Scharfe Angriffe auf die CDU-Vorsitzende
Kuban und Eisenmann schießen sich auf AKK ein – Überraschender Auftritt von Merz
(dpa/lsw) - Angesichts von Wahlschlappen und miesen Umfragewerten der CDU gewinnt die innerparteiliche Kritik am Kurs der Partei und damit an der Parteivorsitzenden Annegret KrampKarrenbauer an Schärfe. Der Bundeschef der Jungen Union, Tilman Kuban, stellte bei einem Treffen der Jungen Union Baden-Württemberg in Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) am Sonntag erneut offen die Führungsfrage – wenige Tage vor dem Bundesparteitag. Auch die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021, Susanne
Eisenmann, kritisierte das Erscheinungsbild der CDU scharf.
Die Herausforderin von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Samstag in Bad Waldsee: „Die CDU scheut es zunehmend Haltung einzunehmen, gibt zu wenig Orientierung und wirkt in Kampagnen oft altbacken und langweilig.“Die Partei, so Eisenmann, müsse inhaltliches Profil gewinnen und auch an ihrem Erscheinungsbild arbeiten.
Kuban beklagte, die Union verunsichere Wähler, „weil wir ihnen nicht klar vorgeben, wer nach 14 Jahren
Angela Merkel für uns zukünftig im Kanzleramt arbeiten soll, weil wir ihnen nicht sagen, mit wem wir in den nächsten Wahlkampf ziehen“. Diese offene Führungsfrage müsse geklärt werden, damit die Menschen Politik mit Köpfen verbinden könnten, sagte Kuban. „Man kann gerne noch weiter so rumwurschteln, aber es wird der CDU nicht helfen.“Damit griff der JU-Bundeschef die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer indirekt scharf an.
Bundesvize und Südwest-Innenminister Thomas Strobl hingegen rief seine Partei zur Geschlossenheit auf. „Wir brauchen keine Selbstbeschäftigung und Streit ums Pöstchen“, sagte Strobl bei seinem Auftritt am Sonntag. „Bei der SPD kann man angucken, wohin es führt.“
Überraschend zahm gab sich in Bad Waldsee Friedrich Merz, ehemaliger Rivale Kramp-Karrenbauers um den Parteivorsitz. Am Samstag sagte er, Kramp-Karrenbauer sei gewählte Parteivorsitzende, das werde er akzeptieren. „Sie hat unser aller Unterstützung verdient – auch wenn es schwierig wird.“Auf dem Bundesparteitag stünden keine Personaldebatten an.
- Der Mann, der als Hoffnungsträger gefeiert wird, betritt die Halle zu wummernder Popmusik und dem rhythmischen Klatschen von 200 Delegierten. Kameraleute und Fotografen umschwirren den Herrn im dunkelblauen Sakko, der angekündigt worden ist als Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats. Ein Amt, von dem in der Regel kaum jemand Notiz nimmt. Die Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrats heißt AstridHamke rund ist Gesellschafterin eines Osnabrück er Gebäude reinigungs unternehmens, den meisten Menschen ist ihr Name keinerlei Begriff. Ihr Stellvertreter hingegen wird mit tosendem Jubel bedacht, bevor er sein erstes Wort gesprochen hat.
Das Amt, das Friedrich Merz in der CDU derzeit innehat, steht in merkwürdigem Kontrast zu den Hoffnungen, die mit ihm verbunden werden. Jedenfalls hier in der Durlesbachhalle in Bad Waldsee, beim Landestag der Jungen Union (JU). Gastredner Merz ist für diesen Anlass nicht etwa eingeflogen worden. Er hat sich selbst eingeflogen. Sein Privatflugzeug parkt auf dem Flugplatz von Mengen, im Landkreis Sigmaringen.
„Herzlich willkommen zum Heimspiel in Oberschwaben !“, begrüßt J U- Landes vorsitzender PhilippBürkle den Gast.Bürklehats ich, wie der baden-württembergische Parteinachwuchs insgesamt, vergangenes Jahr für Merz stark gemacht, als dieser CDU-Chef werden wollte. Nun eskortieren Bürkle und der Ravensburger CDU-Kreisvorsitzende Christian Natterer, ebenfalls ein ausgesprochener Merz-Anhänger, ihren Favoriten ans Rednerpult. Auch wenn vor einem Jahr Annegret Kramp-Karrenbauer das Rennen um den Parteivorsitz gewonnen hat: Viele Jungunionisten sehen in Merz weiterhin den künftigen Kanzler. Für sie ist er der Mann, der der Partei wieder ein konservativeres Profil geben wird, der sie herausführen wird aus der Trübsal der ewigen GroKo-Kompromisse. Nach der Rede werden die Delegierten fast drei Minuten lang stehende Ovationen spenden, und während sich Merz mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn tupft, werden einige in Sprechchören „Kanzler, Kanzler“rufen.
