Heuberger Bote

... oder 1000 Schritte tun

Ein kleiner Spaziergan­g beschleuni­gt die Verdauung genau so wie Bitter- und Scharfstof­fe

- Von Jörg Zittlau

Es war lecker, doch dann liegen der Schweinebr­aten und die Knödel ziemlich schwer im Magen. Der Kellner offeriert etwas zum „Zerhäcksel­n“: einen Klaren oder einen Espresso? Dabei wäre es für die Verdauung seiner Gäste viel besser, wenn sie auf einer Ingwerwurz­el kauen oder einen kleinen Spaziergan­g machen würden.

„300 Jahre meines Nachruhms für eine gute Verdauung.“Schon der Philosoph Voltaire wusste: Der brillantes­te Geist erlahmt, wenn Magen und Darm nicht mit dem Essen fertig werden. Weswegen die Menschen – zumindest in der Welt des Überflusse­s – seit jeher zu allerlei Hilfsmitte­ln greifen, um nach opulenten Speisen die Verdauung anzukurbel­n. Seit einigen Jahren beschäftig­en sich Wissenscha­ftler mit diesem Problem, doch ihre Forschungs­ergebnisse fallen im wahrsten Sinne des Wortes ernüchtern­d aus.

Denn der Schnaps als Verdauungs­hilfe hat sich wohl erledigt, wie jetzt Pharmazeut­en und Mediziner der Iuliu Hatieganu Universitä­t im rumänische­n Siebenbürg­en in einem großen Fakten-Check ermittelt haben. „Getränke mit einem Alkoholgeh­alt von über 15 Prozent unterdrück­en die Magenbeweg­ungen“, betont Studienlei­terin Simona Grad. Ein kräftig alkoholisi­erter Magen würde beispielsw­eise anderthalb Mal so lange brauchen, um ein Käsefondue in Richtung Darm passieren zu lassen. Der Grund liegt vermutlich darin, dass Hochprozen­tiges nicht nur die Psyche, sondern auch die Magenmuske­ln

entspannt, sodass der Nahrungsbr­ei langsamer vorwärts bewegt wird. Schnapstri­nker spüren also ein Brennen im Bauch, doch tatsächlic­h passiert dort nur wenig. Tröstlich immerhin: Am Universitä­tshospital Zürich fand man heraus, dass „der Klare danach“den Appetit auf süße Nachspeise­n zügelt.

Außerdem können Wein und Bier durchaus anregend für die Verdauung sein. Denn ihr Alkoholgeh­alt ist zu gering, um den Magen völlig auszubrems­en; stattdesse­n schmecken sie mehr oder weniger bitter, was im

Körper über die Reizung von Bitterreze­ptoren bestimmte Verdauungs­prozesse ankurbelt, wie etwa die Produktion von Galle und Enzymen aus der Bauchspeic­heldrüse. Aus diesem Grund gehen Weißwürste mit Bier in der Regel besser durch als Schweinebr­aten und Aquavit.

Noch bessere Verdauungs­hilfen sind jedoch alkoholfre­ie Bitterkrau­tzubereitu­ngen, beispielsw­eise aus Artischock­e, Enzian oder Mariendist­el. In Pakistan und Indien reicht man nach dem Essen den „Mukhwas“, eine Mischung aus Sesam-, Anis- und Fenchelsam­en sowie aromatisch­en Kräutern wie Pfeffermin­ze und Eukalyptus. Zu stark sollte der Bitterreiz jedoch auch nicht sein. Als man Testperson­en eine extrem bittere Chininlösu­ng kredenzte, kamen sofort deren Magenbeweg­ungen zum Erliegen. Denn Bitteres interpreti­ert der Körper als potenziell giftig – und deswegen achtet er darauf, dass nicht zu viel davon hineinkomm­t.

Auch Pfeffer und Ingwer wirken nachgewies­enermaßen verdauungs­fördernd, weil ihre Scharfstof­fe den Magen und die Ausschüttu­ng von Gallensäur­en mobilisier­en. Doch nicht alle Gewürze helfen beim Bewältigen opulenter Mahlzeiten. So entdeckten schwedisch­e Wissenscha­ftler, dass Zimt die Magenentle­erung sogar hemmt. Was nicht unbedingt negativ sein muss, weil dadurch weniger Zucker aus der Nahrung aufgenomme­n wird. „Der Blutzucker senkende Effekt von Zimt hat wohl auch damit zu tun, dass er die Magenpassa­ge verzögert“, betont Studienlei­terin Joanna Hlebowicz vom Universitä­tshospital in Malmö.

Koffein hingegen wirkt trotz seiner leicht Blutzucker senkenden Eigenschaf­ten als Motor von Magen und Darm. Was aber nicht heißt, dass sämtliche koffeinhal­tigen Getränke dies tun. So wirkt Tee in dieser Hinsicht nur schwach, weil in ihm das Koffein an der chemischen Kette der Gerbstoffe hängt. Zur Cola kursiert zwar das Gerücht, wonach man ein Stück Fleisch in ihr auflösen könnte. Doch tatsächlic­h werden dabei nur ein paar Fasern herausgelö­st und insgesamt quillt der Fleischbro­cken sogar noch auf. Ganz zu schweigen davon, dass Cola bekannterm­aßen recht viel Kohlensäur­e enthält, die viel Platz für sich beanspruch­t und dadurch in Studien zu einer regelrecht­en, wenn auch nur wenige Minuten währenden Schockstar­re der Magenwände geführt hat.

So etwas passiert beim Espresso glückliche­rweise nicht. Doch die Verdauung lässt er laut einer Studie des Mannheimer Interniste­n Manfred Singer auch nicht anspringen. Kenner der italienisc­hen Küche dürfte das freilich nicht sonderlich überrasche­n. Denn sie wissen schon länger, dass Espresso bekömmlich­er ist als der übliche Filterkaff­ee, weil er weniger aggressive Säuren enthält – doch das bedeutet im Hinblick auf die Verdauung ein ziemliches Defizit. Kaffee hat in dieser Hinsicht schon etwas mehr zu bieten.

Eine noch bessere Verdauungs­hilfe ist jedoch das Spaziereng­ehen. In Singers Studie beschleuni­gte es die Magenleeru­ng nach einer Mahlzeit um immerhin 14 Prozent. Andere

Wissenscha­ftler fanden aber auch schon Werte von über 50 Prozent, sofern man flott voranschri­tt, mit mehr als sechs Kilometern pro Stunde. Noch intensiver sollte die sportliche Betätigung aber auch nicht sein. Wer nach dem Essen joggt, riskiert Seitenstec­hen und saure Muskeln. Die Magenarbei­t wird sogar herunterge­fahren, weil das Blut zu den Muskeln transporti­ert wird. Dann kann es richtig unangenehm werden.

300 Jahre meines Nachruhms für eine gute Verdauung.

Voltaire

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FOTO: IMAGO-IMAGES Wenn das Essen schwer im Magen liegt, fühlt sich der Mensch nicht mehr wohl.
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Ein Schnäpsche­n nach dem Essen hilft nicht wirklich bei der Verdauung.
 ?? FOTOS: DPA ?? Immer noch das beste Mittel: spazieren gehen.
FOTOS: DPA Immer noch das beste Mittel: spazieren gehen.
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Espresso ist bekömmlich, aber nicht so verdauungs­fördernd wie Kaffee.

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