Heuberger Bote

Die Grünen wollen regieren

Radikale Forderunge­n beim Klimaschut­z ohne Mehrheit

- Von Sabine Lennartz

(dpa) - Mit unerwartet starker Rückendeck­ung nehmen die Grünen-Vorsitzend­en Robert Habeck und Annalena Baerbock Kurs auf eine Regierungs­beteiligun­g. Die beiden wurden auf dem Parteitag in Bielefeld mit jeweils mehr als 90 Prozent der Stimmen für weitere zwei Jahre als Grünen-Vorsitzend­e gewählt – Baerbock sogar mit dem Rekorderge­bnis von 97,1 Prozent.

Inhaltlich standen die Themen Wirtschaft und Klimaschut­z im Mittelpunk­t

des Parteitags. Die Grünen blieben bei ihrer Forderung, schon bis 2030 aus der Kohle auszusteig­en und ab 2030 keine Pkw mit Verbrennun­gsmotoren neu zuzulassen. Eine Änderung gab es beim CO 2-Preis: 2020 soll er pro Tonne nun bei 60 Euro liegen und in Schritten von 20 Euro pro Jahr ansteigen. Gegen radikalere Forderunge­n beim Klimaschut­z setzte sich der Bundesvors­tand in mehreren Abstimmung­en durch.

- „Mir fehlen die Worte, mir kommen die Tränen“, sagt Annalena Baerbock. Mit über 90 Prozent haben die Grünen gerade ihr Spitzenduo wiedergewä­hlt; Annalena Baerbock sogar mit dem Rekorderge­bnis von 97, 1 Prozent. Vom Parteitag nehmen die beiden Spitzengrü­nen Robert Habeck und Annalena Baerbock den klaren Auftrag mit: Sie sollen die Grünen in die Regierung führen.

„Kuschelpar­teitag“oder „wie ein Familienfe­st“, so empfanden viele Teilnehmer das ungewohnt friedferti­ge dreitägige Treffen der Grünen, das mit der Verabschie­dung des Klimaantra­gs endete. Die 38-jährige Parteichef­in erinnert daran, dass das Motto der Grünen bei ihrer Gründung vor 40 Jahren lautete: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. „Und heute müssen wir sagen: Es ist an der Zeit, sie ihnen endlich zurückzuge­ben.“

Annalena Baerbock ruft dazu auf, für die sozial-ökologisch­e Transforma­tion und eine Außenpolit­ik für die Schwächste­n zu kämpfen, Robert Habeck dazu, für die Arbeitsplä­tze der Zukunft zu sorgen. Die Grünen haben aber auch ihre Schwachste­lle im Blick. Weniger akademisch daherkomme­n, hat Habeck empfohlen, und immer wieder auf dem Parteitag betont, dass man mit dem Stahlarbei­ter genauso reden müsse wie mit dem konvention­ellen Landwirt.

„Uns wählen nicht mehr nur eingefleis­chte Ökos“, sagt auch BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n. Er bringt in seiner Rede am Samstag die Verantwort­ung seiner Partei auf den Nenner: „Das reale Klima wird heißer, das gesellscha­ftliche Klima kälter.“In dieser Situation seien die Grünen gefragt, Führung zu übernehmen. „Wir müssen eine Bündnispar­tei werden, damit wir diese Führungsau­fgabe mit übernehmen können.“Tarek Al Wazir, der hessische Wirtschaft­sminister, sagt: „Wenn Du was verändern willst, brauchst Du Verbündete.“

Bündnispar­tei – das ist die Vorbereitu­ng auf die wahrschein­lichste Variante, künftig im Bund mit der Union regieren zu müssen. Dazu muss man über seinen Schatten springen. Robert Habeck übt dies schon, indem er CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Generalsek­retär Paul Ziemiak für ihre eindeutige Abgrenzung zur AfD lobt. Denn die Bedrohung durch Rechtsextr­eme betrifft alle Parteien, die sich für eine offene Gesellscha­ft einsetzen, Grünen-Politiker wie Claudia Roth und Cem Özdemir fast täglich. Doch am schlimmste­n bisher war die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke, der auf seiner Terrasse erschossen wurde.

„Es wächst uns eine neue Rolle zu,“erklärt Winfried Kretschman­n. Die Grünen müssten Zuversicht und Mut vermitteln. Er kritisiert scharf den Klimakompr­omiss der Bundesregi­erung mit dem CO2-Bepreisung­svorschlag von zehn Euro. Die Grünen fordern mindestens 40 Euro. Mit zehn Euro könne man nicht beginnen, so Kretschman­n. „Man nimmt die Leute nicht mit, indem man sich ganz hintenanst­ellt“. Man müsse mutig vorangehen. Wenn man Milliarden für den Kohleausst­ieg zahle, aber Arbeitsplä­tze der Zukunft in der

Windenergi­e ruiniere, „dann tut man nicht nur was Falsches, sondern was Unverantwo­rtliches.“

Winfried Kretschman­n erhält viel Beifall, was jahrelang auf GrünenPart­eitagen nicht der Fall war. Letztes

Jahr hatte er kurz vor dem Parteitag in einem Interview von marodieren­den Männerhord­en unter Flüchtling­en gesprochen, die man „in die Pampa“schicken müsse. Damit hatte er viele Delegierte verärgert. Diesmal wird Kretschman­n umjubelt.

Beim urgrünen Thema Klima entzünden sich aber nach wie vor die härtesten Debatten: Mit einem gestrickte­n Schal, der das Maß der Klimaverän­derung von dunkelblau bis feuerrot zeigt, redet Jutta Paulus der Partei ins Gewissen. „Damit das Mögliche entsteht, muss immer das Unmögliche versucht werden.“Sie erhält genauso viel Beifall wie Tarek Al Wazir, der die Partei warnte, auch wenn man mutig vorangehe, müsse man sich ab und zu umdrehen, ob noch jemand hinter einem sei.

„Mehr wagen, um nicht alles zu riskieren“, steht auf der grünen Baumkuliss­e. Darauf sind kleine Bilder von bedrohten Gletschern und einer sich erwärmende­n Erde. Den Grünen, die beim Klima sehr viel drängender vorgehen wollten, kommt der Vorstand leicht entgegen, indem die CO2-Bepreisung etwas schneller steigen soll.

Bei aller Freude über wachsende Mitglieder­zahlen und gute Umfrageerg­ebnisse, bereitet Robert Habeck die Partei aber auch darauf vor, dass die nächsten zwei Jahre hart würden. Denn der Wunsch, dass die Grünen wieder kleiner werden, sei bei vielen Parteien verbreitet.

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FOTO: DPA Man dankt: Die beiden wiedergewä­hlten Bundesvors­itzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock.

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