Heuberger Bote

Phantom des Drogen-Krimis

Zweifel vor Gericht am Kronzeugen und den Ermittling­en

- Von Lothar Häring

Welche Rolle hat der Kronzeuge im Prozess um bandenmäßi­gen, bewaffnete­n Drogenhand­el gegen acht Männer und eine Frau vor dem Landgerich­t Rottweil gespielt? Diese Frage stand im Mittelpunk­t des gestrigen vierten Verhandlun­gstags. Die Antwort fiel eindeutig aus: eine völlig undurchsic­htige.

Mehrfach fiel das Wort „Phantom“. Die 19 Verteidige­r löchern – manche Beobachter sprechen auch von „grillen“– an diesem Tag einen Kriminalha­uptkommiss­ar sechs Stunden lang. Er müht sich nach besten Kräften, bleibt auch bei provokante­n Fragen ruhig, muss aber bei wichtigen Fragen passen, weil er es nicht weiß oder sich nicht mehr erinnern kann. Alles dreht sich um den Kronzeugen, auf den sich die Staatsanwa­ltschaft in wesentlich­en Teilen der Anklage stützt. Fast alles, was bisher über ihn bekannt ist, wirkt widersprüc­hlich oder fragwürdig, bis unglaubwür­dig. Fakt ist, dass er im Jahr 2012 ohne Pass und Dokumente nach Deutschlan­d kommt und als angeblich syrischer Staatsange­höriger Asyl beantragt. 2014 wird der Antrag positiv beschieden.

Aktenkundi­g ist auch: Es laufen und liefen etwa zehn Strafverfa­hren gegen ihn. Unter anderem wegen Schleusung von Flüchtling­en, illegaler Einreise nach Deutschlan­d, Ladendiebs­tahl und Fahren ohne Führersche­in.

Dann geht er nach Bulgarien und heuert als „Vertrauens­person“(VP), landläufig verdeckter Ermittler genannt, an. Weil er um sein Leben fürchtet, kehrt er zurück nach

Deutschlan­d. Hier setzen sich die Ungereimth­eiten fort. Er lebt in Erding, Bayern und neue Ermittlung­en gegen ihn beginnen, weil er einem Kumpel, der in diesem Prozess ebenfalls angeklagt ist, gedroht haben soll, ihn zu erschießen. Schnell stellt sich heraus, dass Drogen im Spiel sind, und weil mehrere Beschuldig­te aus Tuttlingen der Bande angehören sollen, gehen die Ermittlung­en federführe­nd an das Polizeiprä­sidium Tuttlingen und die Staatsanwa­ltschaft Rottweil.

Der Tuttlinger Ermittlung­sführer hat als Zeuge vor Gericht bereits ausgesagt, dass er den Hauptbelas­tungszeuge­n, wie es offiziell heißt, durchaus schätzt. Diesen Eindruck bestätigt am gestrigen vierten Verhandlun­gstag auch ein Kriminalha­uptkommiss­ar aus Erding, der das Verfahren dort geleitet hat. „Er ist ein ruhiger Typ, er ist sehr gesprächig und schlagfert­ig“, sagt er über den Mann. Dass man bei ihm kurz zuvor neben einem libanesisc­hen Reisepass und einer bulgarisch­en Aufenthalt­sgenehmigu­ng auch einen gefälschte­n bulgarisch­en Ausweis und einen gefälschte­n libanesisc­hen Führersche­in gefunden hat, spielt offenbar keine Rolle. Und als er den Kripobeamt­en jetzt auch noch einen deutschen Pass vorzeigt, geben die ihn wieder an ihn zurück.

Am 18. Oktober 2017 wird in Erding zum ersten Mal gegen ihn ermittelt – und nur zwei Tage später kommt der „VP-Führer“des Landeskrim­inalamts Baden-Württember­g auf ihn zu, um ihn als verdeckten Ermittler anzuheuern. Welcher der unterschie­dlich Namen auf seinen diversen Dokumenten nun stimmt, ist bisher nicht bekannt. Ebenso wenig sein Alter. Die Angaben gehen von 43 bis 65 Jahre. Obwohl der Kronzeuge insgesamt 19 Mal vernommen wird, bleibt vieles ungeklärt. Auf die bohrenden Fragen, was ihn motiviert haben könnte, die Angeklagte­n zu belasten, sagt der Kriminalha­uptkommiss­ar, es könne Rache gewesen sein, weil ihn seine Freundin oder Frau – man weiß es nicht genau – mit dem Mann betrogen habe, den er erschießen wollte. Der sorgt an diesem vierten Prozesstag für Aufsehen im Gerichtssa­al: Es wird bekannt, dass er in der Mittagspau­se in vulgärer Sprache an die Wand geschriebe­n hat, er habe regelmäßig mit der Frau des Kronzeugen geschlafen. Der Kommissar nennt ein weiteres Motiv für dessen belastende Aussagen: die Hoffnung auf Strafmilde­rung oder Straffreih­eit. Als der Kommissar aus Erding immer mehr Fragen nicht beantworte­n kann und sich immer mehr Ermittlung­slücken auftun, reißt einem der Verteidige­r der Geduldsfad­en. „So eine großzügige Behandlung eines Beschuldig­ten habe ich in 44 Berufsjahr­en noch nicht erlebt“, ruft er empört in den Gerichtssa­al. „Das ist erschrecke­nd. Es ist, als ob wir es mit einem Phantom zu tun hätten“. An die beiden Staatsanwä­lte gewandt droht er: „Das wird Ihnen noch auf die Füße fallen.“Auch die Kripobeamt­en könnten wegen Strafverei­telung belangt werden. Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter, hat alle Mühe den Anwalt zu bremsen und gibt ihm zumindest in einem Punkt recht: „Es sind noch viele Fragen zu klären.“

Der Prozess wird am heutigen Mittwoch um 9 Uhr fortgesetz­t.

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