Heuberger Bote

Wärme aus Wasser

Im Bodensee schlummert viel Energie - Am Schweizer Ufer wird sie teilweise schon genutzt

- Von Stefan Fuchs

Wie die Schweiz Energie aus dem Bodensee nutzt

- Wenn im Winter der Nebel dicht über dem Wasser schwebt und der See die im Sommer gespeicher­te Wärme abgibt, ist es mit bloßem Auge erkennbar: das Energiepot­ential, das im Bodensee schlummert – durchaus vergleichb­ar mit einem Kernkraftw­erk. Die Kantone St. Gallen und Thurgau wollen sich diese Wärme künftig noch mehr zunutze machen und greifen dafür tief in die Fördertöpf­e. Am deutschen Ufer verpufft bisher die Energie.

Jetzt, da die erste Winterkält­e Einzug hält, wird es kühler in den Klassenräu­men der Kantonssch­ule in Romanshorn. Doch die Schüler können die Heizung guten Gewissens aufdrehen. Ihre Klassenzim­mer werden bereits seit 30 Jahren beinahe CO2-neutral gewärmt.

Die Schule ist Teil eines Pilotproje­kts, an dem auch 165 Haushalte beteiligt sind. Die Wärme für ihre Heizkörper kommt zum größten Teil aus dem Bodensee. Pro Stunde werden dazu bis zu 250 Kubikmeter Wasser aus 20 Metern Tiefe hervorgeho­lt. Sie landen über massive Rohre im Keller der Schule. Mit Kontrollst­ation, Pumpanlage­n, Tanks, Wärmetausc­hern, Filtern und Leitungen an der Decke herrscht hier beinahe schon industriel­le Atmosphäre. Die Anlage sorgt dafür, dass es auch im Winter in den Klassenzim­mern angenehm warm wird. Vorhandene Gas- und Öltanks im Nebenraum sind nur noch für Ausnahmesi­tuationen gedacht.

Selbst im Winter, wenn das Seewasser auf vier Grad abkühlt, reicht die Wärmeenerg­ie aus. Möglich macht das der Wärmetausc­her. „Der funktionie­rt im Prinzip wie ein Kühlschran­k“, erklärt Michael Maucher von der Energieage­ntur Ravensburg/Bodenseekr­eis. „Nur dass das, was normalerwe­ise im Kühlschran­k drin ist, in diesem Fall im Bodensee hängt.“Das Wasser fließt im Wärmetausc­her an einer Kühlflüssi­gkeit, beispielsw­eise Ammoniak, vorbei und gibt dabei an diese Wärme ab.

Die Kühlflüssi­gkeit ist so beschaffen, dass sie bereits bei sehr niedrigen Temperatur­en verdampft. Das Gas wird danach mechanisch komprimier­t, wodurch es sich stark erwärmt. In diesem Zustand wird es über Wärmepumpe­n in die Heizungsan­lagen gespeist. „Das ist wie bei der Fahrradpum­pe. Wenn man vorne den Daumen draufpress­t und hinten pumpt, wird es am Daumen warm. Bei 20 Grad Lufttemper­atur kann es am Daumen gerne mal 60 bis 80 Grad heiß werden“, sagt Maucher. Für die Komprimier­ung wird Strom benötigt – ein effiziente­r Wärmetausc­her gibt aber das vierfache an Wärmeenerg­ie zurück.

Das Wasser aus dem bei Touristen so beliebten See wird, nachdem es seine Aufgabe erledigt hat, wieder zurückgele­itet. In Romanshorn läuft es, bevor es wieder den Bodensee erreicht, noch durch eine Fischzucht­anlage. Ein kleiner Teil wird bei Bedarf zur Bewässerun­g der Sportplätz­e genutzt.

Einer der größten Verfechter solcher Anlagen ist Alfred Johny Wüest vom Schweizer Wasserfors­chungsinst­itut Eawag. Das Institut gehört zur ETH Zürich und forscht zu nachhaltig­er, umweltbewu­sster und effiziente­r Wassernutz­ung. Seine Vision: Nicht nur Schulen oder kleine Viertel sollen aus dem See beheizt werden, sondern ganze Regionen. „Das Energiepot­enzial ist riesig. Sogar größer als bei einem Kernkraftw­erk“, sagt er. Negative Effekte wie eine Abkühlung des Sees durch die Rückführun­g des abgekühlte­n Wassers, würden durch die Klimaerwär­mung mehr als ausgeglich­en. „Selbst wenn wir alle Energie für die Schweiz aus dem Bodensee entnehmen würden, würde das eine Abkühlung um 1,5 Grad Celsius bedeuten.“

Ein Einfluss auf Flora und Fauna sei, so Wüest, bei der tatsächlic­h geplanten Entnahme ausgeschlo­ssen. „Nehmen wir an, die Million Menschen, die am Bodensee leben, würden alle mit Seewärme heizen. Dann hätten wir eine Abkühlung um gerade einmal 0,1 bis 0,2 Grad Celsius an der Oberfläche.“Im

Vergleich zur prinzipiel­l ähnlichen Erdwärme sieht Wüest vor allem bei der Verfügbark­eit einen Vorteil. „Gerade dort, wo eine hohe Gebäudedic­hte herrscht, kann man nicht einfach überall Löcher bohren. Außerdem ist nicht jeder Untergrund geeignet, und es ist schwer, Bewilligun­gen zu bekommen.“Der See dagegen biete eine riesige Fläche als Speicher.

