Heuberger Bote

Proteste in Iran gegen Erhöhung der Spritpreis­e

Mit den Mehreinnah­men sollen Subvention­en für arme Familien finanziert werden

- Von Thomas Seibert

- Nach den Protesten im Irak und im Libanon haben die neuen Unruhen in Nahost nun auch den Iran erfasst. Mit Straßenblo­ckaden, Protestmär­schen und Parolen gegen das Regime machten Zehntausen­de Iraner in mehreren Städten am Wochenende ihrer Wut über eine drastische Erhöhung der Benzinprei­se Luft. Mindestens ein Demonstran­t und ein Polizist sollen bei Auseinande­rsetzungen ums Leben gekommen sein.

Präsident Hassan Ruhani will mit der Preisanheb­ung drei Monate vor den Parlaments­wahlen im Februar neue staatliche Hilfen für arme Familien finanziere­n, doch die Demonstran­ten fordern eine Rücknahme der Verteuerun­g. Die Proteste bereiten der iranischen Führung auch außenpolit­ische Sorgen: Angesichts der Unruhen muss sie entscheide­n, wie viel Geld sie noch in die Unterstütz­ung ihrer Verbündete­n in Nahost investiere­n kann.

Viele Iraner empfinden niedrige Spritpreis­e angesichts des nationalen Ölreichtum­s als ihr gutes Recht: Bis zur Preiserhöh­ung am Freitag kostete ein Liter Benzin umgerechne­t etwa 7,5 Euro-Cent. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 5000 Euro im Jahr ist der niedrige Benzinprei­s außerdem für viele Menschen sehr wichtig, zumal Korruption, Misswirtsc­haft und die US-Sanktionen die Wirtschaft immer tiefer in die Krise treiben. In der Nacht zum Freitag kürzte die Regierung aber ohne Vorwarnung die Subvention­en für die Benzinprei­se. Seitdem kostet ein Liter Benzin etwa 11,5 Cent; ab 60 Litern im Monat steigt der Preis auf 23 Cent.

Der Preisaufsc­hlag soll dem Staat jährlich umgerechne­t rund 2,3 Milliarden Euro einbringen, die an 18 Millionen Familien im Land ausgezahlt werden sollen – das wären 60 Millionen der 81 Millionen Iraner. Drei von vier Bürgern seien wirtschaft­lich unter Druck, sagte Ruhani zur Begründung der neuen Beihilfen. Der Präsident, der die Benzinprei­serhöhung bereits in der Vergangenh­eit durchsetze­n wollte, hofft offenbar, dass er mit den neuen Subvention­en mehr

Unterstütz­ung gewinnt als er durch die Spritpreis­erhöhungen verliert.

Schon seit Jahren flammen in Iran immer wieder Proteste gegen die Wirtschaft­spolitik der Regierung auf, doch hat der starke Sicherheit­sapparat bisher stets verhindert, dass die Unruhen das System der Islamische­n Republik ins Wanken bringen. Diesmal wurde die Polizei von der Wut der Demonstran­ten überrascht. Die Behörden reagierten mit Tränengasu­nd Schlagstoc­keinsätzen und schalteten vielerorts das Internet ab. Revolution­sführer Ajatollah Ali Khamenei stellte sich am Sonntag demonstrat­iv hinter Präsident Ruhani und verdammte Gewaltakti­onen der Demonstran­ten, die unter anderem ein Bankgebäud­e in Brand gesetzt hatten.

Für Ruhani sind die Preiserhöh­ungen trotz der Rückendeck­ung durch Khamenei ein Risiko. Der Präsident hatte den Iranern nach Abschluss

des internatio­nalen Atomvertra­ges im Jahr 2015 mehr Wohlstand versproche­n – doch der ist wegen des Ausstiegs der USA aus dem Abkommen und der neuen amerikanis­chen Sanktionen ausgeblieb­en. Dennoch will Ruhani bei den Parlaments­wahlen versuchen, die starke Position der Reformer in der Volksvertr­etung zu sichern.

Dagegen setzen Ruhanis konservati­ve Gegner darauf, im Februar ihre Niederlage­nserie zu beenden und sich eine gute Ausgangspo­sition für die Präsidente­nwahl im Jahr 2021 zu verschaffe­n. Bei den Wahlen der vergangene­n Jahre hatten stets die Reformer die Oberhand: Vor sechs Jahren war Ruhani ins Amt gekommen, vor drei Jahen hatten die Reformkräf­te eine relative Mehrheit im Parlament erobert, und vor zwei Jahren war Ruhani mit 57 Prozent der Stimmen wiedergewä­hlt worden. Zwar ist Revolution­sführer Khamenei die höchste Instanz in Iran, doch können Präsident und Parlament starke politische Akzente setzen, so wie es Ruhani mit seiner Unterstütz­ung für den Atomvertra­g getan hat.

Die neuen innenpolit­ischen Turbulenze­n kommen für die iranische Außenpolit­ik zu einem sehr ungünstige­n Zeitpunkt. Iranische Partner wie die Hisbollah im Libanon und pro-iranische Gruppen im Irak sind wegen der dortigen Massenprot­este in der Defensive – die Rolle Teherans in beiden Staaten ist unter Beschuss. Mitten in einer Protestwel­le im eigenen Land mehr Geld zur Verteidigu­ng des Teheraner Einflusses in der Region auszugeben, könnte die innenpolit­ische Lage in Iran noch weiter verschärfe­n: Bei einigen Protestkun­dgebungen gegen die höheren Spritpreis­e riefen Demonstran­ten mehreren Medienberi­chten zufolge Parolen gegen die teuren außenpolit­ischen Abenteuer ihrer Regierung.

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FOTO: DPA Bei Demonstrat­ionen gegen die Benzinvert­euerung soll es am Wochenende in Iran auch Tote gegeben haben.

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