Habeck unterstreicht den grünen Machtanspruch
Der Vorsitzende fordert auf dem Parteitag dazu auf, Deutschland zu gestalten – und spricht sich für eine ökologische Investitionsoffensive aus
- Leidenschaftlich stimmt Grünen-Chef Robert Habeck die rund 800 Delegierten in Bielefeld auf den Parteitag ein. „Wir wollen die neue Zeit mitgestalten“, sagt er und macht so den Machtanspruch der Grünen klar. Die Ära Merkel gehe „erkennbar zu Ende.“Jetzt sei es Zeit, „aus der Hoffnung Wirklichkeit zu machen“, fordert er den Parteitag unter großem Jubel auf.
Am Morgen hat der Bundestag das Klimaschutzpaket beraten. Es sei ein „bitterer Tag“, sagt Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner. Die Grünen in neun Landesregierungen, darunter Baden-Württemberg, haben an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) appelliert, die Abstandsregeln für Windräder nicht zu verschärfen. Die nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Mona Neubaur klagt, dass der Windenergieausbau in Nordrhein-Westfalen um 90 Prozent eingebrochen sei. Sie will, dass von Bielefeld die Botschaft ausgeht: „Das Windrad wird wieder das
Symbol einer guten, einer besseren Zukunft.“
Doch Robert Habeck will die Grünen nicht auf Klimapolitik beschränken, er holt weit aus. Er erzählt aus dem Thüringer Wahlkampf und von der Angst der Leute, dass die Demokratie wieder beschädigt wird. Er lobt CDU-Chefin Annegret KrampKarrenbauer, die mutig gegen jede Zusammenarbeit ihrer Partei mit der AfD vorgehe, auch hier klatscht der Parteitag. Er dankt besonders Claudia Roth und Cem Özdemir, die trotz aller persönlichen Bedrohungen doch darauf aufmerksam machen, dass es viele Kommunalpolitiker gibt, die dasselbe wie sie durchstehen müssen.
Der Anschlag auf die Synagoge in Halle sei eine Zäsur gewesen, sagt Habeck und holt deshalb während seiner Rede Marina Weisband auf die Bühne, ehemals Geschäftsführerin der Piratenpartei und heute Grüne. Weisband teilt seine Sorgen, in einem Punkt aber widerspricht sie ihm: Halle sei für Juden in Deutschland keine Zäsur gewesen, sondern sie hätten es kommen sehen. „Terror beginnt nicht mit Schüssen“, sagt Weisband, „sondern Terror beginnt mit Worten.“
Auch Bielefeld war erst vor einer Woche Stätte eines Aufmarschs von Rechtsradikalen – die aber von engagierten Bürgern gestoppt wurden. Solche Zivilcourage fordert Habeck von allen ein, einen „Republikanismus“, wie er es nennt, ein Einstehen für die Gesellschaft. Denn wenn die Rechten schon in einem wirtschaftlich sehr guten Umfeld Erfolge haben, was passiere dann in der wirtschaftlichen Krise? Habeck wendet sich aber auch an seine eigene Partei: Er spricht vom Hang zur akademischen Sprache und mahnt, tolerant zu sein – und mit dem Automobilarbeiter, mit dem Arbeiter in der traditionellen Landwirtschaft offen zu diskutieren.
Anreden gegen die Krise
„Die Zeichen mehren sich für eine ökonomische und ökologische Krise“, so Habeck, in Deutschland sei viel zu lange unterdurchschnittlich investiert worden. Marode Schwimmbäder, kaputte Züge, das Internet als Lachnummer – eine neue Investitionsoffensive, ein Green New Deal sei nötig. Habeck fordert Märkte, die den Menschen dienen, und fordert keine Politik des Machbaren, sondern eine Politik der Ermöglichung. Eine Politik, die den weiten Horizont sieht. „Wo ist der Geist geblieben, die großen Dinge in Deutschland zu denken?“Nach dem Ende von Habecks Rede springen die Delegierten begeistert auf.
„Wir wollen grüne Geschichte schreiben mit einem anderen Lied als vor 20 Jahren“, das sagen auch die Grünen-Vorsitzenden in Bielefeld. Vor 20 Jahren war hier Außenminister Joschka Fischer mit dem Farbbeutel beworfen und verletzt worden, während er den Kosovo-Einsatz verteidigte. Jetzt wollen die Grünen den Hebel umlegen für eine neue grüne Marktwirtschaft.
Wo Habeck gewohnt philosophisch die Grünen zum Mitregieren auffordert, macht Geschäftsführer Michael Kellner das eher bodennah klar. „Ich möchte, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl die CSU aus dem Verkehrsministerium vertreiben und das Bauen aus dem Innenministerium herausnehmen“, sagt Kellner. Wohnungspolitik sei die Gerechtigkeitsfrage der Zukunft. Die Grünen wollen den Anstieg bestehender Mieten auf drei Prozent begrenzen. Sie fordern, eine Million Sozialwohnungen in zehn Jahren zu schaffen und mindestens drei Milliarden Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau auszugeben.