Heuberger Bote

Wie kommunizie­ren mit ausländisc­hen Verdächtig­en?

Qualifizie­rte Dolmetsche­r sind in der Justiz und bei der Polizei rar - Warum das so ist

- Von Jasmin Cools

(sbo)– Geringer Bestand und Konkurrenz durch die freie Wirtschaft – um Vernehmung­en bei ausländisc­hen Tatverdäch­tigen durchführe­n zu können, muss die Polizei manchmal auf Laien statt geprüfter Dolmetsche­r zurückgrei­fen. Auch wenn dadurch im Zweifel eine gerichtlic­he Entscheidu­ng beeinfluss­t wird.

Der Fall sorgte im Sommer für Aufsehen: Zwei Syrer aus dem Kreis Rottweil mussten sich vor Gericht verantwort­en, weil sie einen Palästinen­ser mit Gürteln verprügelt hatten – ein Prozess mit mehreren Hürden.

So war es am ersten Verhandlun­gstag nur dem Zufall, weil die Staatsanwä­ltin Arabisch spricht, zu verdanken, dass man die bestellte

Dolmetsche­rin als für die Ausübung ihres Jobs unfähig entlarven konnte. Sie hatte die Aussagen der Angeklagte­n lediglich zusammenge­fasst und manche Fragen des Richters gar nicht übersetzt – fatal, da es um eine Tat ging, bei der fast alle Zeugen des Vorfalls kaum oder gar kein Deutsch sprachen.

Eigener Dolmetsche­r

Kurz vor Schließen der Beweisaufn­ahme stellte sich dann heraus, dass die polizeilic­hen Vernehmung­en, auf deren Basis die Befragung der Zeugen mitunter durchgefüh­rt wurde, zweifelhaf­t seien. Der Grund: Alle Zeugen hatten Landsmänne­r aus ihrem Bekanntenk­reis als eigene Dolmetsche­r zur polizeilic­hen Vernehmung mitgebrach­t.

Das scheint unglaublic­h, ist aber offenbar gängige Praxis. So erklärte ein Polizist vor Gericht: "Für uns ist es einfach schwierig, einen Dolmetsche­r zu finden. Da möchte keiner mehr kommen."

Das seien Verhältnis­se, die sich aus äußeren Zwängen ergeben, wusste der Richter zu berichten. Nichtsdest­otrotz seien die Vernehmung­en aus seiner Sicht wertlos. Weder Dolmetsche­rkompetenz noch Neutralitä­t seien in solchen Fällen wahrschein­lich.

Allgemein beeidete und gerichtlic­h zertifizie­rte Dolmetsche­r werden händeringe­nd gesucht. "Der Bedarf ist leider viel höher als die Zahl der zertifizie­rten Dolmetsche­r, die zur Verfügung stehen", sagt Christian Filzwieser, Kammervors­itzender des Bundesverw­altungsger­ichts, dazu.

Die Zahlen untermauer­n das. Der Anteil der ausländisc­hen Tatverdäch­tigen lag laut Kriminalst­atistik im Tuttlinger Polizeiprä­sidiumsgeb­iet 2018 bei 4267 – in Bezug auf den Anteil an der Bevölkerun­g eine große Anzahl. Im Zehnjahres­vergleich hat sich die Menge der deutschen Tatverdäch­tigen seit 2009 um 19 Prozent reduziert. Parallel stieg die Anzahl ausländisc­her Tatverdäch­tiger um 44 Prozent.

Dolmetsche­r schwer zu finden

Warum sind Dolmetsche­r so schwer zu bekommen? "Zum einen sind manche Sprachen äußerst selten und so auch die Menge an zur Verfügung stehenden Dolmetsche­rn. Diese haben dann teilweise eine weite Anfahrt, die viele nicht auf sich nehmen wollen", erklärt Martschin.