Dass die Junge Union Merz überhaupt eingeladen hat zu ihrem Jahrestreffen, hat nicht allen gefallen in der CDU. Ein Teil der Partei sieht in ihm einen schlechten Verlierer, der lieber von der Seitenlinie aus nörgelt statt sich in die Pflicht nehmen zu lassen. Der das relativ unbedeutende Am tals Vizepräsident des CDU Wirt schafts rates angenommen hat, statt in den entscheidenden Parteigremien mitzuarbeiten. Der das Erscheinungsbild der Großen Koalition als „grottenschlecht“bezeichnet, mit seinen wiederkehrenden Einwürfen aber womöglich an diesem
Erscheinungsbild nicht ganz unbeteiligt ist.
Die meisten Delegierten der Jungen Union in Bad Waldsee teilen diese Einschätzung offenkundig nicht. Trotzdem ist Merz bemüht, entsprechende Vorbehalte zu entkräften. Den Spekulationen, womöglich auch den Hoffnungen, er könnte beim CDU-Bundesparteitag kommende Woche in Leipzig die Machtprobe suchen, erteilt er eine Absage. „Der Parteitag wird ein Sachparteitag sein“, betont Merz. „Da stehen keine Personalentscheidungen an. Da stehen auch keine Personaldebatten an. Da geht es um Sachpolitik. Und wenn dann jemand wie ich einmal eine kritische Anmerkung zu Sachfragen macht, dann ist diese Anmerkung keine Personaldiskussion. Und wenn ich mich zu der ein oder anderen Person auch einmal kritisch äußere, dann ist das kein Putschversuch, lasst mal die Kirche im Dorf!“
Und dann wird Merz sogar etwas selbstkritisch. Gute Freunde, sagt er, hätten ihm gesagt, er müsse aufpassen, dass er nicht derjenige sein dürfe, der auslöse, „dass wir in der Union einen ähnlichen Umgang mit den gewählten Repräsentanten erreichen wie die Sozialdemokraten“. Die SPD sei strukturell illoyal, sagt Merz und fügt mit Blick auf die laufende Urwahl der SPD-Vorsitzenden hinzu: „Diejenigen, die da jetzt gewählt werden, werden schon am Montag darauf wieder von der eigenen Partei infrage gestellt. Das ist kein Vorbild für uns.“
Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte diese Worte mit Zufriedenheit vernommen haben. Zumindest mit Attacken von Merz wird Kramp-Karrenbauer in Leipzig nun wohl also nicht rechnen müssen. Personalentscheidungen, sagt Merz, stehen erst in einem Jahr an. Nicht jetzt.
Das hindert seine Zuhörer freilich nicht daran, weiter von einem Kanzler Merz zu träumen. In der Fragerunde, die nach dessen Rede kommt, steht ein Delegierter aus dem Kreis Biberach auf und fragt: „Wenn Sie Parteivorsitzender und Bundeskanzler sind, was sind die ersten drei Vorhaben, die Sie angehen wollen?“Und ein JU-Mitglied aus Calw will wissen, ob Merz zur Bildung einer Minderheitsregierung bereit sei.
Von einer Minderheitsregierung versprechen sich manche eine Politik, die endlich einmal CDU pur sein soll. Überhaupt, das ist auch in Bad Waldsee zu spüren, gibt es eine große Sehnsucht nach mehr christdemokratischem Profil, mehr Klarheit. Das beginnt schon mit dem ersten Redner des Tages, dem Ortsvorsteher des Bad Waldseer Teilortes Reute, Achim Strobel. Er wünscht sich „dass wieder klare Politik mit einer klaren Linie gemacht wird, nicht mehr faule Kompromisse mit Koalitionspartnern wie jetzt bei der Grundrente“. Und so geht es weiter, in offiziellen Reden und in privaten Gesprächen. „Die Inhalte sind wischiwaschi, wir haben nicht den Mut zu eigenen Positionen“, beklagt Bastian Atzger, Vorsitzender der CDUMittelstandsvereinigung MIT in Württemberg-Hohenzollern. Ronja Kemmer, Bundestagsabgeordnete aus Ulm, findet, ihre Partei habe „Aufholbedarf bei der Profilschärfung, das erwarte ich vom Parteitag in Leipzig“. Und JU-Landeschef Philipp Bürkle, der an diesem Tag mit 80,1 Prozent im Amt bestätigt wird, fordert, es müsse wieder „Vorfahrt für klare Meinung“geben.
