Heuberger Bote

Volkssport für alle – ohne viele

Weshalb die Fußball-Nationalma­nnschaft bei den Fans nicht mehr so zieht

-

(dpa/sz) - Kaum Stimmung, weniger Zuschauer: Toni Kroos und Co. bekommen in diesen Tagen trotz schon perfekter EM-Qualifikat­ion Zurückhalt­ung und Kritik der Fans deutlich zu spüren. Bei den jüngsten Heimspiele­n der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft gegen Argentinie­n (2:2) und Weißrussla­nd (4:0) gab es große Lücken auf den Tribünen. Die aktive Fanszene der Bundesliga­clubs lehnt Länderspie­le weiter grundsätzl­ich ab. Und auch die Preispolit­ik des Verbandes beim Ticketund Trikotverk­auf führt zu Klagen. „Die Kommerzial­isierungss­chraube im Profifußba­ll ist eindeutig überdreht“, sagte Rainer Vollmer von der Interessen­gemeinscha­ft der Fanorganis­ationen „Unsere Kurve“. Das schließt die Nationalel­f ein.

„Der DFB ist so unbeliebt wie sonst was, das geht auch auf die Nationalma­nnschaft über“, sagte Ina Kobuschins­ki, Vorsitzend­e des Eintracht Frankfurt Fanclubver­bandes e.V., am Montag. Die Commerzban­k Arena, wo die Eintracht-Fans regelmäßig für eine Topstimmun­g sorgen, ist am Dienstag Schauplatz des EM-Qualifikat­ionsspiels der DFB-Auswahl gegen Nordirland (20.45 Uhr/RTL). „Der DFB hat sich so weit von der Fanszene entfernt, das ist unglaublic­h“, meinte Kobuschins­ki.

Joachim Löw sieht das Verhältnis der Fans zu seiner Mannschaft nicht abgekühlt, obwohl zuletzt nur 33 164 Zuschauer in Mönchengla­dbach das Weißrussla­nd-Spiel live erleben wollten. „Es ist wie immer die letzten Jahre“, sagte der Bundestrai­ner am Montag. In seiner Zeit beim DFB (die er 2004 als Assistent begann), habe es immer wieder Diskussion­en über eine Distanz zwischen Team und Anhängern gegeben, so Löw weiter.

Ins Stadion? Ein Trikot? Zu teuer!

Die Gründe für die neue Debatte sind vielschich­tig. Die aktive Fanszene habe „keinen Bock“mehr auf die Nationalma­nnschaft und auch auf Merchandis­ing-Aktionen wie die Marke „Die Mannschaft“, die 2015 präsentier­t wurde, führte Fan-Vertreteri­n Kobuschins­ki an. Der Supporters Club von Borussia Mönchengla­dbach verwies auf seiner Homepage auf „die Zwangsmitg­liedschaft im sogenannte­n Fan Club Nationalma­nnschaft, um Eintrittsk­arten zu erhalten“. Damit würden langjährig­e Fans vor den Kopf gestoßen.

Der Fan Club Nationalma­nnschaft wurde 2003 gegründet und zählt inzwischen mehr als 50 000 Mitglieder. 30 Euro pro Jahr für eine Einzelmitg­liedschaft, 22,50 Euro für eine Gruppenmit­gliedschaf­t werden fällig. Nur über die beim DFB angesiedel­te Organisati­on werden Tickets für Auswärtssp­iele vergeben – auch um die Gefahr von Ausschreit­ungen deutscher Fan-Chaoten zu minimieren. Für Heimpartie­n bekommen FanClub-Mitglieder Tickets zu reduzierte­n Preisen ab 15 Euro. Die normalen Tickets für das Nordirland-Spiel liegen bei 25 Euro (ermäßigt 18) bis 80 Euro (ermäßigt 60). „Einen Besuch im Stadion können sich viele gar nicht mehr leisten – geschweige denn ein Trikot kaufen“, beklagte Rainer Vollmer. Der Profifußba­ll sei längst kein „Sport für Jedermann“mehr. Die neuen EM-Jerseys werden für bis zu 129,95 Euro vertrieben. Die Fan-Version gibt es für 89,95 Euro, Kinder-Ausstattun­gen sind günstiger.

2008 kamen im Durchschni­tt 53 280 Fans zu den Heimländer­spielen. 2013 wurde die 50 000-Marke letztmals geknackt – allerdings ist die Zahl auch maßgeblich von der Größe der Stadien abhängig, in der das DFBTeam spielte. In diesem Jahr kamen bisher 36 362 Zuschauer je Spiel. Joachim Löw sieht die Zahlen nicht als Indikator für ein abfallende­s Interesse an der Nationalma­nnschaft. „Wir haben schon 2009 darüber geredet und 2013, da gab es genau die gleichen Themen. Das zieht wieder an, wenn ein Turnier ist im nächsten Sommer.“

Auch Mittelfeld­mann Toni Kroos hat den Stimmungsa­bfall „gar nicht so extrem“wahrgenomm­en. Einen Grund für die Unzufriede­nheit der Fans sieht der Weltmeiste­r von 2014 noch immer im WM-Aus 2018 gleich in der Gruppenpha­se: „Man muss sich als Mannschaft zurückkämp­fen, da sind wir mittendrin.“

Das mag stimmen. Aber: „Man muss zusehen, dass der Fußball das bleibt, was er immer war“, hatte Kroos’ Teamkolleg­e Leon Goretzka jüngst angemahnt: „Volkssport für alle.“

 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI ?? Länderspie­l-Impression im November 2019 – eine Tribüne, sieben Fans.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI Länderspie­l-Impression im November 2019 – eine Tribüne, sieben Fans.

Newspapers in German

Newspapers from Germany