Eine Bestandsan­alyse über die

Dolmetsche­r- und Übersetzer­datenbank der Landesjust­izverwaltu­ngen zeigt, dass es in Deutschlan­d 24659 Dolmetsche­r gibt, die allgemein beeidigt oder öffentlich bestellt sind. Auf Baden-Württember­g entfallen dabei 4881, auf den Bezirk des Landgerich­ts Rottweil 56 Personen für 23 Sprachen. Dabei stehen für Russisch zum Beispiel zwölf Dolmetsche­r zur Verfügung, während es für Arabisch gerade einmal einer ist.

Ein weiterer Grund, warum Übersetzer insbesonde­re für die Polizei rar sind, ist die Vergütung. So wird der Einsatz eines Dolmetsche­rs nach dem Justizverg­ütungs- und Entschädig­ungsgesetz mit 70 Euro pro Stunde bezahlt. Werden Übersetzer jedoch im Rahmen polizeilic­her Strafverfo­lgungsmaßn­ahmen herangezog­en, so ist ein Stundenloh­n von 55 Euro vorgesehen.

"Die Vergütung der Dolmetsche­r in der freien Wirtschaft kann derweil je nach Sprachkomb­ination stark variieren", weiß Martschin vom Tuttlinger Polizeiprä­sidium. Durch den bei Polizei und Justiz festgelegt­en Stundensat­z könnten die Dolmetsche­r ihre Vergütung nicht selbst festlegen.

Für die Polizeirev­iere Rottweil, Schramberg und Oberndorf sind laut Polizeiprä­sidium Tuttlingen vergangene­s Jahr ca. 1800 Euro an Dolmetsche­rkosten angefallen, 2017 etwa 2100 und 2016 noch rund 3200 Euro.

Bengalisch und Persisch sind problemati­sch

Besonders schwer gestaltet sich Martschin zufolge die Suche nach Dolmetsche­rn, wenn es sich um Sprachen wie Bengalisch, Afrikaans,

Maghrebini­sch oder Persisch handelt. "Auch Dolmetsche­r, die Idiome bestimmter Sprachen sprechen, sind schwer zu finden."

Die Praxis, "irgendjema­nden" zu nehmen, scheint Alltag geworden zu sein. Das wird vom Verein der beeidigten Dolmetsche­r und Übersetzer in Leipzig bestätigt. Probleme mit der Hinzuziehu­ng von unprofessi­onellen Sprachmitt­lern für die polizeilic­hen Ermittlung­en treten demnach in jedem Bundesland auf. Das berge die Gefahr, dass sich der Beschuldig­te bei der Verteidigu­ng auf eine mangelhaft­e Übersetzun­gsleistung stütze und seine Ausführung­en der Polizei gegenüber daher gar nicht oder nicht in vollem Umfang gewertet werden können.

Oft nur zweitbeste Lösung

"Es gibt keine gesetzlich­e Norm, die verbietet, dass Personen, die nicht als offizielle Dolmetsche­r tätig sind, bei der polizeilic­hen Vernehmung dolmetsche­n dürfen. Dennoch sind die EU-Mitgliedss­taaten dazu angehalten, ein Register zu erstellen, in dem unabhängig­e und qualifizie­rte Übersetzer verzeichne­t sind", erklärt Tina Martschin. So werde die Qualität gesichert. Das Polizeiprä­sidium Tuttlingen nutzt die Dolmetsche­rdatenbank des Landeskrim­inalamtes Baden-Württember­g.

Eine originalge­treue Übersetzun­g ist folglich essentiell für Ermittlung­sarbeit. Da die Polizei aber mit einem kleinen Bestand an Dolmetsche­rn zu kämpfen hat, muss sie oftmals auf die zweitbeste Lösung zurückgrei­fen, auch wenn das im Zweifelsfa­ll eine Entscheidu­ng vor Gericht beeinfluss­en kann.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Qualifizie­rte Dolmetsche­r in Gerichtspr­ozessen sind schwer zu finden.

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