Erzählen gegen den alles vernichtenden Lauf der Zeit
Für den Österreicher Christoph Ransmayr sind Geschichten „Arznei gegen die Sterblichkeit“
ie Währung eines Schriftstellers ist das Wort. Insofern erscheint es folgerichtig, wenn Christoph Ransmayr sich für die ihm verliehenen Literaturpreise mit Geschichten bedankt. „Drei Geschichten zum Dank“lautet demnach der Untertitel seines in der Reihe Spielformen des Erzählens erschienenen Büchleins „Arznei gegen die Sterblichkeit“, das drei Dankesreden der Jahre 2017 und 2018 versammelt. In jeder beweist der Österreicher, was für ein exzellenter Erzähler er ist.
Von persönlichen Erlebnissen spannt er einen Bogen zu den Namenspatronen. So wie bei der Verleihung des Marieluise-Fleißer-Preises 2017, bei der er von seiner kurzen Karriere als Fußballer erzählt, die mit einem Eigentor im entscheidenden letzten Saisonspiel ein jähes Ende findet. Sein Trainer, ein sportbegeisterter Bäckermeister, raunt ihm nach dem Abpfiff zu, was für „eine Zierde für den Verein“er doch sei. Erst als Erwachsender ein gutes Jahrzehnt später kann Ransmayr den Halbsatz Marieluise Fleißer zuordnen. Woher der Bäcker ihn hatte, kann er nicht eruieren, aber er erkennt, dass „Fragmente der Dichtkunst“manchmal als „federleichter Urstoff“ins öffentliche und selbst ins „bildungsferne Bewusstsein“hinabsinken und zu geflügelten Worten werden.
Gerne lauscht man diesem gottbegnadeten Erzähler, für den Geschichten eine „Arznei gegen die Sterblichkeit“sind. Am eindringlichsten ist die Rede, die Ransmayr 2018 bei der Verleihung des Würth-Preises für Europäische Literatur in Künzelsau hielt. Sie wird zu einem wütenden Statement gegen die bis heute währende Ausbeutung der Dritten Welt. Bei einer Reifenpanne im Gebiet der ostafrikanischen Virunga-Vulkane, wo der Schriftsteller die letzten Berggorillas besuchen will, sieht er ein Mädchen im gelben Kleid, das einen schweren Wasserkanister schleppt. Um ihre Ananas-, Kakao-, oder Kaffeeplantagen zu bewässern, haben die Europäer kilometerlange Rohrsysteme gebaut, während die Einheimischen immer noch zu den entfernten Brunnen laufen müssen. Sieht so Entwicklungshilfe aus?
All das Geld fließt über „raffinierte Finanzierungssysteme“wieder auf europäische Konten und lässt die Afrikaner ärmer zurück als zuvor. Selten hat man Christoph Ransmayr so betroffen erlebt wie im neuen Buch. Es sind nur kleine Geschichten, doch man wünscht sich, dass sie Großes bewirken, um die Gier der westlichen Eliten endlich zu brechen.