Proteste in Iran gegen Erhöhung der Spritpreise
Mit den Mehreinnahmen sollen Subventionen für arme Familien finanziert werden
- Nach den Protesten im Irak und im Libanon haben die neuen Unruhen in Nahost nun auch den Iran erfasst. Mit Straßenblockaden, Protestmärschen und Parolen gegen das Regime machten Zehntausende Iraner in mehreren Städten am Wochenende ihrer Wut über eine drastische Erhöhung der Benzinpreise Luft. Mindestens ein Demonstrant und ein Polizist sollen bei Auseinandersetzungen ums Leben gekommen sein.
Präsident Hassan Ruhani will mit der Preisanhebung drei Monate vor den Parlamentswahlen im Februar neue staatliche Hilfen für arme Familien finanzieren, doch die Demonstranten fordern eine Rücknahme der Verteuerung. Die Proteste bereiten der iranischen Führung auch außenpolitische Sorgen: Angesichts der Unruhen muss sie entscheiden, wie viel Geld sie noch in die Unterstützung ihrer Verbündeten in Nahost investieren kann.
Viele Iraner empfinden niedrige Spritpreise angesichts des nationalen Ölreichtums als ihr gutes Recht: Bis zur Preiserhöhung am Freitag kostete ein Liter Benzin umgerechnet etwa 7,5 Euro-Cent. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 5000 Euro im Jahr ist der niedrige Benzinpreis außerdem für viele Menschen sehr wichtig, zumal Korruption, Misswirtschaft und die US-Sanktionen die Wirtschaft immer tiefer in die Krise treiben. In der Nacht zum Freitag kürzte die Regierung aber ohne Vorwarnung die Subventionen für die Benzinpreise. Seitdem kostet ein Liter Benzin etwa 11,5 Cent; ab 60 Litern im Monat steigt der Preis auf 23 Cent.
Der Preisaufschlag soll dem Staat jährlich umgerechnet rund 2,3 Milliarden Euro einbringen, die an 18 Millionen Familien im Land ausgezahlt werden sollen – das wären 60 Millionen der 81 Millionen Iraner. Drei von vier Bürgern seien wirtschaftlich unter Druck, sagte Ruhani zur Begründung der neuen Beihilfen. Der Präsident, der die Benzinpreiserhöhung bereits in der Vergangenheit durchsetzen wollte, hofft offenbar, dass er mit den neuen Subventionen mehr
Unterstützung gewinnt als er durch die Spritpreiserhöhungen verliert.
Schon seit Jahren flammen in Iran immer wieder Proteste gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung auf, doch hat der starke Sicherheitsapparat bisher stets verhindert, dass die Unruhen das System der Islamischen Republik ins Wanken bringen. Diesmal wurde die Polizei von der Wut der Demonstranten überrascht. Die Behörden reagierten mit Tränengasund Schlagstockeinsätzen und schalteten vielerorts das Internet ab. Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei stellte sich am Sonntag demonstrativ hinter Präsident Ruhani und verdammte Gewaltaktionen der Demonstranten, die unter anderem ein Bankgebäude in Brand gesetzt hatten.
Für Ruhani sind die Preiserhöhungen trotz der Rückendeckung durch Khamenei ein Risiko. Der Präsident hatte den Iranern nach Abschluss
des internationalen Atomvertrages im Jahr 2015 mehr Wohlstand versprochen – doch der ist wegen des Ausstiegs der USA aus dem Abkommen und der neuen amerikanischen Sanktionen ausgeblieben. Dennoch will Ruhani bei den Parlamentswahlen versuchen, die starke Position der Reformer in der Volksvertretung zu sichern.
Dagegen setzen Ruhanis konservative Gegner darauf, im Februar ihre Niederlagenserie zu beenden und sich eine gute Ausgangsposition für die Präsidentenwahl im Jahr 2021 zu verschaffen. Bei den Wahlen der vergangenen Jahre hatten stets die Reformer die Oberhand: Vor sechs Jahren war Ruhani ins Amt gekommen, vor drei Jahen hatten die Reformkräfte eine relative Mehrheit im Parlament erobert, und vor zwei Jahren war Ruhani mit 57 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Zwar ist Revolutionsführer Khamenei die höchste Instanz in Iran, doch können Präsident und Parlament starke politische Akzente setzen, so wie es Ruhani mit seiner Unterstützung für den Atomvertrag getan hat.
Die neuen innenpolitischen Turbulenzen kommen für die iranische Außenpolitik zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt. Iranische Partner wie die Hisbollah im Libanon und pro-iranische Gruppen im Irak sind wegen der dortigen Massenproteste in der Defensive – die Rolle Teherans in beiden Staaten ist unter Beschuss. Mitten in einer Protestwelle im eigenen Land mehr Geld zur Verteidigung des Teheraner Einflusses in der Region auszugeben, könnte die innenpolitische Lage in Iran noch weiter verschärfen: Bei einigen Protestkundgebungen gegen die höheren Spritpreise riefen Demonstranten mehreren Medienberichten zufolge Parolen gegen die teuren außenpolitischen Abenteuer ihrer Regierung.