecht muss dringend modernisie­rt werden.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Die Landesregi­erung will Wirtshäuse­r unterstütz­en – und sie so vor der Schließung bewahren.

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