„Es ist eine Entdeckung für die Ohren“
Volker Neipp weiß, was „Eäbr vrkasemaduggle“heißt und hat den alten Trossinger Dialekt konserviert
(sfk) - In unserer Serie „Typisch Schwäbisch“dreht sich heute alles um die Frage, ob es einen ureigenen Trossinger Dialekt gibt. Wie es ist, alten, fast vergessenen Worten nachzuspühren, darüber hat sich unsere Redakteurin Sabine Felker mit dem Leiter des Trossinger Museums Auberlehaus, Volker Neipp, unterhalten.
Die Trossinger Mundart ist weit entfernt von einem leichten Singsang, den es in anderen Dialekten gibt. Wie kommt es, dass den BaarBewohnern eher das Harte, manchmal auch Derbe in der Sprache näher liegt?
Trossingen ist, ebenso wie die Baar selbst, kein an sich lieblicher Ort. Die Baar, das Klima und auch die Menschen hatten mit widrigen Umständen zu kämpfen; lange, kalte Winter, starke Winde, Regen. Die Böden sind karg, das tägliche Leben und Überleben war vor 200 Jahren eine tägliche Herausforderung. Kein Wunder also, dass der Dialekt nicht den lieblichen Tonfall von Weingegenden in sich trägt, sondern die Härte und Derbheit der Landschaft. Das religiöse Element im Dialekt, welches man tatsächlich hören kann beziehungsweise konnte, tut sein Übriges: Pietismus ist streng! In der Tat konnte man noch vor einigen Jahren deutlich hören, wer katholisch geprägt oder aus einer katholischen Familie entstammte - und kann es teilweise auch heute noch: Sagt der pietistische Trossinger „Äerdepfl“zur Kartoffel, mit einer Betonung des „Ä“und einem nasalen gleitens auf das darauf folgende und leicht klingende „e“, klingt die kathohatten. lische Variante, die auch in Trossingen mittlerweile zu hören ist „Härdepfl“mit einer starken Betonung auf der ersten Silbe. Gemeint ist immer das selbe: Die Kartoffel, für einen Trossinger am besten in der Form eines „soach nasse Äerdepflsalauds“zu genießen.
Mit Ihrem Buch „Alt-TrossingerWortschatz“haben Sie wohl das einzige Wörterbuch des Trossinger Dialekts geschaffen. Wie schwer war es, die Worte zu finden und zu sammeln?
Die Arbeiten begannen 1989, also vor 30 Jahren. Das war ein tolles Projekt, welches heute gar nicht mehr möglich wäre. Geholfen hat sicherlich, dass ich den Trossinger Dialekt schon als Kind hörte und auch sprach. Damals lebten noch viele der „Alttrossinger“, und so wurde über diese Thematik in Gesprächsrunden ebenso diskutiert wie an den Stammtischen. Nicht selten kam es dann zu lebhaften Diskussionen über den korrekten Wortlaut, die Vokabel selbst oder die Aussprache. Nicht selten halfen dann die Familienhintergründe weiter. Ein Beispiel: Es geht um die Begrifflichkeit eines geflochtenen Weidenkorbes für die Kartoffelernte. In Trossingen existierten zwei Begriffe: „Kratte“und „Zoane“. Trossingerisch ist - wenn wir überhaupt von „Trossingerisch“sprechen können der „Kratte“. „Zoane“wurde in den Familien teilweise verwandt, welche aus der badischen Baar nach Trossingen eingeheiratet
Gab es auch Begriffe, über die Sie selbst überrascht waren?
Ich möchte diese Zeit nicht missen. Es waren tolle Erfahrungen mit Menschen und deren Geschichte und Geschichten. Ich denke, das Überraschende für mich war in den meisten Fällen der Weg zu den Wurzeln, die Geschichte dahinter. Auch hier ein Beispiel: Sarg hieß in Trossingen um 1900 und früher „Daudebomm“- Totenbaum. Wenn man bedenkt, dass die Alamannen ihre Toten in Baumsärgen bestatteten, finde ich diese Wort-Bewahrung in der Tat sehr bemerkenswert. Übrigens sind die ersten Funde von alamannischen Baumsärgen in Trossingen aus dem Jahr 1873 bekannt.
Haben Sie ein LieblingsdialektWort oder eine Redewendung, die Sie besonders mögen?
Es gbit die Klassiker wie „Heendelemeggl“oder „Huggerle“, die immer wieder gerne als Beispiel herangezogen werden. Handelt es sich bei Ersteren um große, runde und sehr süße Himbeerbonbons, sind Zweitere Buschbohnen - also kleine, niederwüchsige Bohnen, zu deren Ernte man sich beinahe auf den Boden setzen, also „ai hugge“musste, daher „Huggerle“. Aber „Eäbr vrkasemaduggle“(jemanden umarmen) gefällt mir auch sehr gut - ebenso wie „Eäbr vrgelschdere“(jemanden zurückschrecken).
Wohl niemand mehr in Trossingen spricht den Dialekt in Reinform, das liegt sicher daran, dass sich das Hochdeutsche im Alltag immer mehr durchgesetzt hat. Glauben Sie, die sprachlichen Färbungen werden nach und nach verschwinden oder wird sich das Schwäbische auf der Baar halten können?
Dialekt in Reinform gab es nie. Eine Sprache ist immer wechselnden Einflüssen unterworfen. So dass heute kaum noch jemand das Trossingerisch des frühen 20. Jahrhunderts sprechen kann. Der Dialekt, die Sprache und vor allem auch die Sprachmelodie werden sich mehr und mehr verändern und verblassen - zu jener aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts. „Trottwar“ist eindeutig französischen Ursprungs - Trottoir - mit dieser Begrifflichkeit fängt einheute Zehnjähriger in der Regel nichts mehr an. Heute lebt die Sprache von Anglizismen. Und nein, der Dialekt wird sich nicht halten können, denn Sprache ist dem Wandel und damit äußeren Einflüssen unterworfen.
Nur sollten wir uns bemühen, die Vergangenheit zu bewahren.
Es gibt aber noch die Möglichkeit, den Dialekt aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts zu hören ...
Ja, im Museum Auberlehaus. In der Ausstellung „Schlaglichter der Stadtgeschichte“. Und glauben Sie mir - es ist eine Entdeckung für Ihre Ohren.