Baden-Württemberg im Krisenmodus
Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften fordern in einem Brandbrief an Bundesarbeitsminister Heil neue Regeln für die Kurzarbeit
- Dem verarbeitenden Gewerbe in Deutschland geht es schlecht – darin sind sich alle Parteien einig. Bei der Frage, wie schlecht es um die Unternehmen der Branche steht und wie die Zukunft sich entwickelt, scheiden sich allerdings die Geister. Nun hat die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) zusammen mit verschiedenen Verbänden und Institutionen Alarm geschlagen und einen Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geschickt, in dem sie Hilfe für die baden-württembergische Wirtschaft fordern.
„Die Auftragslage in diesem Sektor lässt keine kurzfristige Erholung erwarten“, heißt es in dem Schreiben, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Dass verschiedene Unternehmen im Land bereits reagieren, lasse sich an den steigenden Anmeldungen zur Kurzarbeit ablesen. Diese sei schon in der Vergangenheit ein gutes Mittel gewesen, „vorübergehende Kapazitätsanpassungen abzufedern“. Bei der konjunkturellen Kurzarbeit wird die Arbeitszeit und das Gehalt der Mitarbeiter reduziert, um die Beschäftigten auch in schwierigen Zeiten im Betrieb zu halten.
Jetzt fordern die Landesregierung, die Verbände IG Metall, Südwestmetall und VDMA, die IHKs und der Handwerkstag sowie die Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg die Regelungen der Kurzarbeit anzupassen, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben. „Es wird ein dringender Bedarf gesehen, die Regelungen zur Kurzarbeit angesichts der aktuellen konjunkturellen Lage schnell zu flexibilisieren und Phasen der Kurzarbeit besser mit beruflicher Qualifizierung verbinden zu können“, heißt es im Brief.
Konkret bedeutet das: Die Bezugsdauer soll von zwölf auf 24 Monate erhöht werden. Die Sozialversicherungsabgaben sollen durch die Bundesagentur für Arbeit übernommen werden, wie es auch schon während der letzten Krise 2009 der Fall war. Von Bedeutung sei aber auch, den Transformationsprozess in der Automobilbranche weiter voranzutreiben. „Uns ist es daher wichtig, dass die Regelungen zur Kurzarbeit sinnvoll mit den Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung verzahnt werden“, sagt die Wirtschaftsministerin auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Außerdem soll die Kurzarbeit nicht erst angemeldet werden können, wenn mindestens ein Drittel der Arbeitnehmer betroffen sind – sondern ab dem ersten Beschäftigten. Auch die negativen Arbeitszeitkonten sollen wegfallen, um das Verfahren zu vereinfachen.
Aber wie schlecht steht es um die Firmen in Baden-Württemberg wirklich? Tatsache ist, dass die Wirtschaft in Baden-Württemberg wegen der starken Abhängigkeit von den schwächelnden Leitbranchen Automobilund Maschinenbau sowie dem hohen Anteil des Exportgeschäfts erheblich stärker leidet, als die Wirtschaft anderer Bundesländer. So kommt eine aktuelle Studie der Landesbank BadenWürttemberg zu dem Ergebnis, dass der Südwesten beim Wirtschaftswachstum 2020 im Ländervergleich die rote Laterne übernehmen wird, nachdem er noch vor wenigen Quartalen zu den Lokomotiven gehörte.
Vor allem die Kernbranche Automobil ist von Auftragseinbrüchen betroffen. „Bei uns bedeutet das vor allem, dass die Serien kleiner werden. Das heißt, wir haben genauso viel Arbeit – aber mit weniger Umsatz“, erklärt der Personalleiter eines großen Automobilzulieferers aus der Region. Trotzdem warnt er vor Aktionismus. „Ich habe das Gefühl, man ruft die Rezession geradezu herbei.“Die schwächelnde Konjunktur sei in keinem Fall mit der Krise von 2009 zu vergleichen. „Natürlich haben wir Abgänge, das spüren wir auch. Aber man darf nicht vergessen, wo wir herkommen. Der Wirtschaft ging es in den vergangenen Jahren ausgesprochen gut.“
Betriebsbedingte Kündigungen beispielsweise seien in seinem Unternehmen nicht in Sichtweite. Erst mal werde jetzt gegengesteuert, indem Leiharbeiter abgebaut, die teuren Wochenend- oder Nachtschichten reduziert oder befristete Verträge nicht verlängert werden. „Die Situation müsste sich signifikant verschlechtern, damit wir Maßnahmen wie Kurzarbeit einsetzen“, sagt der Personalleiter, der namentlich nicht genannt werden möchte, um Streit mit den Verbänden zu vermeiden.
Ein Anstieg der Kurzarbeit im Südwesten ist dennoch nicht zu leugnen – immer mehr Firmen greifen auf dieses Instrument zurück. Die Maschinenbauer Franz Kessler aus Bad Buchau (Kreis Biberach) und Knoll aus Bad Saulgau (Kreis Sigmaringen) sind nur zwei Beispiele. Zahlen der Bundesagentur für Arbeit in BadenWürttemberg zeigen, dass in manchen Landkreisen im Mai dieses Jahres mehr als 300 Mitarbeiter mehr von Kurzarbeit betroffen waren, als das noch im Februar der Fall war.
Der Arbeitgeberverband Südwestmetall sieht die Ursachen aber nicht nur in den politischen Konflikten auf der Welt. „Die gesamte Metallund Elektroindustrie steht vor gewaltigen Umbrüchen – Digitalisierung, die Elektromobilität und auch die Klimadebatte stellen unsere Unternehmen vor eine nie da gewesene Herausforderung“, heißt es aus dem Verband. „Aus unseren Unternehmen hören wir teilweise dramatische Entwicklungen.“Die Kurzarbeit sei daher nötig, um den Unternehmen Luft zu verschaffen – auch wenn sie für die Betriebe im Moment noch sehr teuer ist. Denn das Gehalt eines betroffenen Mitarbeiters wird nicht proportional zur Arbeitszeit reduziert. „Ein Beschäftigter, dessen Arbeitszeit um die Hälfte gekürzt wird, bezieht trotzdem noch 70 bis 80 Prozent seines Gehalts – weniger Arbeit also für nicht gleich viel weniger Geld“, sagt der Personalchef des Automobilzulieferers. In der W irtschaftskrise 2008/09 sei es gut gewesen, dass die Regelungen für Unternehmen vereinfacht wurden. In der aktuellen Situation hält er das aber für übertrieben. „Man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.“