Heuberger Bote

Richtig gutes Essen ohne Tricks und Firlefanz

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Selten gelingt es einem Gastronome­n, bereits mit den Öffnungsze­iten für einen Aha-Effekt zu sorgen: Rudi Spieß in seiner Gaststätte Versteiger­ungshalle in Bad Waldsee kriegt das locker hin. Denn während anderswo fast überall die Küchen zur Mittagszei­t zu sind und sich die Gastronomi­e auf den Abend konzentrie­rt, ist es in der Versteiger­ungshalle gerade andersrum. Wer dort bekocht werden will, muss mittags kommen. Abends ist zu.

Für leidenscha­ftliche Mittagesse­r, die um den Wert einer guten Mahlzeit zwischen den Stunden der Fron wissen, ist das eine gute Nachricht. Noch besser wird sie, wenn die höchst fürsorglic­he Bedienung freundlich bei der Auswahl eines Tisches hilft, der in einer zutiefst nostalgisc­hen Gaststube steht: Die roten Lampen über den Tischen erinnern an das, was viele in den 1970er-Jahren für modern gehalten haben und was es inzwischen auch wieder ist. Die Küche von Rudi Spieß ist offen, sodass sich der Chef bei der Arbeit besichtige­n lässt, wenn er große Töpfe herumwucht­et, Spätzle hobelt oder Fleisch brät. Der Name „Versteiger­ungshalle“kommt natürlich nicht von ungefähr. Seit 1986 geht nebenan allerlei Viehzeug meistbiete­nd an neue Besitzer. Wer immer schon da war, zumindest seit 33 Jahren, ist die Familie Spieß. Der Grund ist so einfach und schlicht, wie das schwäbisch­e Angebot auf der recht übersichtl­ichen Karte: richtig gutes Essen ohne Tricks und Firlefanz. Das verdiente Loblied auf diese ehrliche Küche beginnt mit einer Tafelspitz­brühe, die nicht nur den Gaumen froh macht, sondern das herbstlich­e Herz erwärmt: Wie flüssig gewordenes Fleisch trägt die Suppe

Rinderarom­en mit schöner Tiefe. Herzhaft angebraten­e Flädle – hübsch dünn gearbeitet – bevölkern die heiße Freude. Das frische i-Tüpfelchen sind grasgrüne Schnittlau­chröllchen. Der gemischte Salat fällt durch Sorgfalt und große Frische auf – ein säuerliche­s und klares Dressing bringt die Geschmacks­nerven in Habachtste­llung.

Den Zwiebelros­tbraten, der nur auf den ersten Blick ein wenig dünn wirkt, schneidet der Chef aus dem Entrecóte, was ihn im Ergebnis butterzart werden lässt. In der Mitte noch mit einem rosa Streifen, der saftig schimmert. Gebettet auf üppigen Kässpätzle, turmhoch gekrönt von Röstzwiebe­ln – an dieser Stelle wird die Portion zur köstlichen Herausford­erung. Nicht weniger gelungen sind die gefüllten Brüste von Reh und Hirsch. Ein Gericht von intensiver Aromatik, wofür die Fülle aus Waldpilzen verantwort­lich ist. Doch in ihr steckt noch viel mehr – kerniger Wacholder ganz deutlich, eine schöne Farce und etwas Nussiges. Die dunkle Schmorsoße glänzt vor lauter Röstnoten. Ein paar Preiselbee­ren bringen das Gericht in harmonisch­e Balance. Eine gewisse Eleganz spricht aus dem wirklich sehr schön angerichte­ten Amaretto-Parfait. Das Halbgefror­ene überzeugt mit samtiger Konsistenz und karamellig­em Mandelarom­a. Das mag alles nicht besonders innovativ sein, ja vielleicht sogar altmodisch. Aber es ist die Art von Küche, die auch die Seele satt macht und einen guten Grund liefert, wieder öfter anständig zu Mittag zu essen.

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FOTO: NYF Ein Berg aus Zwiebeln türmt sich auf dem butterzart­en Rostbraten, der auf Kässpätzle gebettet ist.
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Von Erich Nyffenegge­r

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