Heimat als Reich der positiven Emotionen
Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Mutherem Aras redet in Ravensburg über ihre Herkunft und das Leben in Deutschland
- Muhterem Aras, seit 2016 Landtagspräsidentin in Stuttgart, sagt von sich selbst: „Eine lebende Provokation für die Fraktion der AfD.“Und so wurde sie auch in der vollbesetzten Buchhandlung Ravensbuch als Diskussionspartnerin von Hendrik Groth, dem Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, vorgestellt. Thema des Gesprächs war der provokante Titel des 2019 zusammen mit Hermann Bausinger publizierten Buchs „Heimat. Kann die weg?“Auch wenn man das Buch schon kannte, brachte der Abend noch eine Menge mehr.
Eröffnung für Hendrik Groth, bekennender Fußballfan und Anhänger des MSV Duisburg, dessen Stadion ihm „noch mehr Heimat gewesen sei“als die Stadt selbst, ist als Rheinländer schon länger und „gern“in
Oberschwaben zu Hause. Er werde hier nie nach seiner Herkunft gefragt, aber sie wohl schon, beginnt er die Fragestunde. Warum also das Buch zur Heimat?
Ein strahlendes Lächeln antwortet, die Augen blitzen, die Stimme etwas aufgeraut vom vielen Sprechen, die ganze Erscheinung signalisiert: Da ist jemand, der offen ist zum Gespräch und bereit zum Verständnis – aber nicht um den Preis der Selbstverleugnung. Die 1966 im türkischen Elmaagaç (zwischen Erzurum und Diyarbakır gelegen) als alevitische Kurdin geborene Aras kam als Zwölfjährige mit ihren Eltern und vier Geschwistern nach Stuttgart-Filderstadt. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften, trat 1992 den Grünen bei, und war bis zu ihrem Amtsantritt als Steuerberaterin selbstständig.
„Heimat ist für mich mit positiven Emotionen besetzt, sie ist da, wo man gleiche Werte teilt“, beginnt sie eine längere Erzählung aus ihrer Kindheit, der man wegen ihrer lebendigen, präzisen Schilderung gerne zuhört. Zu ihrer frühen Geschichte gehören Ausgrenzung, Verbot der kurdischen Sprache, Verbot ihrer Religion, einer progressiven Auslegung des Koran. Ihre Mutter, die noch nicht einmal schreiben lernen durfte, habe die Gängelei in der Großfamilie nicht ertragen und für ihre Kinder eine gute Bildung gewollt.
„Erst hier habe ich gelernt, ein freier Mensch zu sein, und ich würde alles geben, um das zu verteidigen“, antwortet sie auf Groths Frage, wie sie in ihrem Amt als Landtagspräsidentin mit der AfD umgehe. Schlimmer als die diskriminierenden Äußerungen seien für sie die Angriffe auf das Amt, aber sie wisse das Grundgesetz und die Mehrheit der Fraktionen auf ihrer Seite.
Hendrik Groth brachte das Gespräch auf den türkischen Präsidenten Erdogan, der mit seinem „Radikalismus“auf die drei Millionen Türkeistämmigen in Deutschland erheblich Einfluss nähme. „Es ist nicht so, dass uns Erdogan mit allem möglichen erpressen kann, aber ich wünsche mir eine klarere Haltung bei den Hermes-Bürgschaften, den Waffenlieferungen“, entgegnete Aras, die sich selbst fragte, wieso für eine große Zahl von Türkeistämmigen, in dritter Generation hier lebend, der türkische Präsident wichtiger sein könne als der deutsche Bundespräsident. Fehler bei der Integration sieht Aras im Religionsunterricht der Imame, wo „die Debatte gescheut wurde“, im „Desinteresse“an den Inhalten von Schulbüchern und im Gefühl vieler, als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Man dürfe nicht vergessen, dass diese Menschen
auch „Großes geleistet“hätten in den 1960er-Jahren – ihr Plädoyer für die „Gastarbeiter“, die damals erheblich zu Deutschlands Wohlstand beitrugen, rührte an.
Das Thema eigene Sicherheit beantwortete sie mit ihrem Glauben daran, dass „unsere Demokratie wehrhaft ist“, bisher brauche sie keinen Personenschutz, auf Drohungen werde mit juristischer Prüfung und Anzeige reagiert. Mit ihrem Statement „Wirtschaftlich geht es uns sehr gut und wenn wir mit diesem wunderbaren Grundgesetz so griesgrämig durch die Gegend laufen, was sollen dann die anderen Länder erst machen?“erntete Aras abermals herzlichen Applaus. Aus den Publikumsfragen entwickelten sich weitere Themen wie zum Beispiel der Respekt vor der Muttersprache der Neuankömmlinge, die „Zeit zum Ankommen“bräuchten.