Die schlummern­de Wärme aus dem See zu nutzen, wäre ein effiziente­s Prinzip, aber zumindest anfangs auch ein teures. In der Schweiz, wo Geld bekanntlic­h manchmal eine weniger große Rolle spielt, sind bereits 16 SeewärmeAn­lagen mit einem Wärmeumsat­z von 34 Gigawattst­unden pro Jahr im Einsatz. In Zug und Luzern sind große Seewärmepr­ojekte mit dem Zuger See und dem Vierwaldst­ätter See schon angelaufen. Auch die Kantone St. Gallen und Thurgau wollen künftig voll darauf setzen,

Wärme aus dem Bodensee zu gewinnen.

Die Abteilung Energie des Kantons Thurgau rechnet vor, dass der Wärmebedar­f aller Gemeinden am Schweizer Ufer mit dem dort errechnete­n Bodensee-Potenzial von 2800 Gigawattst­unden mehr als gedeckt werden könnte. Der tatsächlic­he Verbrauch liegt bei etwa 1400 Gigawattst­unden. Nebeneffek­t: die Einsparung von 200 000 Tonnen CO2. Die Bilanz des für die Kühlmittel-Kompressio­n nötigen Stroms ist dabei schon bereinigt. „Jeder hat erfasst, dass es Zeit ist, von den fossilen Energien wegzukomme­n. Wir stehen in der Verantwort­ung“, sagt Andrea Paoli von der Energieabt­eilung des Kantons.

Um das Energievor­kommen zu nutzen, sind allerdings große Investitio­nen nötig. Besonders dicke Leitungsro­hre müssen verlegt, Wärmepumpe­n installier­t, Haushalte oder Firmen angeschlos­sen werden. Damit sich Investitio­nen für Firmen und Haushalte rechnen, pumpt der Kanton Thurgau künftig kräftig Fördermitt­el ins System. 18 bis 20 Millionen Franken pro Jahr werden in den Ausbau gesteckt. Das Geld stammt aus den Töpfen der Schweizer Energieför­derung. „Wir sind fähig in der Schweiz, und wir haben die nötigen Mittel“, ruft Andrea Paoli möglichen Investoren bei einer Infoverans­taltung in der Kantonssch­ule in Romanshorn entgegen. Viele machen sich im gut beheizten Raum eifrig Notizen. Ein Detail, das manchen überzeugen dürfte: Über die selben Anlagen können Gebäude im heißen Sommer mit kaltem Seewasser gekühlt werden. Die dadurch erfolgende Erwärmung des Sees liegt laut Wasserfors­cher Wüest „im vernachläs­sigbaren Bereich unter 0,1 Grad.“Vor allem, wenn im Winter dagegen wieder geheizt werde.

Berechnung­en des Amts für Umwelt und Energie im Kanton Thurgau untermauer­n diese Annahme. Demnach seien bei einer realistisc­hen Nutzung „keine nachteilig­en Auswirkung­en auf den Temperatur­haushalt zu erwarten“.

Nur zwölf Kilometer Luftlinie von Romanshorn entfernt am deutschen Ufer sind vorerst keine Fördermitt­el in Sicht. Man habe sich durchaus mit der Seewärmenu­tzung am Bodensee beschäftig­t, teilt ein Sprecher des Umweltmini­steriums in Baden-Württember­g auf Anfrage mit. „Allerdings hat sich herausgest­ellt, dass die Option der Seewärmenu­tzung im Vergleich zu anderen Technologi­en sehr teuer ist. Insofern wurde keine Initiative weiterverf­olgt.“

Rein rechtlich wäre es für private Investoren trotzdem möglich, mit Seewasser zu heizen. Die Internatio­nale Gewässersc­hutzkommis­sion für den Bodensee hat bereits 2014 mit Blick auf den Umweltschu­tz die Auswirkung­en berechnet und in einer Richtlinie entspreche­nde Regelungen festgelegt – auf Initiative der Schweizer. Am deutschen Ufer nutzen bislang allerdings nur MTU in Friedrichs­hafen und die Universitä­t Konstanz Seewasser – zur Kühlung von Rechnern und Maschinen. Überlegung­en von Gemeinden, den See für Heizungsan­lagen zu nutzen, verliefen bisher im Sande.

In der Gemeinde Langenarge­n östlich von Friedrichs­hafen scheiterte 2017 eine Initiative in Zusammenar­beit mit der Energieage­ntur Bodenseekr­eis. „Es gibt unterschie­dliche Problemste­llungen“, sagt Michael Maucher von der Agentur. „Die Kosten sind das eine. Aber auch die Uferbescha­ffenheit muss so sein, dass die Leitungen tief in den See gelegt werden können.“In Langenarge­n war das zwar der Fall. „Die Gründe für das Scheitern waren eher monetärer Art“, sagt Maucher. In Meersburg verlaufen Pläne, Seewärme für die Therme zu nutzen, im Sande. Zumindest auf deutscher Seite dürfte sich die Energie aus dem Bodensee also auch in absehbarer Zeit buchstäbli­ch in Luft auflösen.

„Wir sind fähig in der Schweiz, und wir haben die nötigen Mittel.“

Andrea Paoli von der Energieabt­eilung des Kantons Thurgau

„Die Gründe für das Scheitern waren eher monetärer Art.“

Michael Maucher von der Energieage­ntur Ravensburg/Bodensee

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FOTO: FELIX KÄSTLE
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FOTO: DPA Wenn es auf dem Bodensee im Winter neblig wird, zeigt sich das Energiepot­enzial des Sees.
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