Merz greift diese Stimmung auf. In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode, mahnt er, dürfe es über den Koalitionsvertrag hinaus keine weiteren Zugeständnisse an die SPD geben. Zumal nicht einmal die SPD selbst von den Kompromissen profitiere. „Sonst hätte das ja noch einen karitativen Zweck.“Und sollte man einmal eine Koalition mit den Grünen bilden müssen, was durchaus möglich sei, „dann dürfen wir nicht am Tag vorher schon grüner sein als die Grünen“. Der Applaus an dieser Stelle ist auffallend kräftig.
Die Rolle des CDU-Chefkritikers übernimmt an diesem Tag in Bad Waldsee überraschenderweise aber nicht Merz, sondern Kultusministerin Susanne Eisenmann. „Die CDU scheut zunehmend, Haltung einzunehmen, gibt zu wenig Orientierung und wirkt in Kampagnen oft altbacken und langweilig“, moniert die CDU-Spitzenkandidatin für die nächste Landtagswahl. In Stuttgart, versprach sie, werde die CDU künftig konfliktbereiter auftreten, um ihre Interessen durchzusetzen. „Da werden wir unsere Handschrift im Sinne der inhaltlichen Auseinandersetzung deutlich verändern.“
Doch wenngleich Eisenmann viel Applaus erntet – im Fokus der Aufmerksamkeit steht Merz. An den Tischen der Delegierten aus Württemberg-Hohenzollern sitzen Henry Frömmichen und Martin Neumann. Beide kommen aus Ehingen, beide haben für Merz viel Lob übrig. „Er ist ein Macher, ein Unternehmer mit Führungsqualitäten, zu so jemandem schaut man auf “, sagt Frömmichen. Neumann findet Merz ebenfalls einen geeigneten Kandidaten – hat aber auch Bedenken: „Wenn er mit dem Privatjet anreist, eine Rolex trägt, was sicher alles verdient ist, dann kommen wir schnell zu der Debatte, was ist gerechter Lohn, was ist ein menschenwürdiges Auskommen? Das dürfen wir nicht der SPD überlassen.“Merz führt den Aufsichtsrat der deutschen Tochtergesellschaft des US-Vermögensverwalters
Blackrock, ein millionenschwerer Posten. Auf Nachfragen von Journalisten hat er sich trotzdem der „gehobenen Mittelschicht“zugeordnet. Eine Aussage, an die der politische Gegner einen Kanzlerkandidaten Merz nur gern erinnern würde.
Später steht ein strahlender Christian Natterer vor der Durlesbachhalle. „Die Stimmung war eindeutig, und sie kam aus vollem Herzen“, resümiert der CDU-Kreischef den Zuspruch für Merz. „Bei allen Ihren Vorhaben, die noch anstehen, können Sie auf Unterstützung aus Baden-Württemberg zählen“, hat Natterer Merz zum Abschied mit auf den Weg gegeben. Zumal der sich die Tür für eine Kanzlerkandidatur weiterhin offen hält.
Wenn die CDU dazu eine Entscheidung treffen müsse, hat Merz in Bad Waldsee gesagt, sei er bereit, „daran mitzuwirken“. „Aber ich bin es nur, wenn wir dann wirklich eine Mannschaft haben. Das ist dann weder eine One-Man-Show noch eine One-Woman-Show, das ist dann eine Mannschaft, ein Team“, so Merz. Wie so ein Team aussehen könnte, welche Rolle er darin spielt – all das bleibt vorerst offen. Denn, wie jeder in Bad Waldsee beteuert, es soll ja um Inhalte gehen, und nicht um Personalien.
„Da stehen auch keine Personaldebatten an.“
Friedrich Merz mit Blick auf den CDU-Parteitag nächste Woche in Leipzig.
„Die Stimmung war eindeutig, und sie kam aus vollem Herzen.“
Der Ravensburger CDU-Kreisvorsitzende Christian Natterer zum Beifall für Merz.
Ihn sähe die Junge Union gern in führender Position: Friedrich Merz wurde in Bad Waldsee mit „Kanzler“-Rufen gefeiert.
Friedrich Merz ist als Gastredner zur Jungen Union nach Bad Waldsee gekommen. Beifall war ihm in diesem konservativen Umfeld sicher.