Für ein menschenwürdiges Leben
Die Leser der „Schwäbischen Zeitung“haben mit ihren Spenden Schulbusse, Gewächshäuser und Fußballplätze im Nordirak ermöglicht – Die Jesiden in den Flüchtlingscamps brauchen weiter Hilfe
Laut hupend● kommen der Besuchergruppe aus Deutschland an der Einfahrt zum Flüchtlingscamp Mam Rashan im Norden Kurdistans zwei Schulbusse entgegen. Auf den Bussen ist in deutscher, arabischer, kurdischer und englischer Sprache zu lesen: „Dieses Projekt haben die Leser der ,Schwäbischen Zeitung’ in der Weihnachtsaktion 2018 ermöglicht.“40 Jugendliche sind auf dem Weg zur höheren Schule, doch an diesem Tag unterbrechen sie ihre Fahrt gerne, um die Gäste zu begrüßen. Die Delegation aus Deutschland, an ihrer Spitze Kurt Sabathil, der Geschäftsführer von Schwäbisch Media, und Hendrik Groth, der Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, will mit den Bewohnern der Camps ins Gespräch kommen und sich informieren: Was ist aus den Projekten der Weihnachtsaktionen 2016, 2017 und 2018 geworden? Bisher sind über 700 000 Euro nach Kurdistan geflossen. Was wird benötigt? Denn aus Spenden der Weihnachtsaktion „Helfen bringt Freude“2019 sollen weitere Projekte finanziert werden.
Offensichtlich ist das Geld gut angelegt, denn die Jugendlichen erzählen den Gästen von ihren Plänen. Ysra und Sadik beispielsweise berichten: „Wir werden zur Schule gehen, das Abitur bestehen und dann studieren.“Sadik möchte Rechtsanwalt werden. Die Geschwister werden die ersten Abiturienten aus ihrer Familie sein und damit die Chance bekommen, sich selbst zu helfen. Denn die Aussichten, dass die Flüchtlinge, sie gehören der religiösen Minderheit der Jesiden an, in absehbarer Zeit in ihre Heimat, das Shingal-Gebirge, zurückkehren können, ist gleich null: Die Sicherheitslage ist zu prekär. „Daher ist für die Kinder und Jugendlichen Bildung praktisch die einzige Chance, irgendwann aus der Misere und dem Camp herauszukommen“, sagt Campleiter Shero Smo, der seit drei Jahren als verlässlicher Partner die Hilfe in Mam Rashan mit seinen 9000 Bewohnern koordiniert.
Neben den Bussen sind in Mam Rashan und im benachbarten Camp Sheikhan Gewächshäuser, ein Spielplatz und ein Fußballplatz gebaut worden. Für 1000 Kinder ist Winterkleidung beschafft worden, außerdem sind in den Camps fünf Psychotherapeuten tätig, die sich um traumatisierte Frauen und Kinder kümmern: Opfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“, die im Jahr 2014 die Menschen im Nordirak überfiel. Seither leben in über 20 Camps in der Provinz Dohuk mehr als 600 000 Flüchtlinge.
„Kommt mit!“Smo führt seine Gäste durchs „Schwäbische Dorf “. Hier waren 20 Wohncontainer aus Mitteln der Weihnachtsaktion 2016 aufgestellt worden. Beispielsweise für die Familie der Witwe Zaar Gir. Die heute 37-Jährige, deren Mann im Krieg getötet wurde, lebt mit ihren fünf Kindern im „Haus Aalen“und ist dankbar für das feste Dach überm Kopf. Wenige Meter weiter verbreitet sich der Duft frischen Fladenbrotes aus der Backstube, daneben haben sich in einer kleinen Ladenzeile ein Schneider, ein Friseur und ein Elektroniker eingerichtet: „Es ist einfach wichtig für die Menschen, dass sie menschenwürdig leben können“, erklärt Smo, „dazu gehören Kleidung, gepflegtes Äußeres und eben auch die Verbindung zur Außenwelt.“Außerdem bieten die Ladenlokale, finanziert mit Geldern aus Schwaben, Arbeitsplätze.
Auf einer kleinen Anhöhe steht die Schule. Hier wird die Gruppe aus Deutschland sehnsüchtig erwartet: „Denn heute gibt’s Geschenke“, sagt Smo. Im Winter wird es in Kurdistan bis zu minus zehn Grad kalt. Für jedes Kind steht daher ein Paket mit Winterkleidung, Stiften, Heften und Büchern bereit: „Die Eltern haben zu wenig Geld, um diese Utensilien selbst zu beschaffen, daher sind sie auf Eure Hilfe angewiesen!“Dass die Kinder und Jugendlichen sich nach der Schule auf dem Fußballplatz oder auf dem Spielplatz austoben können, ist in Mam Rashan seit zwei Jahren möglich. Auch diese Projekte weisen die Leser der „Schwäbischen Zeitung“als Spender aus.
Im benachbarten Camp Sheikhan, dort leben 4400 Menschen, hat Campleiter Amer Abo ebenfalls den Bau des Fußballplatzes und des Spielplatzes vorangetrieben, im Frühjahr wurden beide Plätze fertig: „Und sie werden supergut angenommen“, sagt Abo.
Auch in den Gewächshäusern, die aus den Mitteln der Weihnachtsaktion errichtet werden konnten, herrscht geschäftiges Treiben: „Jeweils 30 Personen haben durch die Gewächshäuser ein eigenes Einkommen“, berichtet Abo. Das Konzept der Gewächshäuser, in denen Gurken oder Okraschoten angebaut werden, hat die Stiftung EntwicklungsZusammenarbeit Baden-Württemberg überzeugt: „Wir haben 20 weitere Gewächshäuser finanziert und den Bau einer kleinen Ladenstraße“, sagt Philipp Keil, der Geschäftsführer der Stiftung. Das Ziel: eine Bauernkooperative, die die Produkte selbst vermarktet. Keil: „Dass die ,Schwäbische Zeitung’ hier den Impuls gesetzt hat, war toll, nun bauen wir das Projekt gemeinsam aus.“
Bildung, Arbeitsplätze, Therapie und Sport: „Wir sind davon überzeugt, dass wir mit diesen Schwerpunkten die oftmals prekäre Lebenssituation der Menschen hier in den Camps nachhaltig verbessern können“, fasst SZ-Chefredakteur Hendrik Groth nach dem Rundgang seine Eindrücke zusammen, „das Geld aus den Weihnachtsaktionen 2016 bis 2018 ist gut investiert.“In diesem Jahr soll vor allem die Situation von Frauen verbessert werden, die oft allein leben: „Wir werden unsere Leser informieren und um weitere Spenden bitten“, kündigt Groth an, „auch auf diese Weise beseitigen wir Fluchtursachen!“