Streit um Artenvielfalt: Gemeinderat ist uneins
Eine emotionale Debatte zeigt die Zerrissenheit des Gremiums bei diesem Thema - Einigung auf kleinste Lösung
- Ungewöhnlich hoch sind die Emotionen am Montagabend im Gemeinderat Trossingen gekocht. Das Thema Artenvielfalt und die Ablehnung der Mehrheit des Gremiums, eine Studie zum Thema in Auftrag zu geben, sorgte besonders bei der Offenen Grünen Liste für Frust. Aber auch andere, besonders jüngere Räte gerieten in Rage. Am Ende der hitzigen Diskussion konnte sich die Mehrheit nur zum kleinsten gemeinsamen Nenner durchringen.
Soll Trossingen etwa 85 000 Euro innerhalb von zwei Jahren ausgeben, um die Artenvielfalt in der Stadt zu stärken? Über diese Frage herrschten in der Sitzung deutlich voneinander abweichende Meinungen. Während sich einige wenige Räte dafür aussprachen, ein Fachbüro mit einer Studie zu beauftragen und eine 50-Prozentstelle zu schaffen, die ein Konzept zur Erhaltung der Artenvielfalt umsetzt, sahen die meisten ihrer Kollegen dafür noch keine Notwendigkeit.
„Ich finde das ganz wichtig“, meldete sich Anika Neipp (FDP) als erste zu Wort und signalisierte ihre Unterstützung für den Antrag. „Wir dürfen nicht nur Architektenbäume hinstellen, die keinen Schatten werfen, sondern müssen den öffentlichen Raum sinnvoll bepflanzen.“
Doch schon bei der nächsten Wortmeldung wurde klar, dass das Thema im Rat umstritten ist. „Wir müssen vordringlich mit den Landwirten sprechen“, sagte Jürgen Vosseler (CDU). „Wir sehen es nicht als dringlich an, ein Büro zu beauftragen“, sagte er. Die Stadt solle die Erhaltung der Artenvielfalt in die eigenen Hände nehmen.
Auch Gustav Betzler (Freie Wähler) sprach sich gegen den Antrag aus. „Wir haben intensiv diskutiert“, versichert er. Doch „die Aktion muss verschoben werden“, sagte er. Die Kosten erschienen seiner Fraktion mit Blick auf die aktuelle finanzielle Lage der Stadt als zu hoch. Er hoffe, dass sich Agendagruppen bilden werden und „wir so Kosten durch ehrenamtlichen Einsatz sparen können.“
Ähnlich sah es Hilmar Fleischer von der FDP. Er halte die Beauftragung eines Büros für verfrüht. „Die Studie würde uns keine konkreten Handlungsanweisungen geben“, sagte er. Denn auch wenn das Artensterben nicht zu bestreiten sei, würden maßgebliche Studien zeigen, dass der Grund für das massenhafte Sterben von Insekten noch nicht von der Wissenschaft erkannt worden sei. Er schlug vor, das Gespräch mit den Landwirten zu suchen und „zu schauen, was sie an Vorschlägen bringen“. Ansonsten müsse die Stadt auch darauf vertrauen können, dass die Bürger „nicht alles zupflastern und vernünftig pflanzen“.
Die Fraktionsmitglieder der OGL, die den Antrag auf den Weg gebracht hatten, zeigten sich entsetzt über die sich abzeichnende Ablehnung. „Es ist bedauerlich, aber so haben wir es schon erwartet“, formulierte es Susanne Reinhardt-Klotz nüchtern. „Den Landwirten wird doch nichts weggenommen“, sagte sie. Es gehe darum, über alternative Möglichkeiten der Anpflanzung zu sprechen. Außerdem erinnerte ReinhardtKlotz an Fördergelder, die den Landwirten sicher seien. „Es ist höchst peinlich, das es bei uns nichts gibt“, was den Artenschutz anbelangt, so die Fraktionssprecherin weiter.
