Vernunft statt Verführung
Der neue Opel Corsa will anders als sein französischer Bruder mit rationalen Argumenten punkten
pel sucht nach seiner Identität, und wenn man Firmenchef Michael Lohscheller glauben darf, haben die Hessen diese jetzt gefunden: Zwei Jahre nachdem die ungeliebte Tochter aus dem Kreis der großen GM-Familie gestoßen und in die Arme des PSA-Konzerns getrieben worden war, ist die Marke offenbar wieder bei sich selbst angekommen. Denn wenn in diesen Tagen zu Preisen ab 13 990 Euro die sechste Generation des Corsa zu den Händlern rollt, ist das eben nicht nur das erste Auto, das unter der Ägide der Franzosen entwickelt wurde und sich aus dem Konzernbaukasten bedient. Sondern es ist auch das Auto, mit dem sie in Rüsselsheim beweisen wollen, dass Opel keine Kopie von Peugeot, Citroën oder DS wird.
Während die Franzosen vor allem auf die Kunst der Verführung setzen, hält sich Opel – typisch deutsch – an die Vernunft und will vor allem mit rationalen Argumenten punkten. Mehr Platz als bisher, ein besseres Fahrverhalten, mehr Technik und weniger Verbrauch – das sind die wesentlichen Merkmale. Nur die Designer erlauben sich dann doch ein bisschen Extravaganz und verpassen dem Corsa einen etwas frecheren und frischeren Auftritt. Die Überhänge sind kürzer geworden, das Dach ist flacher, und mit neuen Scheinwerfern und einem sportlichen Schmiss am Heck sind die traurigen Zeiten des ewig schmollenden Vorgängers vergessen.
Doch so hübsch das Blechkleid auch geschnitten sein mag: Projektleiter Thomas Wanke lenkt den Blick lieber darunter und prahlt mit der leichten Grundstruktur. Denn dank der neuen PSA-Plattform speckt der Corsa im besten Fall um über 100 Kilo ab und wird damit zum Fliegengewicht in seiner Klasse. Ein Leergewicht von 980 Kilo macht ihn zum leichtesten Kleinwagen am Markt.
Verzichten muss man dafür aber auf nichts, verspricht der Chefingenieur. Im Gegenteil: Selbst wenn der Corsa nicht mitmacht beim üblichen Wachstumsschub und mit 4,06 Metern Länge sein Format hält, bietet er innen dank drei Zentimetern mehr Radstand dennoch ein bisschen mehr Platz und obendrein einen von 285 auf 309 Liter vergrößerten Kofferraum.
Noch stärker profitiert die Performance von der neuen Plattform. Denn jedes Kilo weniger auf der Waage hilft dem Corsa in den Kurven, sodass er sich bei der ersten Ausfahrt spürbar lebendiger anfühlt als der Vorgänger und die meisten Konkurrenten – erst recht, weil man auch noch drei Zentimeter näher an der Straße sitzt als bisher. Fast ein bisschen zu stramm gefedert und mit einer angenehm direkten Lenkung versehen, kommt der Corsa zwar nicht an den Ford Fiesta, den Dynamikchampion unter den Kleinwagen, heran. Doch der Polo wird so beinahe zum Langweiler, und was man so aus Frankreich kennt, wirkt dagegen brav und bieder. Und das gilt nicht nur für den Renault Clio, sondern auch für den Plattformbruder Peugeot 208.
Aber der Opel fährt sich nicht nur sportlicher und fühlt sich dank 1,5 Metern weniger Wendekreis sehr viel handlicher an, sondern er ist auch sparsamer geworden. Mit vom Hersteller versprochenen 4,2 Litern ist selbst das 131 PS starke Topaggregat genügsamer als das sparsamste Modell des Vorgängers. Zur Wahl stehen zunächst drei Benziner und ein Diesel, die allesamt aus Frankreich stammen. Die Otto-Fraktion fährt mit einem 1,2-Liter, der als Sauger 75 und als Turbo 100 oder 131 PS leistet und in der stärksten Version mit einer Achtgang-Automatik kombiniert werden kann. Und beim Diesel
setzt Opel auf einen 1,5 Liter großen Vierzylinder, der es auf 100 PS bringen wird.
Die buchstäblich spannendste Motorisierung treibt aber den Corsa E an. Denn für den gibt es einen 136 PS starken Elektromotor für bis zu 150 km/h und einen Akkupack, der immerhin 330 emissionsfreie Kilometer ermöglichen soll. Und selbst wenn 29 900 Euro für einen Corsa verdammt viel Geld sind, ist er für ein Elektroauto nach Ansicht des Herstellers so günstig, dass sie in Rüsselsheim schon vom Volksstromer sprechen.
So lebendig der Corsa bei der ersten Testfahrt auch wirkt, bleibt sich Opel dennoch in seiner durch und durch deutschen und damit etwas konservativeren Rolle treu: Hinter dem Lenkrad wartet ein vergleichsweise konventionelles Cockpit, das sich mit klassischem Layout und zumindest fürs Erste auch mit analogen Anzeigen deutlich abgrenzt vom verspielten Konzernbruder 208. Und selbst mit dem optionalen Screen anstelle des Tachos wirkt der Corsa noch relativ altbacken. Dafür wollen die Hessen an anderer Stelle zum leuchtenden Vorbild werden – und rüsten den Corsa deshalb als ersten Kleinwagen auf Wunsch auch mit LED-Matrix-Scheinwerfern aus.