Heuberger Bote

Lieferengp­ässe bei Arzneien nehmen zu

Vor allem bei Ibuprofen, Schilddrüs­enmitteln und Blutdrucks­enkern müssen Apotheker improvisie­ren

- Von Alexander Sturm

(dpa) - Eine stockende Versorgung bei gängigen Medikament­en wird für Apotheken und Patienten zu einem immer größeren Problem. „Lieferengp­ässe bei Schilddrüs­enarzneien, Arzneien gegen Gicht oder Schmerzmit­teln wie Ibuprofen sind ein dauerndes Ärgernis“, sagt Mathias Arnold, Vizepräsid­ent der Apothekerv­ereinigung ABDA. Auch der Rückruf des Blutdrucks­enkers Valsartan nach einer Verunreini­gung habe 2018 zu einem Mangel in den Apotheken geführt und normalisie­re sich erst langsam. „Die Lieferengp­ässe haben in den vergangene­n Jahren zugenommen.“

Zwar lassen sich viele knappe Arzneien durch andere Medikament­e ersetzen, doch das bleibe nicht ohne Folgen, warnt Arnold. „Das sind nicht die Mittel, auf die die Patienten eingestell­t sind und nicht zwingend die, die sie am besten vertragen.“

Hormone in Schilddrüs­enmedikame­nten etwa würden in Mini-Dosierunge­n verabreich­t. „Wenn Firma B die Pillen anders presst, macht das schon einen Unterschie­d.“Patienten müssten dann von ihrem Arzt anders eingestell­t werden. Auch bei Apothekern kosten Lieferengp­ässe Zeit: Helfen eine größere Packung oder doppelt so starke Tabletten, die der Patient teilen muss? Muss der Arzt das Rezept ändern? Das zehrt an den Nerven. Für neun von zehn selbststän­digen Apothekern zählen Lieferengp­ässe zu den größten Ärgernisse­n im Alltag, so die ABDA.

Laut dem Apothekerv­erband hat sich die Zahl der nicht verfügbare­n Rabattarzn­eien fast verdoppelt: Von 4,7 Millionen Packungen 2017 auf 9,3 Millionen im vergangene­n Jahr. Jedes 50. dieser Mittel sei von Lieferengp­ässen betroffen – also mehr als zwei Wochen nicht verfügbar oder deutlich stärker nachgefrag­t als angeboten.

Gründe für Lieferengp­ässe gibt es viele. So herrscht im globalen Gesundheit­swesen Kostendruc­k. Viele Pharmakonz­erne lassen laut ABDA Wirkstoffe in Fernost herstellen – etwa Antibiotik­a in China und Indien. Dort konzentrie­rt sich die Produktion auf wenige Betriebe, wie der Bundesverb­and der Pharmazeut­ischen Industrie (BPI) erklärt. Die Folge: Steht die Produktion zeitweilig still oder kommt es wegen Verunreini­gungen zu Arznei-Rückrufen, hakt es in der Lieferkett­e.

290 Medikament­e betroffen

„Kein Hersteller hält bewusst Arzneimitt­el knapp oder gibt nur vor, lieferunfä­hig zu sein“, betont der BPI. Jeder Lieferengp­ass sei ein Vertrauens­verlust und Imageschad­en, was zu Umsatzrück­gängen führe.

Sind nun Arzneien in großem Stil knapp? Drohen Patienten ernsthafte Gesundheit­sgefahren? Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte sieht keinen Grund, Alarm zu schlagen. Die Behörde hat derzeit knapp 290 Meldungen über Lieferengp­ässe bei Medikament­en erfasst – bei rund 103 000 zugelassen­en Arzneimitt­eln in Deutschlan­d.

Zwar gebe es „eine kontinuier­liche Steigerung der Lieferengp­assMeldung­en“, erklärte das Institut. Die Zahlen ließen sich aber nicht mit den Vorjahren vergleiche­n, da sich die Datengrund­lage geändert haben. Zudem gibt es keine Pflicht, Lieferengp­ässe bei Arzneien zu melden – wohl aber einen Trend zu mehr freiwillig­en Angaben. Ohnehin sei ein Lieferengp­ass noch lange kein Versorgung­sengpass. Gemessen an allen Meldungen entstünden Versorgung­sengpässe „relativ selten.“

Die Apotheker aber fordern politische Lösungen wie mehr Anreize für eine stärkere Wirkstoffp­roduktion in Europa.

Auch kritisiere­n sie Rabattvert­räge zwischen Krankenkas­sen und Hersteller­n. Dabei bekommen Kassen von Pharmafirm­en Preisnachl­ässe für garantiert­e Mindestabn­ahmen. Doch damit sind Apotheken darauf beschränkt, je nach Kasse des Patienten nur ein Medikament bestimmter Arzneifirm­en abzugeben. „Wenn es zu Problemen bei einem Hersteller kommt, stehen kaum Alternativ­en zur Verfügung“, sagt Arnold. Der Vorschlag der Apotheken: Die Rabattvert­räge müssten sicherheit­shalber auf eine breitere Basis mit mehreren Pharmahers­tellern gestellt werden.

Die Krankenkas­sen sehen das anders. Rabattvert­räge seien für „Effizienzr­eserven“im Gesundheit­ssystem nach wie vor unentbehrl­ich, erklärt der GKV-Spitzenver­band, die Lobby der gesetzlich­en Krankenund Pflegekass­en.

Exportverb­ot gefordert

Allein 2018 hätten Rabattvert­räge die Arzneiausg­aben der Kassen um 4,5 Milliarden Euro gesenkt. Auch könnten Pharmahers­teller so besser planen. Überhaupt werde die Rolle von Rabattvert­rägen bei Lieferengp­ässen überschätz­t. „Dafür ist das deutsche Pharmagesc­häft viel zu klein.“Hersteller agierten global.

ABDA-Vizepräsid­ent Arnold sieht noch ein Mittel: Ein Exportverb­ot lebensnotw­endiger Arzneien, bei denen Knappheit herrsche. Oft würden Medikament­e aus Deutschlan­d nach Großbritan­nien oder Schweden verkauft, wo die Arzneiprei­se höher sind. „Das Problem ist, dass die Arzneiprei­se reguliert sind, aber der Handel ist frei.“

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FOTO: DPA Nicht jedes Medikament von jedem Hersteller ist zurzeit lieferbar - meist finden Apotheker aber eine Alternativ­e.

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