Emotional getroffen zeigte sich Gerhard Brummer (OGL), der schon mehrfach betont hatte, dass die Erhaltung der Artenvielfalt eine Herzensangelegenheit für ihn sei. Er wählte deutliche Worte. „Es ist erstaunlich, wie die Generationen, die das Dilemma verkackt haben, es nicht in die richtige Richtung drehen wollen. Wir müssen unbedingt jetzt etwas tun.“Brummer konfrontierte seine Ratskollegen direkt. „Ein Teil des Gremiums wird in zehn Jahren im Altersheim sitzen und nichts mehr davon mitbekommen. Wir können nicht immer so tun, als ob das Problem noch fünf Jahre aussitzbar wäre.“Einige ältere Räte sahen in Brummers Worten einen persönlichen Angriff, Clemens Henn (CDU) dazu: „Diskussionen sollten sachlich ablaufen. Man sollte nicht mit solch großen Emotionen in den Rat gehen.“
Von Simon Maier (TNG) erhielt Brummer Unterstützung. „Wir regen uns auf, dass Amerika nichts macht, aber tun selbst nichts.“Alles, was die Gesellschaft in die Zukunft aufschiebe, werde nur teurer. Und auch Wolfgang Steuer (OGL) warf sich für den Antrag in die Bresche. „Wir sind für die junge Generation verantwortlich. Der Achter-Rat hat gefordert, dass Trossingen grüner werden muss und dazu stehe ich.“
Bürgermeister Clemens Maier, der solch kontroverse, emotional geladene Diskussionen aus dem Trossinger Gemeinderat kaum kennt, versuchte sich in Konfliktlösung. „Es gibt mehr als Schwarz und Weiß. Wir könnten die Punkte einzeln abstimmen“, schlug er vor. Außerdem sei für Januar bereits ein Treffen zwischen Landwirten und Vertretern des Gemeinderats geplant. Und als
Kompromiss: „Wir könnten der Agendagruppe ein Budget von 10 000 Euro einräumen.“Doch einige Räte fühlten sich von Brummer und Simon Maier angegriffen und setzten zur Antwort an. „Das Problem des Artensterbens ist allen bewusst“, versicherte Jürgen Vosseler. „Aber wir wollen eine sinnvolle Reihenfolge“, sagte er und betonte: „Den Vorwurf, dass wir nichts tun, will ich zurückweisen.“Das sah auch Gustav Betzler so: „Wir machen etwas, nur anders.“
Nachdem alle Argumente ausgetauscht waren und es sich klar abzeichnete, dass der Antrag keine Mehrheit wird finden können, meldete sich Gerhard Brummer noch mal zu Wort: „Ich habe mich vielleicht ein bisschen reingesteigert.“Aber es falle ihm schwer, sich damit abzufinden, dass der Trossinger Rat nichts für die Artenvielfalt unternehmen wolle.
Der große Wurf in Sachen Artenvielfalt gelang dem Trossinger Gemeinderat an diesem Abend nicht. Neun Räte stimmten für die Beauftragung eines Planungsbüros, um ein Konzepts erstellen zu lassen , zwölf stimmten dagegen. Damit war dieser Punkt durchgefallen, genau wie der nächste: Die Schaffung einer 50-Prozent Stelle, um das Thema Artenvielfalt in Trossingen voran zu bringen. Hier votierten fünf Räte dafür, 16 dagegen. Zwei Aspekte des Antrags fanden Zustimmung: Nämlich die Idee, dass der städtische Bauhof konkrete Vorschläge für die Umgestaltung der städtischen Grünflächen entwickeln soll – hier stimmten alle mit ja – und die Gründung einer Agenda-Gruppe. Zwar gab es drei Gegenstimmen, aber die Mehrheit sprach sich dafür aus.
Bürgermeister Maier gab den Räten noch etwas mit auf den Weg: „Ohne zusätzliches Personal“, das müsse allen Beteiligten klar sein, „wird es mit der Aufarbeitung der Themen natürlich nicht so schnell gehen“.